In Hollywood ist seit neuestem das große Märchenfieber ausgebrochen. 2013 wird die Geschichte von Dornröschen mit Hailee Steinfeld in der Rolle der Sleeping Beauty aus der Perspektive des Prinzen erzählt, in Hänsel & Gretel: Hexenjäger bricht ein schlimmer Alptraum über die verbliebenen bösen Zauberinnen herein und Die fantastische Welt von Oz bietet das Prequel zum fantastischen Der Zauberer von Oz mit Judy Garland.
Vorerst wird aber der Märchenklassiker schlechthin in diesem Jahr gleich zwei Mal auf die große Leinwand gebracht: Schneewittchen von den Gebrüdern Grimm. Im düsteren Snow White and the Huntsman setzt die böse Königin Charlize Theron ihren Jäger auf die junge Kristen Stewart an und im opulenten Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen ist es Julia Roberts, die den roten Apfel vergiftet. Um die Leistungen dieser Filme im Nachhinein dann kompetent beurteilen zu können, wird wohl kein Weg daran vorbeiführen, noch einmal den unvergessenen Zeichentrickfilm von Disney Revue passieren zu lassen.
Eine märchenhafte Vision
Dass die Produktionsgeschichte von Schneewittchen und die sieben Zwerge trotz der frühen Entstehungszeit so lückenlos dokumentiert wurde, unterstreicht die gravierende Bedeutung für die internationale Filmgeschichte. Die Adaption des grimmschen Märchens war nämlich nicht irgendein Streifen, sondern der erste abendfüllende Animationsfilm aus dem Hause Disney.
Vor 1937 verdiente die Firma ihr Geld in erster Linie mit Cartoons, die im Vorprogramm von großen Kinofilmen liefen. Die Weiterentwicklung der filmischen Bandbreite war Disneys einzige Überlebenschance. Hämische Kollegen aus Hollywood verlachten Walt für seine Vision von erfolgreicher Zeichentrickunterhaltung, das hielt ihn jedoch nicht davon ab, seine Ziele enthusiastisch weiterzuverfolgen. Höchstpersönlich stattete er diversen Banken einen Besuch ab und nahm sogar eine Hypothek auf sein Haus auf, um das nötige Geld zusammenzusammeln.
Wer ist der Eifrigste im ganzen Land?
Für die Mitarbeiter artete die Herstellung von Schneewittchen und die sieben Zwerge zu einem echten Mammutprojekt aus. 750 Künstler des vergleichsweise kleinen Studios arbeiteten an dem Film, darunter 158 ausschließlich weibliche Tuscherinnen und Koloristinnen. Jeglicher Einsatz von Spezialeffekten, sei es die Darstellung von Rauch, Wasser, Staub oder auch nur eine besondere Kameraperspektive, musste mit Walt Disney persönlich ausdiskutiert werden.
Der euphorische Übervater des Projekts wäre dann auch fast zum Hindernis für sein erstes großes Werk geworden. Die soeben fertiggestellte Multiplan-Kamera ermöglichte mithilfe in die Tiefe gestaffelter Glasplatten einen realistischen 3D-Effekt und begeisterte Walt Disney so sehr, dass dieser den kompletten Film neu drehen wollte. Nur sein Bruder Roy Edward Disney und die involvierten Banken konnten ihn von diesem ehrgeizigen Plan abbringen und so gab es in Schneewittchen und die sieben Zwerge letztlich nur sehr wenige Multiplan-Szenen. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich meine, das tut dem Genuss keinen Abbruch.
Sieben Zwerge machen Hollywood-Karriere
Im Wesentlichen basiert der Disney-Animationsfilm natürlich auf der berühmten Vorlage der Brüder Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, doch um ein auf modernes Kino konditioniertes Publikum über eine ganze Filmlänge bei der Stange zu halten, musste der Streifen doch noch ein wenig auf Hollywood getrimmt werden. Anstatt die böse Hexe sich wie im Original in brennenden Pantoffeln zu Tode tanzen zu lassen, verschwört sich im Disney-Film die Natur gegen das hässliche Weib und ein Blitz reißt den Felsbrocken, auf dem sie steht, in den dunklen Abgrund und auch um Schneewittchen aus ihrem komatösen Schlaf zu wecken, reicht kein stolpernder Zwerg. Stattdessen muss der königliche Spross das schöne Schneewittchen küssen, woraufhin sie sich von den sieben kleinwüchsigen Freunden verabschiedet und in ihr neues Prinzessinenleben aufbricht.
Mit Schneewittchen und die sieben Zwerge zeigte Walt Disney seinen skeptischen Kollegen, wo der Animationshammer hängt. Einnahmen von 8 Millionen US-Dollar sprachen für sich und erhoben die Märchenadaption zum bis dahin erfolgreichsten Film. Zwei Jahre später erhielt Disney dafür einen Spezial-Oscar, bestehend aus einer normal großen Goldstatue und sieben symbolischen Miniatur-Oscars. 1940 folgten Pinocchio, Fantasia und all die großartigen Disney-Klassiker, die heute noch ausgedehnte DVD-Nostalgie-Abende füllen. Zeit wird’s mal wieder.
Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1937 bewegte:
Drei Filmleute, die geboren sind
22. April 1937 – Jack Nicholson, der Verurteilte aus Einer flog über das Kuckucksnest
01. Juni 1937 – Morgan Freeman, der Detective aus Sieben
31. Dezember 1937 – Anthony Hopkins, Hannibal Lecter aus Das Schweigen der Lämmer
Drei Filmleute, die gestorben sind
Mai 1937 – Sven Berglund, schwedischer Tonfilmpionier
07. Juni 1937 – Jean Harlow, die blonde Eadie aus Millionäre bevorzugtMillionäre bevorzugtThe Girl from Missouri
11. Juli 1937, George Gershwin, Komponist der Rhapsody in Blue aus Manhattan von Woody Allen
Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscar – Der große Ziegfeld von Robert Z. Leonard (Bester Film, Beste Hauptdarstellerin,…)
Goldener Löwe – Spiel der Erinnerung von Julien Duvivier
New York Film Critics Circle Award – Das Leben des Emile Zola von William Dieterle
Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Schneewittchen und die sieben Zwerge von David Hand
Saratoga von Jack Conway
100 Mann und ein Mädchen von Henry Koster
Drei wichtige Ereignisse der (Nicht-)Filmwelt
28. April 1937 – Benito Mussolini weiht in Rom die Filmstadt Cinecittà ein
07. Juli 1937 – der zweite Japanisch-Chinesische Krieg bricht aus
08. November 1937 – Joseph Goebbels eröffnet in München die Schau „Der ewige Jude“