Beyond: Two Souls (PS4) Test — Mein wirrer Trip mit Ellen Page

03.12.2015 - 17:30 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Beyond: Two Souls
Sony Computer Entertainment
Beyond: Two Souls
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Beyond: Two Souls erschien bereits 2013 für die PS3. Nun hat es Quantic Dreams interaktives Drama auch auf Sonys aktuelle Konsole geschafft. Ich selbst erlebte die Geschichte von Jodie und Aiden allerdings zum ersten Mal. Schade, wirklich schlau wurde ich daraus nicht.

In Jodie Holms Kopf herrscht Chaos. Bilder, Geräusche und Gerüche sind verschwommen, undurchsichtig, schemenhaft. Sie muss sie nicht wieder ordnen, das kann sie gar nicht. Und trotzdem will Jodie ihre Geschichte erzählen. Sie muss sich nur wieder an die markantesten Ereignisse aus ihrem sonderbaren Leben erinnern.

Ich habe mir diese Geschichte angehört. Ratlos und vielleicht ein wenig verdattert sitze ich nun hier und versuche die passenden Worte zu finden, um zu erklären, was David Cage und sein Team von Quantic Dream in den neun Stunden und 26 einzelnen Sequenzen von Beyond: Two Souls da mit mir gemacht haben.

Ellen Page als Jodie Holmes

Habe ich diese Frau, gespielt von Ellen Page, nun verstanden? Ja und nein. War ich ein Teil ihres dramatischen Abenteuers? Ja und nein. War das überhaupt ein Abenteuer? Was passierte überhaupt in der ganzen Zeit?!

Was macht Beyond: Two Souls auf der PS4 anders?

Das Quantic Dream-Adventure flimmert jetzt in einer Auflösung von 1080p sowie verbesserten Licht- und Schatteneffekten über den Bildschirm. Der Schwierigkeitsgrad der Kampfszenen wurde ein wenig erhöht und die Steuerung leicht verbessert. Ähnlich wie in den Adventures von Telltale wird am Ende einer jeden Sequenz außerdem angezeigt, welche Entscheidungen wir selbst und welche andere Spieler und Spielerinnen getroffen haben. Größte Neuerung ist aber, dass sich die Sequenzen nun in chronologischer Reihenfolge spielen lassen. Ich selbst erlebte Beyond: Two Souls aber so, wie es sich David Cage von Anfang an gedacht hat: Wirr und wahllos miteinander verwoben.

Was machte Beyond Two Souls also mit mir?

Und da sind wir wieder am Anfang der Fragerunde. Keine Bange, ich habe mich nun wieder ein wenig gefangen und auf Spoiler verzichte ich hier ebenfalls. Ich lernte also Jodie kennen, als junge Erwachsene irgendwo und mittendrin.

Szenenwechsel.

Ich lernte Jodie noch einmal kennen, als kleines Kind, vielleicht sechs Jahre alt. Ich erfuhr, dass sie seit ihrer Geburt von einem Geistwesen namens Aiden begleitet wird, das zwar über eigene Entscheidungsgewalt verfügt aber auch von der Protagonistin (und von mir selbst) gesteuert werden kann. Und so begann die Geschichte von Jodies Leben voller Leiden und Konflikte, das mir in stetig wechselnden Sequenzen, Umgebungen und Altersstufen nahe gebracht wurde.

Spielerisch bleibt sich Quantic Dream der spirituellen Vorgänger Fahrenheit und Heavy Rain treu und setzt auf Quicktime Events sowie Interaktion mit der Umgebung per Knopfdruck. Jodie hingegen lässt sich direkt manövrieren, ist aber nicht die einzige steuerbare Figur des Spiels: Mithilfe der Dreieck-Taste ist es ebenfalls möglich, Kontrolle über ihren geisterhaften Begleiter Aiden zu nehmen. Und wie Geistwesen so sind, kann auch Aiden durch Wände schweben, Vasen von Tischen schmeißen oder Radios laut aufheulen lassen.

Dramaturgischer Reinfall

Doch Beyond: Two Souls ist weder spannend, noch konnte ich mich je mit Jodie identifizieren. Während ich einen Charakter wie Ellie aus The Last Of Us auf einer langen Reise von Anfang bis Ende begleitete und deren Entwicklung von streitsüchtigen Göre zu einer tapferen Überlebenden erlebte, musste ich mir Jodies Biografie selbst zusammenbasteln. Das Spiel verzichtet auf die klassische Heldenreise, die mit einer plötzlich aufkommenden Aufgabe beginnt und mit einer alles entscheidenden Prüfung endet, sondern hat stattdessen viele Höhepunkte, die sich allesamt gegenseitig anulieren.

Ich lernte Jodie in verschiedenen Altersstufen kennen.

Mal musste ich in einem Forschungslabor gegen böswillige Entitäten bestehen, mal befand ich mich in einer Militärbasis unter dem Meeresspiegel, mal wurde ich mitten in eine mystische Geschichte mit indianischen Geistern geworfen. Beyond: Two Souls baut keinen Spannungsbogen auf sondern eine Spannungswelle, die mich in einem Strudel aus aufploppenden Fragen ertrinken ließ.

Nichtsdestotrotz sorgen die ständigen Szenenwechsel für Abwechslung — vor allem spielerisch. Während mir Heavy Rain während der gesamten Spielzeit seine immer gleichen Kniffe aufzwang, schaffte es Beyond: Two Souls gelegentlich mich mit wechselnden Gameplay-Elementen wie Stealth-Passagen oder Abschnitten, in denen Schusswaffen zum Einsatz kommen, zumindest motorisch auf Trab zu halten. Insgesamt wirkt Beyond weitaus actionreicher als Heavy Rain. Leider gibt es diesmal auch weniger Dialoge, die aber bei dem Aufbau von Beziehungen zu anderen Figuren unentbehrlich sind.

Zwischenmenschliche Befremdlichkeiten

Wir kennen Beziehungen zwischen Videospielcharakteren aus RPGs wie Dragon Age: Inquisition oder Mass Effect. Hier ist es unabdingbar, sich mit Nebencharakteren auseinanderzusetzen. Wir haben alle Zeit der Welt, um uns zu entscheiden, wann und mit wem sich das Alter Ego in eine virtuelle Beziehung stürzt. Nun ist Beyond: Two Souls aber kein Zeit fressendes RPG, sondern ein cineastisches, interaktives Drama, das die Protagonistin über 15 Jahre ihres Lebens hinweg begleitet. Und hier verzwickt sich David Cage selbst in sein eigenes eng geschnürtes narratives Korsett.

Gerade noch im Kinderzimmer und plötzlich in der Wüste.

Denn Gelegenheit, mich lange und ausgiebig mit einer Figur beschäftigen, hatte ich keine. Stattdessen wurden mir diverse Charaktere und deren Geschichten so beliebig vor die Füße geworfen wie die Bonbons auf einem Karnevalsumzug. Jodies Beziehungen sind zu kurz und flüchtig, als dass ich fähig gewesen wäre, emotional von ihnen berührt zu werden oder sie nachzuvollziehen. Hier knutscht sie mit einem Jungen auf der Party, dort rettet sie einen Obdachlosen vor einer Schar Halbstarker. In einer Szene trifft sie auf den CIA-Agenten Ryan, in der anderen auf Navajo Jay. Schlag auf Schlag wechseln die Szenen zusammen mit Jodies Alter, Verfassung und Lebensumständen.

Heruntergebrochen auf neun bis zehn Spielstunden soll ich als Konstrukteurin eines Puzzles jedwede Person kennenlernen und entscheiden, wen Jodie liebt, hasst oder als Freund betrachtet. Dies mag zwar für den Moment funktionieren — schließlich kann ich ja immer noch aus dem Bauch heraus entscheiden, mit wem ich sympathisiere und mit wem nicht — das wird jedoch am Ende obsolet: Hier werden ich plötzlich vor die Wahl gestellt und soll besiegeln, mit welcher (für mich) flüchtigen Bekanntschaft die Heldin den Rest ihres Lebens verbringen soll.

Wozu überhaupt entscheiden?

Nicht nur die zwischenmenschlichen, sondern alle Entscheidungen im Spiel wirken durch das Springen kreuz und quer entlang des Zeitstrahls trotz Handlunsgfreiheit in den einzelnen Sequenzen überflüssig. Die Konsequenzen meiner Machtworte wurden mir nie so recht bewusst — wenn es denn überhaupt welche gab. Egal ob ich mich dazu entschloss, jemanden mit Aiden zu piesacken oder das Haus abzubrennen, in dem Jodie einige Minuten zuvor noch wegen ihrer übernatürlichen Gabe gehänselt wurde — die Heldin ist vorgezeichnet. Beeinflussen, in welche Richtung sie sich entwickelt, konnte ich nicht. Dabei wäre dies doch gerade erst interessant gewesen.

Willem Dafoe spielt den Wissenschaftler Nathan Dawkins

Erübrigen sich diese Probleme nun durch die neue chronologische Reihenfolge? Nein, tun sie nicht. Zwar lassen sich die Leiden der jungen Jodie auf diese Art und Weise etwas besser nachvollziehen, die Schwächen des Drehbuchs werden aber trotzdem nicht retouchiert: Zu groß sind die Zeitsprünge zwischen den einzelnen Sequenzen, sodass es immer noch schwer fällt, sich mit der Heldin zu identifizieren. Eine Spannungskurve baut sich auch in chronologischer Anordnung der Szenen nicht auf. Immer noch erscheint Beyond: Two Souls wie ein gigantischer Flickenteppich aus Lebensjahren und Schauplätzen.

Weinen musste ich in Beyond: Two Souls trotzdem

Trotz alledem mag ich den Ansatz von Jodies Geschichte. Im großen Durcheinander gibt es eine Handvoll starker Momente, die mich zumindest für den Moment aus meiner faulen Sitzhaltung auf der Couch hebelten und angespannt vor das TV-Gerät pressten. Mein Gott, in einer Szene habe ich sogar geweint. Ja, jetzt ist es raus. Das lag vor allem an der überzeugenden schauspielerische Leistung von Ellen Page, Willem Dafoe oder Eric Winter.

Aber auch in diesem Absatz, in dem ich das Spiel endlich einmal lobe, mogelt sich Beyond: Two Souls größte Schwäche ans Tageslicht: Emotional wurde ich nur situativ. Als großes Ganzes kettet sich Beyond: Two Souls nicht an mein Herz, sodass ich es wahrscheinlich schnell wieder vergessen werde.

Fazit

Es ist traurig. Denn David Cage hat es nach Heavy Rain wieder nicht geschafft, seine Kernidee in eine in sich geschlossene und befriedigende Geschichte zu packen. Beyond: Two Souls mag zwar anders und außergewöhnlich sein, funktioniert aber nicht. Durch die Puzzle-Story fiel es mir verdammt schwer, Charakterentwicklungen und Beziehungen nachzuvollziehen. Ich war nie ein Teil von Jodie, sondern wurde wie ein Besucher eines Filmsets von Szenerie zu Szenerie geschubst. Vielleicht sollte ich mich ja am Ende selbst so wie Jodie Holmes fühlen: Völlig verwirrt mit Bildern und Geräuschen im Kopf, die ich nicht ordnen kann. In dieser Hinsicht kann ich sie doch verstehen.

Dieses Review wurde mit einem vom Publisher zur Verfügung gestellten PS4-Key erstellt.

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