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Beischlaf mit dem Verstand

13.01.2021 - 11:52 UhrVor 3 Jahren aktualisiert
Bibliotheque Pascal
©Camino / Kinostar
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Mindfuck - Ein nicht weiter definiertes Genre

Aronofsky der Mindfuckmeister. Behauptete zumindest ein Moviepilotartikel, und ich fragte mich ernsthaft, ob es nicht zwei Aronofksys gibt. Ich ließ seine Filmogrpahie durch mein inneres Auge laufen. „Pi“, ja doch stimmt, ein kleines Mindfuckmeisterwerk. Und dann? Nichts mit Mindfuck . Eventuell könnte man „Black Swan“ noch als einen Mindfuck-Light durchgehen lassen, aber wo bitte fuckt ein "Noah", ein "The Wrestler" oder ein "Requiem for a Dream" den Verstand?

Ich fühlte mich furchtbar getriggert, und fragte mich jedoch im Nachhinein woher ich diese Gewissheit nehme zu sagen, was denn nun ein Mindfucker ist. Im Duden oder Filmlexikon kann ich kaum nachschlagen. Definitionen die ich gefunden habe, sind furchtbar unterschiedlich. Erschwerend kommt hinzu, dass ich Aronofsky für furchtbar prätentiös halte, und ich ihn ungerne als Meister einer meiner Lieblingsgenres sehen möchte. Ich bin also voreingenommen.

Was ist denn also nun ein Mindfuck und was nicht? Warum empfinde ich „Pi“ tatsächlich als ein Paradebeispiel für das Genre, und das deutlich surrealere „The Fountain“ nicht? Vielleicht muss ich an die Sache anders rangehen. Welche Filme schießen mir denn spontan durch den Kopf, wenn ich an diesen Begriff denke? David Lynch natürlich! Obwohl… bei genauerer Betrachtung würde ich lediglich seine letzten drei Filme als Mindfuck bezeichnen. Dafür aber so richtig! Zeitreisefilme sind in der Regel Mindfucker. „Zurück in die Zukunft“ vielleicht nicht so. Aber ein „12 Monkeys“ und erst Recht ein „Dark“ würde ich definitiv dazu zählen! Aber auch Filme wie „Es ist schwer, ein Gott zu sein“, „Battle in Heaven“, „Drowning by Numbers“ oder ein „The Duke of Burgundy“ würde ich dazu rechnen. Avantgardistischer Irrsinn wie „Montana Sacra“, „Eraserhead“ oder „Amer“ dagegen nicht.

Was haben erwähnte Filme also für gemeinsame Ebenen? Gucken wir uns doch den Neologismus etwas genauer an. Zwar mag der Kopf des Kompositums etwas durchaus Schönes sein, hat allerdings auch eine ziemlich gewaltvolle Konnotation. Wer will denn auch wirklich sich in seinen Verstand fucken lassen? Aber genauso könnte ich fragen, wer freiwillig Angst bekommen möchte, und dennoch sind Horrorfilme alles andere als ein Nischengenre. Sind Mindfucker somit vielleicht Filme, die irgendeine Wirkung auf den eigenen Verstand haben?

Und was genau ist Verstand? Unser Verstand ist vermutlich der wichtigste Anker in unserem Leben. Unser Verstand gibt uns nicht nur unser Bewusstsein, sondern analysiert und bewertet die Realität. Er funktioniert auf den Grundgesetzen von Logik, und ist somit das einzige auf das wir uns im Leben wirklich verlassen können. Was aber wenn jemand den „Verstand verliert“ oder bestimmte Funktionen irritiert oder gar ausgehebelt werden. Aus pathologischer Sicht ist es genauso wenig wünschenswert wie Angst zu haben. Aber im Kino oder vor dem Fernseher können wir uns solchen Erlebnissen aussetzen, da wir ja im Prinzip wissen, dass wir sicher sind und uns nichts passieren kann.

Simuliert ein Mindfucker also eine Psychose? Einen Rausch? Hebelt er logische Grundgesetze aus, so dass unser Verstand sich anfühlt, als würde er explodieren? Was ist mit besonders anspruchsvollen Filmen, die den Verstand herausfordern? Sind dies auch Mindfucker? Meiner Meinung nach nicht zwangsläufig.

Paradoxa sind beispielsweise etwas, womit unser Verstand nicht umgehen kann. Und hier kommen Zeitreisen ins Spiel, die zwangsläufig immer zu mehr oder weniger großen Paradoxa führen, die unser Verstand verzweifelt versucht logisch aufzulösen. Dabei gehen Zeitreisen von einer an und für sich schon absurden Prämisse aus, bei der die zeitliche Dimension wie eine räumliche betrachtet wird. Aus diesem Denkfehler lassen sich somit wunderbare paradoxe Geschichten bilden. Die Frage ist, wie lange unser Verstand bereit ist, diesen zu folgen. Ab welchem Punkt klinkt er sich aus? „Dark“ hat in dieser Richtung bisher Tiefen erreicht, in die sich bisher niemand getraut hat. Viele hat die Serie aber dadurch auch verloren. Nicht jeder lässt sich gerne in seinen Mind fucken. Aber das gilt ja auch für erwähnte Horrorfilme.

Sehen wir uns die weiteren Beispiele an. „Pi“ gelingt es durch mathematische und vermeintlich logische Schlussfolgerungen den Zuschauer in einen paranoiden Zustand zu versetzen. Wie sieht es aber mit „mother!“ aus? Die letzten 30 Minuten sind komplett surreal. Surrealismus kann durchaus ein wichtiges Element für eine Manipulation des Geistes sorgen, wenn er sich aber bei genauerer Betrachtung als lediglich eine metaphorische Darstellung der narrativen Ebene kristallisiert, ist auch die Wirkung keine verwirrende mehr. Damit kommt unser Verstand gut klar. Ähnliches gilt für ein „Montana Sacra“ das sicherlich einen komplett verwirren kann, aber irgendwie ist trotz all dem skurrilen Wahnsinn der Interpretationsspielraum sehr eng. Da fuckt einen ein „Holy Motors“ deutlich mehr, bei dem man eigentlich ununterbrochen das Gefühl hat, diese bizarre Situation begriffen zu haben, aber ähnlich einem missglückten Puzzle, bleibt immer ein Teil übrig, das einfach nicht reinpassen will.

Peter Strickland geht in „Duke of Burgundy“ einen anderen Weg unsere Birne weichzunudeln. Er bedient sich dabei nicht die Logik aushebelnden Tricks, sondern verwirrt uns über unsere Wahrnehmung. Und das ganze ununterbrochen. Dies tun Twists allerdings auch. Ich finde allerdings, dass ein Twist, so Mindblowing er auch sein mag, nicht ausreicht, um einen Film zum Mindfuck zu machen. „Es ist schwer, ein Gott zu sein“ stellt dagegen unsere komplette Wahrnehmung auf den Kopf, oder zumindest unsere natürliche Art einen Film wahrzunehmen. Wir werden ständig bewusst vom Wesentlichen abgelenkt. Das was in anderen Filmen zentral wäre, findet irgendwo im Hintergrund statt, und möchte man diesem folgen, muss der Kopf schon eine filternde Meisterleistung begehen, um wieder dieses beruhigende Gefühl von Logik zu erhalten.

Und was ist nun mit Lynch? „Eraserhead“ ist einfach nur ein Fiebertraum, der allerdings trotz Surrealismus sehr geradlinig ist, und im Prinzip auch nur durch deutliche Symbolismen den Zuschauer dann doch mehr an die Hand nimmt, als es in der ersten halben Stunde den Anschein macht. In seinen Spätwerken aber, dekonstruiert Lynch so ziemlich alles, das uns als Menschen zum rational denkenden Tier macht. Zeit ist nicht mehr linear, Raum ist allerdings auch subjektiv, und sogar Individualität wird aufgelöst. In seiner letzten Twin Peaks Staffel gelingt es ihm sogar die Realität in Frage zu stellen.

Sicherlich ist die Frage ob ein Film als Mindfuck bezeichnet werden kann, auch eine sehr individuelle Frage. Was mich fuckt, muss jemand anderen ja nicht zwangsläufig genauso fucken. Andererseits gibt es auch Horrorfilme die überhaupt nicht gruselig sind, und dennoch als Horrorfilme wahrgenommen werden. Dann eben als missglückte Horrorfilme. Vielleicht ist ja ein „Lighthouse“ ein solch missglückter Versuch. Ein Film den ich wirklich mag, der aber das für den Mindfuck nötige Gefühl wahnsinnig zu werden nicht aufkommen lässt. Wir beobachten den Wahnsinn nur. Spüren ihn aber nicht.

Fest steh demnach nur, dass um das Prädikat Mindfuck zu verdienen, der Film etwas im Verstand des Zuschauers bewirken muss. Etwas womit der Zuschauer nicht wirklich klarkommt. Etwas das Irritationen oder gar Schmerzen verursacht. Etwas das einen sehr lange noch beschäftigt, aber wo man sich irgendwann eingestehen muss, dass wir wohl nie in der Lage sein werden, das ganze komplett logisch aufzudröseln. Ein Mindfucker kann unser Gefühl der Realität stark angreifen, und uns in seiner extremsten Form den Boden unter den Füßen wegziehen. Auf jeden Fall ist ein Mindfuck aber ein unvergessliches Seherlebnis. Auf diesen Punkt können wir uns vielleicht einigen.


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