Wir schauen Fear the Walking Dead - Staffel 1, Folge 4

22.09.2015 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Madisons (Kim Dickens) Welt bricht erneut zusammen.AMC
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Die Apokalypse macht diese Woche eine Pause. In der neuen Folge von Robert Kirkmans Zombie-Spin-off gibt es keinen einzigen Zombie zu sehen. Der Spannung tut das jedoch keinen Abbruch.

“He will wipe every tear from their eyes. There will be no more death or mourning or crying or pain, for the old order of things has passed away.“ Revelation 21:4

Nick chillt im Pool, Travis joggt durch die Nachbarschaft und Madison plant die Wand neu zu streichen. Lou Reeds “Perfect Day“ kommt aus dem Off und könnte nicht perfekter zur aktuellen Lage passen. Schließlich ist wieder so etwas wie Normalität eingekehrt. Zumindest versuchen sich die Menschen das in der neu geschaffenen Sicherheitszone rund um das Haus der Clarks einzureden. Der Zuschauer weiß natürlich, dass dies nur von begrenzter Dauer sein kann. Doch auch die Figuren haben dazugelernt und vertrauen ihrer neuen Umwelt nicht wirklich.

Durch einen Zeitsprung hatten sie schließlich nicht nur die Chance, ein Stück Normalität zurückzugewinnen, sondern auch ihren Kenntnisstand in Sachen Zombies zu verbessern. Es haben sich Bezeichnungen wie the infected eingebürgert und nach den neuesten Informationen des Militärs wird keine Figur so schnell mehr den Kontakt zu den Walkern suchen. Dieser Lernprozess mag vielleicht für den Geschmack mancher Zuschauer langwierig und schwerfällig vonstatten gegangen sein, doch er verdeutlichte uns nicht nur die Unschuld der Charaktere, sondern auch die Mythologie der Serie. Es wird keine Erklärung der Seuche geben.

Apropos Militär: Ein nettes Detail in dieser Folge ist das 79th Infantry Brigade Combat Team , eine tatsächlich existierende Infanteriebrigarde, die der Gouverneur Kaliforniens einberufen kann. Diese, so verspricht der Wikipedia-Artikel, unterstützt nicht nur die zivilen Behörden. Ihre Struktur ist auch so in sich geschlossen angelegt, dass jede einzelne Sicherheitszone von nun an eigenständig agieren kann. Noch ist das jedoch nicht der Fall.

Los Angeles - ein Versuch der Rettung

Der klischeehafte Moyers, der der Militärpräsenz in der Zone ein Gesicht verleiht, ist bisher ein blasser Bösewicht. Er befolgt lediglich Befehle, liest Anordnungen vor und vertröstet die Leute. Er ist nicht herzlos, gibt den Menschen eine Chance. Doch das Militär wird schon bald zum Gegenspieler. Leute verschwinden unter nebulösen Umständen in ein nahegelegenes Krankenhaus. Eine nebensächliche Bemerkung Moyers, die man zunächst als Sarkasmus verbucht, entpuppt sich später als traurige Wahrheit.

Es ist sehr stimmig, dass die gesamte Folge ohne einen einzigen Zombie auskommt. Ist die gesamte Apokalypse bisher doch eher den zwischenmenschlichen Beziehungen untergeordnet. Das Ende der Welt scheint ein lösbares Problem verglichen mit Nicks Sucht, die diese Woche einen traurigen Höhepunkt findet. Er ist nicht nur für den wahrscheinlichen Tod eines Nachbarn verantwortlich, sondern erfährt von seiner Mutter auch eine Tracht Prügel. Beide fühlen sich hilflos und wissen sich nicht mehr anders zu helfen. Dass diese Interaktion die letzte sein könnte, die Mutter und Sohn je haben werden, unterstreicht die Traurigkeit ihrer Beziehung nur weiterhin.

Die anderen Figuren haben ebenfalls größere Probleme: Ofelia versucht durch eine Beziehung mit einem Soldaten an die stark rationierten Medikamente zu kommen. Travis und Madison (Kim Dickens) suchen in einem kleinen Streit Ablenkung. Ihre Tochter leidet unter dem Verlust ihres Freundes. Nur Chris wagt noch den Blick außerhalb des Zauns auf das ganz Große.

Wie auch immer die Umstände sich jedoch aktuell gestalten sollten, die Menschen in der Sicherheitszone India können froh sein: Sie sind die Glücklichen, die bisher überlebt haben und unter Aufsicht des Militärs diese schwierige Lage durchstehen dürfen - bis die Ordnung wiederhergestellt ist. Doch wie schon der Bibelverweis am Zaun (Offenbarung 21:4) beweist: Diese alte Welt ist verloren. Für immer.

Chris informiert uns zu Beginn der Folge in einem etwas gekünstelten Monolog, dass außerhalb des Zauns alles tot ist. Hier und da brennen unkontrolliert ein paar Häuser, aber die meisten Menschen sind entweder gestorben oder aus der Stadt geflohen. Dass dies nicht ganz korrekt ist, versichert uns Drehbuchautorin Meaghan Oppenheimer gleich zu Beginn. Und tatsächlich wird das blinkende Licht zum Gesprächsthema in der Folge. Sofern die Figuren also nicht gerade lebensgefährliche und unbeschreibliche Situation erfahren, tauschen sie Informationen aus. Das dürfte einige Zuschauer beruhigen.

Während das Misstrauen gegenüber des Militärs im Rest der Episode wächst, gipfelt die Anspannung mit einer fürchterlichen Realisation. Die schlimmsten Befürchtungen werden nicht nur bewahrheitet, sondern sogar noch übertroffen. Das Perfide daran: Travis (Cliff Curtis) ist indirekt dafür verantwortlich und kann den Horror nicht verbergen.

„Not Fade Away“ markiert einen interessanten Wendepunkt in der Geschichte von Fear the Walking Dead. Bisher hatte sich die Serie größte Mühe gegeben, die Eskalation der Apokalypse mit einer dichten Atmosphäre in einem fast schon dokumentarischen Stil zu schildern. Nun sind neun Tage vergangen. Angeblich ist der große Kampf bereits vorbei. Die Behörden scheinen der Situation gewachsen zu sein, die Apokalypse ist managebar geworden.

Nun verlässt Fear in der vierten Episode aber weder seine stimmige Erzählung noch die dichte Atmosphäre. Die gesamte Folge widmet sich aber den zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Worldbuilding dieser neuen Nachwelt. Es wird jedoch nicht mehr nur die Frage gestellt, wie der einzelne Mensch auf die neue Gefahr reagiert und sie psychologisch verarbeitet. Dieser Prozess ist vorerst abgeschlossen, die Figuren haben die Regeln der neuen Welt verinnerlicht.

Während sich The Walking Dead mit der Frage beschäftigt, wie ein menschliches Zusammenleben funktioniert, wenn die Regeln der Gesellschaft und Zivilisation nicht mehr existieren, geht Fear den spannenden Mittelweg. Rick (Andrew Lincoln) und Co. müssen Regeln nicht mehr verinnerlichen, sie können sie selbst aufsetzen. Travis und Madison können dies in ihrer jetzigen Lage natürlich nicht. Sie müssen sich der alten Ordnung, die sich mit allen Mitteln und Kräften krampfhaft versucht zu retten, unterordnen.

Fear erörtert daher sehr detailliert, zu welchen Schritten eine Regierung in der Zombieapokalypse bereit sein muss, um die Kontrolle zu wahren. Wie schon zuvor sehen wir jedoch keine Massengräber, keine großen Schlachten und keine Zombiehorden. Die Serie bleibt sich in ihrer konkreten und persönlichen Erfahrungsebene treu. So werden wie in den vorangegangen Folgen die wahren Vorgänge nur angedeutet, aber gekonnt mit starken Bildern von Regisseurin Kari Skoglang erzählt, wo es für die Figuren Sinn macht.

Natürlich wäre für einen Zombieangriff Platz gewesen - zum Beispiel, als Madison aus der Sicherheitszone schleicht. Doch die Zombies hätten nur von der wahren Bedrohung und hier wichtigen Realisation abgelenkt. Neben Madison liegt nämlich kein Zombie, sondern eine blonde Frau in ihrem Alter. Es hätte auch sie sein können, wenn sich das Militär eine etwas andere Nachbarschaft ausgesucht hätte. Die Frau wurde erschossen, noch bevor sie sich verwandeln konnte. Nein, diese Frau wurde geradezu hingerichtet, und das Ende bestätigt, was die ganze Folge über bereits impliziert wurde.

Nach den ersten beiden Tagen hatten die Behörden die Übersicht verloren und sich in Zonen verkrochen, in denen eine Nulltoleranzstrategie verfolgt wird. Man versteht den “Virus“ (mangels eines besseren Wortes) nicht, also will man kein Risiko eingehen. Madisons Entdeckung, ebenso wie das Ende, implizieren, dass im Umkreis auf skrupellose Weise gegen Menschen und Zombies vorgegangen wird. Ein Großteil der Bevölkerung wird ganz ihrem Schicksal überlassen. Leser von Max Brooks Zombieroman World War Z werden sich an den Redekker Plan  erinnert fühlen.

Der eindringlichste Moment der Folge kommt jedoch kurz vor dem Schluss. Daniel (Rubén Blades) erzählt Madison eine Geschichte aus seiner Kindheit. Der Familienvater, der sich in der Vergangenheit bereits als vorausahnender Mann entpuppt hat, warnt seine Hausherrin: “If it happens, it will happen quickly. And you must be prepared.” In seinem Fazit unterstreicht er die Bedeutung der Gefahr, die von anderen Menschen ausgeht. Er unterscheidet nicht zwischen den Aktionen, die Menschen in einer Gefahrensituation aus purem Egoismus gegen ihn oder aufgrund von Angst begehen. Für ihn steht fest: Da gibt es keinen Unterschied.

Und so unterstreicht “Not Fade Away“ den wichtigsten Moment der Comic-Vorlage, den die Originalserie so ärgerlich vernuschelt hat: Die wahren walking dead sind die noch lebenden Menschen. Ihre Zeit auf Erden ist begrenzt und geliehen - und wenn sie endet, beginnt sie als Walker. Genau deshalb macht der Titel des Spin-offs auch auf lange Sicht gesehen so viel mehr Sinn. Auf effekthascherische Momente wie den kreativen Zombie-Kill-of-the-Week darf die Serie gerne weiterhin verzichten. Das menschliche Befinden während einer Zombieapokalypse, das gewissenhaft und seriös erörtert wird, ist viel interessanter und ohnehin näher am Comic als das Original.

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