Die witzlose Häme der Honest Trailer

08.04.2015 - 08:50 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
Screen Junkies: statt geistreicher Seitenhiebe vor allem nerdige Erbsenzählerei.
Defy Media, LLC
Screen Junkies: statt geistreicher Seitenhiebe vor allem nerdige Erbsenzählerei.
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Woche für Woche bastelt das Internetmagazin Screen Junkies witzlose Trailer zu Filmen, die es auf das angebliche Versagen der Macher abgesehen haben. Ihre Opfer sind leichte Beute.

Über 23 Millionen Mal wurde das bisher populärste Video des Online-Magazins Screen Junkies  geklickt. Es handelt sich um eine vermeintliche Ankündigung des Films Die Eiskönigin - Völlig unverfroren, in der dramaturgische Schwächen, formale Unzulänglichkeiten sowie die allgemeine Gemachtheit der Disney-Produktion behauptet und veralbert  werden.

Screen Junkies hat viele solcher Videos im Sortiment, sie nennen sich Honest Trailers. Ihr Ziel ist es, Filme so zu präsentieren, wie sie eigentlich hätten präsentiert werden müssen – als angeblich aufrichtige Trailer, die ihr Produkt wahrheitsgemäß vermarkten. Konkret sieht das so aus: Bestimmte Szenen eines Films werden zu Pointen umgeschnitten, die Erzählerstimme imitiert den Habitus US-amerikanischer Trailersprecher. Es geht darum, einen Scheiterhaufen zu errichten und sich anschließend über ihn zu beömmeln. Haha, doofe Filme.

So weit, so verzichtbar – hätten die selbsternannten Screen Junkies damit nicht großen Erfolg. Mehr als 100 Honest Trailers produzierte das Magazin in den vergangenen drei Jahren. Rund vier Millionen Abonnenten zählt ihr YouTube-Kanal , auf dem Beiträge dienstags hochgeladen und sofort hunderttausendfach angeklickt werden. Viele Filmseiten berichten regelmäßig über neue Veröffentlichungen der zuverlässig hämischen und nur gelegentlich mal kleinlauten Videoreihe, darunter auch Moviepilot.

Natürlich weiß Screen Junkies um das virale Potenzial dieses Formats, in sozialen Netzwerken verbreiten sich die Honest Trailers selbst – oder vielleicht gerade? – mit Blick auf eine nicht sonderlich cinephile Zielgruppe. Gegenstand sind daher Filme von entsprechend hoher Popularität, Kassenerfolge und Blockbuster, die jeder gesehen hat oder zumindest etwas mit ihnen anzufangen weiß.

In seinem Artikel Nitpicking the nitpickers  hat Matt Singer ebendiese auf allzu populäre Filme beschränkte Auswahl kritisiert. Er analysiert das Phänomen der Honest Trailers treffend und mit richtigen Beobachtungen ("The subjects aren't the most suitable ones, they're the ones that are the most traffic-friendly" / "These videos feed on the fact that negativity spreads faster on social media than positivity"), um dann leider völlig falsche Schlüsse aus ihnen zu ziehen.

Seinem Empfinden nach seien die betreffenden Filme nämlich zu gut, um mehr oder weniger in den Dreck gezogen zu werden. Er gleicht die Videos am persönlichen Geschmack ab, die Machart der Honest Trailers hingegen stört ihn keineswegs (im Gegenteil, er lobt sie ausdrücklich). Filme wie Movie 43 und R.I.P.D. - Rest in Peace Department hält er lediglich für falsche Ziele.

So wenig originell das Auswahlverfahren der Honest Trailers tatsächlich sein mag, wird sie zumindest theoretisch lesbar als Kritik der Massenunterhaltung: Gepiesackt würden demnach "privilegierte" Filme, die böswillige Schadenfreude gut vertragen können. Nur ist praktisch genau das nicht der Fall. Die Videos der Screen Junkies üben keine Systemkritik, sie haben nichts zu sagen über Hollywood und seine Verwertungsmechanismen. Es geht ihnen nicht darum, ihren Ulk produktiv zu machen.

Stattdessen verfolgen sie kleinkarierten und eben nicht intelligenten Spott. Bemüht wird der Mythos Filmfehler, echauffiert wird sich über sogenannte Logiklöcher oder Unwahrscheinlichkeiten. In besserwisserischer Nerdmanier stellen die Macher Verweise zu anderen Filmen her, kleben an Plots und Offensichtlichkeiten, haben keinen sinnlichen Zugang zum Kino. Sie glauben Bescheid zu wissen und wissen eigentlich überhaupt nichts.

Zwar schlachten die Honest Trailers dabei (mittlerweile) auch heilige Kühe der jüngeren Kinogeschichte, entstanden aber sind sie bezeichnenderweise aus einer Idee des Nochmal-Zutretens. Die ersten Videos des Formats nahmen ausnahmslos Filme in Visier, auf die im Nerdkanon tonangebender Internetschreihälse seit Jahren beharrlich herumgetrampelt wird.

Zu Star Wars: Episode I - Die dunkle Bedrohung fiel den Screen Junkies dann auch kaum mehr ein, als wieder einmal  gegen Jar Jar Binks oder die redseligen Dialoge des Films anzugehen. Bei Twilight - Bis(s) zum Morgengrauen wurde sich ein hunderttausendstes Mal  über den "schwulsten Vampir der Welt" und die Enthaltsamkeitsfantasien von Stephenie Meyers amüsiert. Und natürlich  gab es auch sehr schnell einen Trailer zu Titanic, weil das ja nicht nur einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten ist, sondern auch ein Epos, das man nicht mögen darf, ohne sich dafür reflexartig entschuldigen zu müssen.

Dieser so langweilige wie kunstfremde Ansatz hat im Rahmen solcher und ähnlicher Formate Methode. Bei der YouTube-Konkurrenz Red Letter Media  oder dem verräterisch betitelten Videomagazin Cinema Sins  pflegt man ebenfalls einen erzwungenen Tonfall aus Erbsenzählerei und Häme.

Während sich Red Letter Media – ein Zusammenschluss von Independentregisseuren – jedes Prequel der neuen Star-Wars-Trilogie in bis zu 90 Minuten andauernden Schmähvideos  zur Brust nahm, hat es sich der Comedy-Channel Cinema Sins mit seinen "Everything wrong with"-Pamphleten  zur Aufgabe gemacht, angebliche Vergehen ("Sünden") bestimmter Filme in Countdown-Form abzuzählen.

Die Resultate sind selbstredend genauso geistlos wie bei den Kollegen von Screen Junkies. Sie verraten alles über die Betreiber dieser Kanäle und deren Auffassung von Kino, aber nichts über jene Filme, die dort zum komödiantischen Abschuss freigegeben werden sollen.

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