Der Dallas Buyers Club und das Tabuthema AIDS

05.02.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Matthew McConaughey in Dallas Buyers Club
Ascot Elite
Matthew McConaughey in Dallas Buyers Club
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Matthew McConaughey ist der erste Hollywoodstar seit Tom Hanks, der im US-Mainstream-Kino die Hauptrolle eines AIDS-kranken Menschen spielt. Die Angst der Traumfabrik vor dem Thema lässt sich zwar erklären, nicht jedoch entschuldigen.

Auf den Monat genau 20 Jahre ist es her, als mit Philadelphia der erste Hollywoodfilm über AIDS in die deutschen Kinos kam. Und 20 Jahre hat es auch tatsächlich gedauert, ehe eine US-amerikanische Mainstream-Produktion die Immunschwäche noch einmal zum zentralen Thema eines Spielfilms machen würde, mit einem großen Star in der Hauptrolle, mit viel Oscartamtam. Dallas Buyers Club ist, schon seiner reinen Existenz wegen, gleichermaßen erfreulich wie bedauerlich. Erfreulich, weil es ihn gibt, als einen Hollywoodfilm über das politische und gesellschaftliche Klima in den USA zur Zeit des Ausbruchs von AIDS, als einen Film also, der das Thema auch im US-Kino-Mainstream endlich einmal zu verhandeln wagt. Bedauerlich hingegen, weil es dennoch 20 lange Jahre brauchte, um es dem Oscargewinner, Kassenhit, Publikums- und Kritikerliebling von 1993 nachzumachen. Und so markiert der Kinostart von Dallas Buyers Club auch eine unrühmliche Leerstelle in der Traumfabrik, an der jede filmische Beschäftigung mit der Krankheit und ihrer Bedeutung ausblieb – in die Unsichtbarkeit verdrängt, als nicht erzählenswürdig erachtet, augenscheinlich konsequent tabuisiert.

Ein Leben mit HIV und AIDS vielfältig abbilden
Dabei schien selbst Philadelphia seinerzeit bereits reichlich mutlos in der längst überfälligen Kinoaufbereitung einer entsprechenden Geschichte, mit der das US-Mainstream-Kino sich 1993 zahlreichen Fernseh-, Dokumentar- und Independentfilmen über das Thema anschloss. Während Hollywood- und Unterhaltungsgrößen wie Rock Hudson, Anthony Perkins oder Liberace an den Folgen der Infektion starben, scheuten sich einzig TV-Produktionen (Früher Frost, 1985), Nischenfilme (Buddies, 1985) und Dokumentationen (Common Threads: Stories from the Quilt, 1989) nicht vor Repräsentation. Als das AIDS-Drama mit Tom Hanks einen wichtigen Meilenstein im Mainstream-Kino bildete, hatte sich das (New) Queer Cinema durch Filme wie Parting Glances (1986) oder The Living End (1992) längst ein umfangreiches Werk erarbeitet, das ein Leben mit HIV und AIDS in vielfältiger Weise abbildete. Und es vereinbarte bereits damals Komik und Tragik, Optimismus und Ausweglosigkeit, Banalitäten und Tiefsinn. In Deutschland drehte Rosa von Praunheim 1986 sogar eine AIDS-Satire (Ein Virus kennt keine Moral), in der Gesundheitssystem und Öffentlichkeitswahrnehmung schon bitterböse verballhornt wurden, als Hollywood noch nicht einmal imstande war, wenigstens einen konventionellen Film über das Thema in Produktion zu geben.

AIDS heißt nicht (nur) Sterben
Umso erstaunlicher ist es, dass das Hollywood-Filmgeschäft nach dem enormen Erfolg von Philadelphia eine eingehende Beschäftigung (und Problematisierung ohnehin) auch weiterhin zu umgehen verstand. Höchstens am Rande durften und dürfen HIV-positive Figuren eine Rolle spielen, fast immer sind sie dabei weiß und heterosexuell, und fast immer müssen sie sterben: Mary-Louise Parker in Kaffee, Milch und Zucker (1995), Joseph Mazzello in Mississippi – Fluss der Hoffnung (1995) oder Ed Harris in The Hours – Von Ewigkeit zu Ewigkeit (2002) sind nur einige Beispiele für eine feige, einseitige und verklemmte Darstellung der Krankheit. AIDS ist in Hollywoodfilmen, wenn überhaupt, an die Peripherie verdrängt – und die entsprechenden Geschichten führen immer zu Leid, Isolation und Tod, gleichwohl Therapien längst schon eine normale Lebenserwartung sichern können. AIDS heißt eben nicht (nur) Sterben, AIDS heißt Leben mit AIDS. Fast blamabel, wie das US-Kino hier dem Kabelfernsehen konsequent hinterherhinkt: Mit …und das Leben geht weiter (1993) sowie n/a (2003) hat allein HBO zwei Produktionen verantwortet, die die Lebenswirklichkeit an AIDS erkrankter Menschen ungleich ernster nahmen als es der Hollywoodkinobetrieb bis heute tut.

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