Better Call Saul - Wir schauen Staffel 2, Folge 3

02.03.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
AmarilloAMC
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Eine harte Zeit hat Jimmy heute in Amarillo - Erfolge, so weit das Auge reicht, und trotzdem scheint er mit seinen Methoden nicht länger durchzukommen.
"So what did I miss? Did anything blow up yet?", will Jimmy (Bob Odenkirk) wissen, als er von seinem Telefonat mit Cliff zurückkehrt und sich wieder Kim (Rhea Seehorn) und der Tiefsee-Tragödie widmet. Nein Jimmy, noch ist hier gar nichts in die Luft geflogen. Aber sieht ganz so aus, als ob das bald passieren wird. Der utopische Zustand des reaktionslosen Schalterumlegens lenkt allmählich seinem Niedergang entgegen. Jimmy kann sich nicht mehr alles erlauben, er kommt nicht mehr mit jeder Aktion durch, sei sie noch so ausgetüftelt, bombensicher und - besonders deprimierend - erfolgreich.

Aus den bisherigen Abstechern in die Grenzgebiete der Illegalität hat Jimmy im Laufe von Better Call Saul sicherlich viele Lehren gezogen, doch die, die ihm den größten Halt gegeben hat, dürfte Folgende gewesen sein: Erfolg macht vergesslich. Jimmy ist es gewohnt, dass seine Spuren ins gesetzliche Zwielicht unkenntlich gemacht werden, solange am Ende der jeweiligen Aktion ein Erfolg steht. Beweismaterial fälschen? Schon lange Schnee von gestern, die Polizei hat's geglaubt, der Klient ist auf freiem Fuß, zu den Akten damit, ist nie geschehen. In Amarillo jedoch wird ihm mit frustrierender Penetranz eine Lektion aufgedrängt, die sich so gar nicht mit seinem Selbstbild verträgt, und zwar die, dass der erstrebenswerte Zweck die illegalen Mittel nicht unkenntlich machen kann.

Jimmy blüht in seiner Rolle als texanischer Anwalt gänzlich auf und wirbt so ein paar Senioren als neue Klienten an. Ein unerlaubtes Verfahren, Chuck (Michael McKean) hakt nach, Jimmy scheint nicht einmal das Problem zu erkennen: "Well, you're welcome, I mean, is there a problem?" Zum ersten Mal muss Jimmy sich trotz Erfolg für sein Handeln rechtfertigen, was ihm selbstverständlich mit Bravour gelingt, doch gleichzeitig wird ihm eindrücklich klar gemacht, dass es so nicht weitergehen kann, auch wenn unterm Strich 24 neue Klienten stehen. Also wählt er einen neuen, gesetzlich völlig einwandfreien Weg, neue Klienten anzuwerben, oder versucht es zumindest. Natürlich macht er das - wie immer - nur wegen Kim, die seine Spielchen nicht mitmachen würde und deren Verlust er sich persönlich schlichtweg nicht leisten kann.

Doch er wird rückfällig. Er weiß ganz genau, was es braucht, um die Senioren zu einem Anruf zu bewegen und es ist sicherlich kein perfekt choreographierter blauer Strudel hinter einschläferndem Text ("They wanted it to look nebulous, but not too nebulous"), also dreht er auf eigene Faust ein cineastisches Meisterwerk von Werbespot ("It looks professional!"). Er weiß aber, dass die Chefetage einen emotional derart gewaltigen Spot niemals absegnen würde, also handelt er auch hier ohne Rücksprache mit Cliff, mit der Gewissheit, die sich so oft in seinem Leben bewahrheitet hat. Wenn es klappt, wird mir alle Schuld vergeben. Doch die Zeiten sind vorbei. Cliff interessiert sich trotz Jimmys bemühten Erklärungsversuchen nicht im Geringsten dafür, dass der Spot über hundert neue Klienten angeworben hat - es war falsch, was er getan hat und er wird die Rechnung dafür bekommen.

Im Grunde ist das nur ein kleiner Schritt auf dem langen Entwicklungsbogen, den Jimmy auf seinem Weg zu Saul Goodman durchmachen muss. Doch wie in jeder Folge nimmt sich das Autorenteam um Vince Gilligan und Peter Gould eine ganze Episode Zeit, um jedem dieser kleinen Schritte sein notwendiges Gewicht zu verleihen. Amarillo ist ein Musterbeispiel für diejenigen Fähigkeiten von Better Call Saul, die diese Serie derzeit so hervorstechen lassen. Im Kern sind es zwei ganz simple Handlungsstränge, die parallel laufen - Jimmy muss Klienten anwerben und lernt, dass seine Methoden auch bei Erfolg Konsequenzen nach sich ziehen, während Mike (Jonathan Banks) sich um Geld kümmern muss, um der paranoiden Schwiegertochter und seiner Enkelin unter die Arme zu greifen. Ganz simpel, aber Better Call Saul räumt jedem Detail, jeder Entscheidung der Figuren genug Platz ein, um ihr den schwerwiegenden Ausdruck zu verleihen, der auf den Charakteren lastet.

Das hat viele Vorteile. Während andere Serien in dem Kaliber bei ihren Storys und Figurenkonstellationen auf Komplexität setzen und auf diese (völlig legitime) Weise das Potential des Panoramas im seriellen Erzählen voll ausschöpfen, geht Better Call Saul den gegenteiligen Weg der völligen Entschleunigung. Dieses so sorgfältige Herantasten an das Wesen der überschaubaren Figurenanzahl macht es den Autoren und Regisseuren möglich, explizite Verbalisierungen der Gefühlswelten über Bord zu werfen und stattdessen Schweigen einkehren zu lassen, das das Innenleben von Jimmy, Mike und Co. noch viel kraftvoller erscheinen lässt. Jimmy geht mit dem Videoband durch die Kanzlei, wir hören ein Gitarrenklimpern, er zögert. Es ist alles erzählt, wir wissen um seine Entscheidung, wir wissen, warum er sich aus seiner Sicht so verhalten muss, wir wissen, was sein nächster logischer Schritt ist.

Amarillo steckt voll mit Momenten, die mit einem schnelleren Erzähltempo nicht ansatzweise so stark wären. Wenn Mike mit seiner Schwiegertochter den Schaden am Haus betrachtet und sie (scheinbar) davon überzeugt ist, dass dieser von Waffenschüssen verursacht wurde, können wir Mike quasi in den Kopf gucken. Will sie ihn zu einer bestimmten Handlung manipulieren? Ist sie einfach nur paranoid? Spielt keine Rolle, sie bekommt was sie will, es geht schließlich auch um das Wohlergehen seiner Enkelin. Gerade bei einem so schweigsamen Charakter wie Mike ist es erstaunlich, was für ein Level an Empathie hier aufgebaut werden konnte. Eine Empathie, die niemals hätte zustande kommen können, wenn wir nicht schon etliche Momente der Stille zusammen mit Mike in seinem Auto verbracht hätten; gerade eben erst, die ganze Nacht, begleitet von nichts als dem rhythmischen Zu-Boden-Fallen der Tageszeitung. Lange kann es nicht mehr so ruhig bleiben. Mike soll jemanden aus dem Weg räumen. Jimmy muss seinen Werbespot verantworten. Irgendwas wird hier sehr bald in die Luft gehen.

"You want next level pay, you've got to do next level work."

Notizen am Rande:

- Welles, Fellini, Bergman. Jimmy hat die ganz großen Vorbilder, wenn es um seinen Spot geht. Die Improvisationsfähigkeiten eines jeden guten Regisseurs scheint er in jedem Fall mitzubringen: Der nicht vorhandene Dolly wird kurzerhand mit dem Treppenlift kompensiert.

- Falls jemandem die "I'm ready for my Close-Up, Mr. McGill"-Referenz entgangen ist: Dringend nachholen (übrigens: was für ein schöner Zufall, dass McGill phonetisch so nah an DeMille liegt).

- Filmabend mit Jimmy scheint ein sehr nervenaufreibender, unentspannter Zeitvertreib zu sein.

- Natürlich musste der Auftraggeber am Ende Nacho sein, aber irgendwie hab ich doch ein kleines bisschen auf Giancarlo Esposito als Gus Fring gehofft.

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