Wir schauen Hannibal - Staffel 3, Folge 10

10.08.2015 - 08:10 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
...And the Woman Clothed in Sun
NBC
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Wir nähern uns dem Staffelfinale und damit dem Ende des Roten Drachen. Zeit also, seine tragische Liebesgeschichte auszuleuchten, die ihn erst zu diesem spannenden "Bösewicht" macht, der er jetzt ist.

Es gibt nichts menschlicheres, als das Verlangen nach Verständnis und Anerkennung, danach, von der Gesellschaft wertgeschätzt oder zumindest als individuelles Mitglied erkannt und akzeptiert zu werden. Was aber, wenn diese Mitgliedschaft in der Gesellschaft nicht gegeben ist, sondern lediglich der Status als Freak, als Aussätziger und damit jegliche Hoffnung auf Anerkennung verloren geht? Das allein wäre schon tragisch genug. Doch was, wenn die betroffene Person lediglich in der eigenen Wahrnehmung dieser Freak ist und somit gleichzeitig das Monster als auch der Schöpfer dieses Monsters ist? In ...And the Woman Clothed in Sun verfolgt Hannibal Fragen wie diese anhand des Bösewichts, sofern Dolarhyde mit seinem verkümmerten Selbstbewusstsein überhaupt so genannt werden darf.

"Did they... tell you how I look?" Francis (Richard Armitage) hat sichtlich Schmerzen, diese Frage zu stellen, immerhin ist Rebas (Rutina Wesley) Blindheit einer der Gründe dafür, dass das Verhältnis zwischen den beiden so erfolgreich ist. Sie bejaht und noch im selben Moment schämt sich Francis so sehr, dass er in den Schatten flüchtet, obwohl ihn ohnehin niemand sehen kann. Vielleicht ist es die Angst davor, nun auch in Rebas Augen ein Monster zu sein, genau so wie - zumindest innerhalb seiner Einbildung - in den Augen aller anderen auch. Dass Reba ihm versichert, sein deprimierendes Selbstbild sei den anderen zufolge völlig unbegründet, hilft natürlich nicht mehr, denn Francis hat sich schon längst in seine Sackgasse manövriert. Doch Reba beweist ihm, dass es vielleicht noch Hoffnung für ihn gibt. Der Liebesakt zwischen den beiden, genauso spirituell inszeniert wie es sich für Francis angefühlt haben muss, offenbart sie als die in Sonne gekleidete Frau und damit fangen die Probleme im Grunde erst an.

Für den großen roten Drachen gibt es nur eine Möglichkeit, mit dieser Frau umzugehen. Er muss sich auf sie stürzen, sie muss Teil von ihm werden. Doch dieser Vorgang würde Rebas Tod bedeuten und das verkraftet Francis nicht. Noch ist er der Tiger, der ruhig schläft und sich von Reba behutsam streicheln lässt. Sie genießt die Präsenz ehrfürchtig und fährt ihm durchs Fell, versucht sein Wesen zu ertasten, ganz vorsichtig, liebevoll und nicht zu aufdringlich. Doch ihre Furchtlosigkeit bedeutet Gefahr. Ohne zu zögern legt sie ihre Hände an die Zähne der Raubkatze, eine Entscheidung, die Francis gar nicht mit anschauen kann. Wenn dieser Tiger aufwacht, dann ist es vorbei mit Reba, die einzige Person, die ihm das Gefühl geben konnte, vielleicht mehr zu sein als das, wofür er sich selbst hält. Diese Frau darf dem Tiger nicht zum Opfer fallen, also darf der Tiger niemals aufwachen.

So gesehen ist Francis' Besuch im Museum mehr als nur der nächste logische Schritt in seiner Metamorphose zum Roten Drachen, dessen Gestalt anzunehmen er so sehr begehrt. Es ist auch ein Akt der Verzweiflung, durch Einverleibung des Gemäldes die Kontrolle über diesen Drachen zu erlangen, etwas, das für Francis zuvor nicht unbedingt erstrebenswert gewesen ist, doch mit dem Auftreten Rebas unabdinglich ist, um die Sicherheit ihres Lebens zu gewährleisten. Bis dahin spendet Hannibal (Mads Mikkelsen) Trost. Francis ist vor dem Telefonat mit seinem Idol richtig aufgeregt und übt ein paar Laute vor dem Spiegel, um nicht wie ein Idiot zu klingen. Das Gespräch verläuft dann auch genau so schön, wie er es sich erhofft hat. "What particular body you currently occupy is trivial", sagt Hannibal und trifft damit genau ins Schwarze. Der Satz sorgt für eine förmlich spürbare Entlastung bei Francis, der so wirkt, als fühle er sich zum allerersten Mal in seinem Leben aufrichtig verstanden. "I knew that you alone would understand", erwidert er mit vor Freude taumelndem Gestammel.

Doch Hannibal ist erstens nicht gerade selbstlos und zweitens ein Sadist, also wird er Francis' grenzenlose Verehrung ihm gegenüber kaum ungenutzt lassen. Mit einem kleinen Trick ergattert er die neue Adresse von Will (Hugh Dancy) und seiner Familie und es ist nicht so schwer zu erraten, was er mit dieser Adresse vorhat. Immerhin hat er sich ein eigenes Leben aufgebaut, mit einer eigenen Familie, mit Menschen, die er liebt. Dass Hannibal demgegenüber ein kleines bisschen eifersüchtig steht, das wissen wir bereits, seitdem er eingesperrt ist. Francis in seiner maßlosen Bewunderung für Dr. Lecter zudem ein ziemlich leichtes Opfer für Hannibals Manipulationsspielchen, die er schon so lange so gerne durchführt.

Bedelia (Gillian Anderson) schien in der Tragweite Hannibals Psychopläne deshalb schon immer mal mehr, mal weniger Opfer zu sein. Im Gespräch mit Will und im tragischen Rückblick ihres Patienten Neal (Zachary Quinto) wird jedoch erst klar, wie kalt sie wirklich ist und wie eigenständig sie eigentlich handelt. Bei dem Anblick eines verletzten Vogels denke sie nach eigenen Angaben zwar auch an die Verletzbarkeit des armen Tieres, aber ebenso spüre sie auch den Drang, es zu töten. "A primal rejection of weakness" nennt sie das und das ist völlig normal. Natürlich sind derartige Verlangen nicht gerade die beste Voraussetzung, um Therapeutin zu werden, zumindest aus Sicht der Patienten, wie Neal deutlich zu spüren bekam.

Das ganze Gespräch zwischen Bedelia und Will ist von einem Hauch der Romantik und Bitterkeit verflossener Liebe durchzogen, muss es ja auch, schließlich geht es wie immer um Hannibal. Bedelia redet von alten Flammen und davon, dass ihre Beziehung zu Hannibal nie so leidenschaftlich gewesen ist, wie die zwischen ihm und Will. Ob da nun ein verletzter Unterton in ihrer gewohnt klinischen Darstellung menschlicher Gefühle rauszuhören war, ist nicht so ganz klar. Ist aber auch gar nicht so wichtig, denn im Grunde geht es jetzt um Wills Familie. "Is your wife aware of how intimately you and Hannibal know each other?" Eine berechtigte Frage und Wills vage Antwort verrät, dass sie sich dessen überhaupt nicht bewusst ist. Das wird sich aber vermutlich schon bald ändern.

"He sends me greeting cards on christian holidays and my birthday. He always includes a recipe."

Notizen am Rande:

- Es kann nie genug Tiger geben, in dem Sinne: Hier , hier  und, nur um klarzustellen, dass es kein echter Tiger war, hier .

- Hannibal - die einzige Serie, in der Papieressen verstörender ist als ein Arm, der bis zum Ellenbogen in einen fremden Rachen gepresst wird.

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