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Aufwachsen im Kino - Das Capitol lädt zum Coming-of-Age-Abend

24.11.2016 - 14:03 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Szene aus Amateur Teens
Look Now! Filmverleih
Szene aus Amateur Teens
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Das Festival Filmz öffnet wie jedes Jahr wieder die Pforten der Kinosäle für jeden Filminteressierten und Filmliebhaber und bietet dabei ein umfangreiches Spektrum an Angeboten. Neben dem im Zentrum stehenden Langfilmwettbewerb werden zahlreiche Kurzfilme präsentiert, welche entweder eigenständige Vorführungen erhalten oder als Vorprogramm zu sich im Wettbewerb befindenden Spielfilmen gezeigt werden. Der gestrige Mittwochabend stand im Capitol ganz im Zeichen des Themas Jugend.

Das Mainzer Capitol  ist ein schmuckes, kleines, wie ein altes Theater anmutendes Kino mit einem einzigen Saal. Loge und Parkett zeigen sogleich auf eine Leinwand, als auch eine Bühne. Und diese Bühne wurde auch gleich zur kurzen Einführung in den ersten Film des Abends genutzt. Einige Worte zum Regisseur, dem Genre und zum gesamten Programm des Abends wurden gesprochen. Dieser lief wie folgt ab:

Bei Eintritt durch den, eigens für das Wochenereignis, aufgestellten Torbogen und über den ausgerollten gelben Teppich erhält jeder Zuschauer einen Stimmzettel, welchen er nach Ende der Vorstellung ausfüllen darf. Dabei kann er auf einer Skala von 1 bis 5 seine Wahrnehmung des Films zu Papier bringen. Zum Abschluss des Festivals, am kommenden Sonntag, wird der Sieger-Film unter allen Spielfilmen bei einer eigenen Preisverleihung gekürt und der Gewinner darf sich an Reichtum und Prestige erfreuen. Es darf vorweggenommen werden: Ich stimmte einmal mit der vollen Punktzahl und einmal mit nur 2/5 Punkten ab.

Die gezeigten Filme behandelten, wie schon erwähnt, in ihrer Gesamtheit das Thema Jugend. Hierbei zählen nicht nur beide Hauptfilme, sondern auch jeweils ein zur Einführung gezeigter Kurzfilm. Beide waren dabei ca. 20 min lang und unterhielten auf ihre eigene Art und Weise. "Beschwerden eines Jünglings" war eine kurze Charakterschau von verschiedenen Jugendlichen und ihren klischeehaften Verhaltensweisen. Der Film konnte einige Lacher im Saal erzeugen und vor allem "Die nervöse Pistole" oder andere platte Sprüche werden wohl im Gedächtnis bleiben. "Streuner", der zweite Kurzfilm des Abends war ein halb animierter Abenteuerfilm zweier Jungen, welche im Wald auf einen streunenden Hund treffen und ihn auf unterschiedliche Art und Weise aufnehmen. Heraus stach dabei die angewandte Animationstechnik, denn während es wirkte, als wären die Körper der Figuren real abgefilmt worden und mit einem Filter überdeckt, waren die Köpfe gezeichnet, und erinnerten an die Gesichtszüge der Gorillaz.

Mehr im Gedächtnis blieben jedoch die beiden Hauptattraktionen des abends, gerade die erste. Nicht nur der Titel von Amateur Teens klingt provokant, auch die Art und Weise der Inszenierung und die gezeigten Charaktere. Der Films ist in 5 Akte aufgeteilt und trennt diese auch eindeutig durch Weißblenden und Nummerierung. Im Prinzip handelt er von einer Gruppe "Teens" welche an einer Schweizer Schule ihre alltäglichen Probleme durchleben. Dabei fokussiert sich der Film aber weniger auf die alltäglichen Abläufe, sondern mehr auf die Gefühlswelt, die inneren Konflikte, das Erkunden der Sexualität und Ausloten von Grenzen. Dies wird gerade durch das plakative Drehbuch, welches so einige übertrieben anmutende Wendungen parat hat, in faszinierender Manier umgesetzt und lässt den Zuschauer hinterfragen ob die eigene Jugend an Langweiligkeit eigentlich zu überbieten war. Trotz dieser gezeigten Extreme wirken die Entscheidungen der Figuren nur deshalb nicht immer nachvollziehbar, da das Denken und Fühlen eines 14-jährigen offenbar vollkommen anders funktioniert, als die eines nicht-pubertären Menschen. Dies ist also keine Schwäche des Drehbuchs, sondern zeigt wie tief man sich als Zuschauer in die sehr runden Charaktere hineinversetzen kann. Dabei spielen fast alle Darsteller ansehnlich, man merkt stellenweise noch die fehlende Erfahrung, aber hier sollte ein nicht-Schauspieler sein Urteil sowieso möglichst hintenanstellen. Nach ca. 3/4 des Films bietet die Story dem Zuschauer dann noch einen Schlag ins Gesicht. Wo man vorher nicht sicher war ob es sich um eine Komödie oder ein Drama handelt, ist man sich in diesem Zeitpunkt zumindest sicher warum ein Drama in vorgegangenen Vortrag angekündigt wurde. Die niederschmetternden Figurenkostellationen gegen Ende des Films spiegeln schmerzhaft die Realität wieder und decken zugleich große Makel am Schulsystem auf. Dabei ist dies niemals penetrant oder aufdringlich, sondern steht leise am Rand und ist auf den ersten Blick kaum zu erblicken.

Spielfilm zwei an diesem Abend war Einer von uns, ein österreichischer Film über Perspektivlosigkeit und die Schere zwischen dem unterprivilegierten Rand der Gesellschaft und der versnobten und spießigen Oberschicht. Dabei arbeitet der Film mit ruhigen und für den Zuschauer etwas anstrengenden Einstellungen mit hoher Tiefenschärfe, bei langen andauernden Detail-Aufnahmen. Teilweise an Nicolas Winding Refn erinnernde, psychedelisch-wummernde Elektro-Beats unterstützen diese manisch-kühlen Bilder. Ein Supermarktparkplatz als Lebensmittelpunkt auf dem verschiedene Kulturen und ihre Weltanschauungen aufeinander treffen. Dabei stehen auf der einen Seite die intoleranten und spießigen Bürger, vertreten durch aggressive Polizei, zugeknöpfte Filialleiter und hasserfüllte Ladenbesitzer. Auf der anderen gelangweilte Jugendliche ohne Aussicht mit hohem Frustfaktor und geringer Hemmschwelle. Negativerlebnisse werfen sie aus der Bahn und provozieren durch die ausgelöste Gewalt wiederum den Counterpart. Diese beiden Welten werden konfrontiert und würde dies nicht auf einer wahren Begebenheit beruhen, würde man den finalen Akt um Polizeigewalt und eigentlich harmlose Straftaten fast nicht glauben. Der Regisseur begnügt sich aber nicht mit diesen Punkten, der Supermarkt zeigt die übertriebene Macht des Kapitalismus. Auf Brusthöhe hat ein Produkt die schönste Aussicht im Regal. Tausende Produkte aufgereiht in all ihren Ausprägungen und Formen, und mittendrin ein einzelner angebissener Apfel.

Beide Filme sind auf ihre Art ansehnlich, dennoch fehlt Einer von uns neben all den kritischen und reflektierenden Aspekten eine über 90 Minuten packende Handlung welche sich leider sehr nach einem deutschen 0815-Drama anfühlt. Dies ist fast die schlimmste Bezeichnung welche ein Film bekommen kann. Amateur Teens wiederum ist ein auf vielen Ebenen sehenswerter Film, welcher gerade durch die Verbindung von Witz und Tragik überzeugt.

Die 20 Uhr Vorstellung war gut besucht und hat seit längerem mal wieder mehr Zuschauer ins Capitol  gespült, was für seine Tolle Atmosphäre und sein unschlagbares Filmangebot leider viel zu wenig besucht wird. Deshalb soll hier noch einmal Werbung gemacht werden. Das Filmz-Festival  lief vom 22. bis 27.11. und auch darüberhinaus sollte ein Besuch im besten Kino der Stadt immer in Betracht gezogen werden.

Wenn wir schon bei Werbung sind, darf auch jeder gerne meinem Instagram-Account  folgen und weitere Blogeinträge zum Festival oder darüberhinaus lesen.

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