Binge Watching - Die Serie wird zur Droge

31.05.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Breaking Bad, regt zum Binge Watching an.
AMC
Breaking Bad, regt zum Binge Watching an.
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Der Binge Watcher komprimiert das einstmals breite, auf einen längeren Zeitraum angelegte Serien-Format zu einem ekstatischen Tages-Event. Ist das nur eine soziokulturelle Erscheinung? Und wie schaut ihr eigentlich eine Serie?

Tür abschließen, Licht aus, Junk-Food auf dem Sofa- oder Nachttisch verteilen, Telefonkabel rausziehen und eine Staffel Game of Thrones an einem Abend schauen – so geht Binge Watching, in etwa. Eigentlich heißt Binge Watching, dass in hoher Frequenz, deutlich höher als der traditionelle Wochen- und Sieben-Tage-Takt, Episoden einer einzelnen Serie heruntergerasselt werden. Der Akt des Konsumierens wird dabei zum Rausch, zur Ekstase, das Seherlebnis zum Trip. Die konsumierte Serie erfährt die vollständige Abgrenzung vom Alltag, und das, obwohl sie vom Fernsehen doch gerade als fiktionaler, unterhaltender Begleiter des Alltages etabliert wurde.

Binge Watching verhöhnt die Struktur der Serie
Auch an der Ästhetik der Serie lässt sich das Phänomen Binge Watching ablesen. Sitcoms wie How I Met Your Mother überspringen höchstens zwei Wochen zwischen zwei Episoden. Und wenn beim Zuschauer zu Hause Weihnachten ist, wird bei Lilly, Marshal und Ted ebenfalls gefeiert. Bei House of Cards nun, der ersten Eigenproduktion des Streaming-Dienstes Netflix, sind die Abstände zwischen zwei Episoden deutlich größer, vollkommen unregelmäßig und dadurch, dass die Episoden in einem Schwung auf die Seite gestellt werden, auch irrelevant – genauso wie die diegetische Gegenwart. Die Serie ist kein Zeitgenosse mehr.

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Warum binge-watchen wir?
Binge Watching ist mehr als eine Pose, ein Trend oder eine Mode. Binge Watching ist eine pragmatische Reaktion des Konsumenten, die ihm von seiner Umwelt gewährt und gleichermaßen abgefordert wird. Die Frequenz, in der Qualitäts-Serien aus den USA und Großbritannien zu uns rüber kommen, ist enorm. Und mitunter ergibt sich daraus eine Zwangssituation. Der kulturaffinen Generation Y bleibt bei diesem Angebot gar nichts anderes übrig, als Methodiken zu entwickeln, mit der sie dem erhöhten Angebot begegnet. Gerade weil die Mitglieder der Generation Y sich unter anderem durch die Eigenschaft und das geradezu pathologische Begehren auszeichnen, nichts verpassen, nicht auslassen zu wollen, geht diese tendenziell hedonistische Mentalität in ein zwanghaftes Verhalten über. Das Serienschauen wird zu einem Runterarbeiten, zur Pflicht. Geht da der Spaß nicht verloren? Und leidet das Erlebnis einer Serie nicht auch unter seiner rauschhaften Beschaffenheit?

Die Integrität der einzelnen Episode
Grundsätzlich ist das Serienformat nicht auf Dichte sondern auf Breite angelegt. Eine Episode, eine Folge folgt auf eine andere. Ein entzerrtes Konsumverhalten bedeutet dabei, dass wir den einzelnen Episoden eine weniger flüchtige Aufmerksamkeit zu kommen lassen, als das beim Binge Watching der Fall ist. Während die Serie als Tages-Event nicht nur in ihrem Format komprimiert, sondern auch in ihrer Qualität beschnitten wird. Denn eine Serie ist eben kein langer Film, oft steht eine Episode für sich, entfaltet innerhalb ihrer Dimension eine eigene Wirkung, die wir vielleicht auch eine gewisse Zeit wirken lassen müssen. Der Zuschauer verhöhnt in seinem Rausch die Autonomie der einzelnen Episode. Nein, er vergisst sie schlicht. Die Episode entfaltet sich bei ihm nicht mehr als einzelnes, unabhängiges künstlerisches Geschöpf. Beim Binge Watching wird die Serie als homogenes Ganzes wahrgenommen, was sie selbstverständlich auch ist, dennoch funktioniert das Serienformat ja mehr wie eine Collage denn ein Mosaik. Die einzelnen Teile, Abschnitte stehen für sich, obwohl sie zusammengenommen ein großes System voller gegenseitiger Abhängigkeiten abbilden. Die Episode funktioniert nicht ohne das System, das System funktioniert nicht ohne die Episode.

Die Struktur der Serie ist einer Evolution unterworfen
Der Konsument bestimmt die Beschaffenheit des Produktes, das er nachfragt. Wenn Netflix demnächst nach Deutschland kommt, erwächst spätestens auch hier eine institutionalisierte Form der Serien-Evolution. Denn bei Netflix ist das Binge Watchen ein Geschäftsmodell, ein eigenes Paradigma, dem es sich bei der Veröffentlichung seiner Erzeugnisse unterwirft. Netflix schmeißt seine selbstproduzierten Serien als 13-teilige Episoden-Monster auf den Markt. Alle Folgen stehen synchron zur Verfügung. Mit dem Begriff Serie hat das kaum noch etwas zu tun. Weder die Art der Publikation noch der Akt der Verarbeitung weist hier noch Merkmale einer klassischen Serie auf. Die Methode, eine Geschichte über mehrere zeitlich voneinander getrennte Teile zu erzählen, ist ja nichts weiter als die Strategie eines Fernsehsenders, seine Zuschauer über einen längeren, monate- oder jahrelangen Zeitraum zu binden. Nicht zuletzt mit dem Folterinstrument des Cliffhangers, dem der Binge-Watcher den Zahn zieht.

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Ein Symptom im fortgeschrittenen Stadium
Eine Folge, eine Fortsetzung setzt eine Lücke voraus. Die neuen Serien bzw. diejenigen, die sie sich ansehen, überspringen diese Lücke. Dass sie das tun, bedeutet vor allem eine Abwendung vom Fernsehen, aber auch eine Neustrukturierung des Formates Serie an sich. Netflix ist schlicht der erste Anbieter, der auf diesen Trend, der wohl keine Erscheinung ist, reagiert. Die Serie ist in Zeiten von Video-on-Demand eben nicht mehr der Alltags-Begleiter, die sie noch zu Zeiten des terrestrischen Fernsehens war, dem sich allerdings die aktuelle Generation der Konsumenten (zumindest was fiktionale Angebote angeht) ohnehin größtenteils abgewendet hat.

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