Bisexuell, genderfluid und total ahnungslos: Sailor Moon und Steven Universe haben mir gezeigt, wer ich wirklich bin

15.06.2021 - 09:00 UhrVor 2 Jahren aktualisiert
Sailor Moon, Steven Universe, Die SimpsonsTV Asahi/Cartoon Network/Disney
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Es brauchte 30 Jahre und eine Kinderserie, bis ich mich selbst wirklich verstand: Vielleicht ist es eine Superkraft, Bart und Lisa Simpson, Sailor Moon und Tuxedo Mask gleichzeitig sein zu können.

Als ich neun Jahre alt war, war mein liebster Teil bei Sailor Moon immer, wenn sich die Mädchen zu Sailor-Kriegerinnen verwandelten. Auch, weil sie zu krassen Kämpferinnen wurden, aber vor allem, weil man kurz ihre Nacktheit erahnen konnte. Gleichzeitig war ich unsterblich in den Nachbarsjungen Michael verliebt und kam gar nicht erst auf die Idee, dass ich Jungs und Mädchen toll finden kann. Es dauerte noch ungefähr 10 Jahre, bis ich als Dorfkind der 90er erfuhr, dass man auch bisexuell sein kann. Dreimal dürft ihr raten, wie lange ich gebraucht habe, bis ich meine Genderfluidität benennen konnte.

Erst mit 30 hatte ich dank der Kinderserie Steven Universe eine Offenbarung. Zum ersten Mal sah ich jemanden wie mich im Fernsehen: in jeglicher Hinsicht nicht ans Geschlecht gebunden und verdammt stolz darauf. Doch der Weg dahin war lang.

Ein genderfluides, bisexuelles Kind vom Dorf

Meine Identität und mein Aussehen habe ich mir von klein auf vor allem aus Serien, Filmen und Musikvideos zusammengeklaut. Mit 10 waren es die Plateauschuhe der Spice Girls und Tanzschritte der Backstreet Boys, mit 12 die Sonnenbrillen und Lässigkeit der Men in Black, mit 14 wollte ich Haute Couture-Model werden, mit 15 zahlte ich viel Taschengeld für die exakte Frisur von David Bowie in Der Mann, der vom Himmel fiel.

Spice Girls in Spice World

Ich war unwissend bisexuell, genderfluid, hoffnungslos ahnungslos und lebte in einem 5.000-Seelen-Dorf in der österreichischen Provinz. Ich wechselte meinen Habitus und Stil schon als Kind und Teenagerin zwischen Geschlechternormen hin und her. Ich selbst hatte allerdings nie das Gefühl "zu wechseln", weil sich alles richtig anfühlte und für mich notwendiger Ausdruck meiner Selbst war.

Der Druck, mich zu verändern, kam immer von außen. Nur Mädchenkleidung tragen! Nur auf Jungs stehen! Wie unfassbar langweilig das klingt.

Das Urteil der anderen: Irgendwas stimmt doch mit dir nicht

Wer im Dorf aufwächst und aus dem Raster fällt, ist fällig. Vor allem die konstant dummen Bemerkungen von Gleichaltrigen, die schon im Kindergarten anfingen, taten weh und verwirrten mich. "Wenn du zu Fasching nicht als Prinzessin gehst, wirst du nie einen Mann kriegen", meinte Stefanie im Kindergarten gehässig, während sie mir ihren Zauberstab über den Kopf zog. (Ich steckte im Ganzkörper-Leopardenkostüm. Wenn das mal keine genderqueeren Vorzeichen waren!) "Igitt, du siehst ja aus wie ein Junge" oder "Oh geil, wenn du bi bist, dann können wir einen Dreier haben" hörte ich zu früher und späterer Schulzeit zur Genüge. Das einzige, was daran stimmte: Ich sah an dem Tag wirklich aus wie ein Junge, und es war ein verdammt cooler Style.

David Bowie in Der Mann, der vom Himmel fiel

Ich war immer zugleich die Schöne und das Biest und lernte über die Jahre, bei Idioten und Ahnungslosen wie mir gut anzukommen – aber nur solange ich mich als Frau zu erkennen gab und über biphobe Witze lachte. Ich war gleichzeitig Fetischobjekt, nicht weiblich genug oder geradezu lächerlich als ich selbst. Immer unglücklich in Mädchen verliebt und viel zu oft von Jungs begrabscht. Ich trainierte mir die Verleugnung wichtiger Teile von mir selbst an, die ich mir heute als Erwachsene Stück für Stück zurückerobern muss.

Über meine Bisexualität konnte ich mit 17 das erste Mal mit Mitschüler:innen reden und wurde verstanden. Mit der Genderfluidität hat das allerdings deutlich länger gedauert.

Fernsehserien waren das Einzige, was mir als queeres Kind geholfen hat

Serien waren für mich als Kind und Jugendliche die einzige Möglichkeit, mich selbst besser kennenzulernen. Das Internet war Mitte der 00er Jahre noch ein unerforschter Ort, es gab keine 150 LGTBQ+ Meme-Accounts bei Instagram, denen ich heute folgen kann. Der klassische Stundenplan in der Schule hat schon gar nichts zur Aufklärung beigetragen, außer lateinische Begriffe für Geschlechtsorgane auswendig zu lernen.

Fernsehen war meine queere Aufklärung, auch wenn das Nachmittagsprogramm in den 90ern und 00er Jahren noch nicht allzu viel zu bieten hatte. Fernsehen zeigte mir die Homoerotik der Spice Girls und Sailor-Kriegerinnen, Fernsehen gab mir nichtbinäre Vorbilder, die ich nachahmen konnte, von David Bowies Haaren bis zu Hillary Swanks Hemden in Boys Don't Cry. Ich feierte jede queere Referenz bei den Simpsons, die ich täglich nach der Schule guckte, und mit Callie in Grey's Anatomy gab mir Fernsehen zu Beginn meiner Studienzeit mein erstes bisexuelles Vorbild überhaupt, das noch dazu eine charismatische Ärztin war, die sich nichts gefallen ließ.

Hillary Swank in Boy's Don't Cry

In meinen 20ern kamen dann die Streaming-Dienste und schließlich auch die Erkenntnis, die alles veränderte: Vielleicht stimmt ja nicht bei mir, sondern bei den Hatern etwas nicht? Vielleicht ist es sogar eine Superkraft, Bart und Lisa Simpson, Sailor Moon und Tuxedo Mask, Aladdin und Jasmin gleichzeitig sein zu können. Ich war 30, als ich das begriffen habe und so sehr ich mich darüber freue, ich wünschte, ich hätte es früher gewusst.

Das "LGBTQ+ Heureka", oder: Es gibt Bezeichnungen für das, was du bist

Es scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein, Geschlechter-Labels abzulehnen und sich trotzdem selbst kategorisieren und wiederfinden zu wollen. Es ist allerdings das Normalste der Welt. Menschen brauchen die Bestätigung, dazuzugehören und die Gewissheit, dass es okay ist, wie man ist. Egal, ob es um sexuelle Präferenzen und Gender-Identitäten, oder Körper und Hautfarben geht, die nicht in eine genormte, weiße, heterosexuelle Welt passen.

Ich habe in meinen 20ern viel über Gender- und Geschlechtsidentitäten gelesen und oft an Stefanie aus dem Kindergarten gedacht. Mich gefragt, ob sie ihre Meinung über die Prinzessinnenkleider und der Männersuche mittlerweile geändert hat. Ich habe über die Jahre hinweg verschiedene Begriffe wie Tomboy und Cisgender für mich ausprobiert, bin aber nie vollständig dort gelandet, wo ich mich wohlgefühlt habe. Bis ich mit 30 die animierte Serie Steven Universe entdeckte. Sie ist so konzipiert und gezeichnet, dass sie ohne Probleme von Kindern geschaut werden kann – aber auch Menschen mit 30 die Augen öffnet.

Steven Universe

Die Serie hat mir wie all die Sachbücher zuvor nämlich nicht gesagt, was Nonbinarität und Genderfluditität bedeutet, sondern gezeigt, wie es sich anfühlen kann.

Steven Universe: Eine LGBTQ+ Kinderserie mit Superkräften

In Steven Universe geht es um den Teenager Steven, halb Mensch, halb Alien. Er hat unter anderem die Superkraft, mit anderen Aliens oder auch Menschen zu “fusionieren”. Dabei verschmilzt er mit ihnen zu einer neuen, größeren, eigenständigen Person, die die äußerlichen und damit auch geschlechtlichen Merkmale beider vereint.

Als er mit seiner besten Freundin Connie zu Stevonnie verschmilzt und sie als nichtbinäre Person den Spaß ihres Lebens haben, hatte ich den Aha-Moment meines Lebens:

Ich kann gleichzeitig alles und nichts sein, Frau, Mann, beides oder keines von beidem, je nachdem, wie ich mich heute fühle. Geschlechter und ihre Merkmale sind zwar biologisch klar voneinander abgesteckt, aber alles andere kann ich täglich danach ausrichten, wie ich mich fühle. Ich bin genderfluid, ich bin Steven, Connie und Stevonnie und alles geht fließend ineinander über.

Stevonnie in Steven Universe

Ich kannte das Prinzip von Nonbinarität und Genderfluidität, aber ich habe es nie so eindeutig auf den Punkt gebracht gesehen. Ich brauchte diese Serienfigur, um mich selbst zu begreifen. An die weiblichen Pronomen habe ich mich nach 30 Jahren gewöhnt, aber wer weiß, vielleicht ändert sich auch das im Laufe meines Lebens noch.

Heute bin ich stolz, Sailor Moon und Tuxedo Mask gleichzeitig sein zu können

Ich empfinde als LGBTQ+ Mitglied großen Stolz auf das, was ich bin und auf meine Community und alle Allys. Ich bin bisexuell und genderfluid, ich bin schwanger, aber keine Frau im klassischen Sinne, ich habe einen Freund, der mich als Person, und nicht als Frau liebt, und ich versuche, in Artikel und Podcasts auf die wunderbaren Vorteile von Vielseitigkeit aufmerksam zu machen.

Ich bin alle deine liebsten Serienfiguren gleichzeitig und werde diese Superkraft nicht mehr hergeben. Dank Serien wie Steven Universe lernen Kinder und Jugendliche heute schon viel früher Vielfalt kennen- und schätzen. Menschen können auch ohne Prinzessinnenkleid an Fasching glücklich werden, ist mein persönliches Fazit nach 32 Jahren.

Ich hoffe, Stefanie hat das mittlerweile auch mitbekommen.

Im Moviepilot-Podcast gibt's noch mehr LGBTQ+ Heureka

Gemeinsam mit meinem Kollegen Max diskutiere ich im Streamgestöber über unsere wichtigsten LGBTQ+ Figuren und Serien:

Ich erzähle von meinen Erfahrungen mit den Simpsons uns Steven Universe, Max erklärt, warum er Queer as Folk nur heimlich unter der Bettdecke gucken konnte.

Welche Serien haben euch am meisten geprägt?

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