Komplette Biographie zu Sergei M. Eisenstein
Sergei M. Eisenstein zählt neben Vsevolod Pudovkin und dem wesentlich später geborenen Andrei Arsenjewitsch Tarkowski zu den bedeutendsten Filmkünstlern der untergegangenen Sowjetunion und den wichtigsten Pionieren des Kinos. Von ihm stammen die Stummfilmklassiker Panzerkreuzer Potemkin, Streik und Oktober.
Beinahe zeitgleich mit der Geburtsstunde des Kinos erblickte Sergei Mikhailovich Eisenstein am 23. Januar 1898 (einige Quellen nennen den 22. Januar 1898) das Licht der Welt. Als Sohn eines Architekten und Ingenieurs wuchs Eisenstein in gutbürgerlichen Verhältnissen heran. Obwohl auf einer naturwissenschaftlichen Schule sozialisiert, entwickelte er bereits in seiner Jugend ein stark ausgeprägtes Interesse für alles Künstlerische und Kreative. Eine Leidenschaft, die er auch während seines anfänglichen Ingenieursstudiums bewahrte. Nicht nur der Abbruch jenes Studiums, sondern ebenso unterschiedliche politische Auffassungen gegenüber dem Vater, ließen früh Eisensteins Affinität zu revolutionistischem Gedankengut durchscheinen. Die politischen Umwälzungen der damaligen Zeit, der Eintritt in die Rote Armee sowie die Arbeit als Karikaturist beeinflussten den jungen Eisenstein in Denken und Schaffen nachhaltig. Diese Umstände sind besonders in Werken wie Streik, Panzerkreuzer Potemkin und Oktober bis heute spürbar.
Über Umwege zum Film
Obwohl Eisenstein ein zweites Studium aufnahm, galt seine Liebe der Bühne. Als Kostümzeichner und Bühnenbildner heuerte er beim Theater Proletkult an, wo er im Zuge dessen auch schnell zu lehren begann. Zu diesem Zeitpunkt nahm sein Leben eine entscheidende Wendung. Am Theater traff er auf Lev Kuleshov, über dessen Ansichten zur Filmmontage sich die Gelehrten bis heute streiten. Nichtsdestotrotz bildete Lev Kuleshov sowohl Fixpunkt als auch Inspirationsquelle für Eisensteins späteres Wirken. Letzterer widmete sich fortan dem Film. Jedoch zunächst nicht vom Regiestuhl aus, sondern hinter den Kulissen beim Schnitt. Wie in den frühen Jahren des Mediums üblich wurden ausländische Filme oftmals nachträglich im Schnittraum geändert, um sie dem hiesigen Geschmack gefälliger zu machen. Bei einer solchen unrühmlichen Prozedur assistierte Eisenstein 1923, als es dem Fritz Lang -Klassiker Dr. Mabuse, der Spieler – Ein Bild der Zeit an den Kragen ging. Noch im selben Jahr veröffentlichte Eisenstein seine Schriften zur „Montage der Attraktionen“. Damit schuf er ein gedankliches Grundlagenwerk, das mit seinen Montage-Überlegungen – unter anderem bezüglich Rhythmus, Ästhetik und intellektueller Herausforderung des Betrachters – bis in die Gegenwart hinein wirkt.
Fremd im eigenen Land
Dass Regisseure gerne langfristige Beziehungen mit ihren Kameramännern eingehen, ist kein Geheimnis. Eisenstein fand mit Eduard Tisse bereits früh einen Vertrauten auf Lebenszeit. Gemeinsam inszenierten sie 1925 mit Streik die Geschichte eines Arbeiteraufstands. Und bereits hier zeigt sich, was Eisensteins Filme auszeichnet. Drastisch setzte er dokumentarische Aufnahmen eines Schlachthauses gegen den blutigen Tod der protestierenden Arbeitermenge. Heute gelten diese Einstellungen als Paradebeispiel für Eisensteins Konzept der Attraktions- bzw. Assoziationsmontage.
Noch im gleichen Jahr drehte Eisenstein gemeinsam mit Eduard Tisse sein wohl berühmtestes Werk, für das er weltweit Anerkennung erntete: Panzerkreuzer Potemkin. Interessant hierbei, wie sich ebenfalls bestimmte Bildgruppen – exemplarisch sei die Treppenszene in Odessa genannt – ins kollektive Filmgedächtnis gebrannt haben.
Das Spannende an Sergei M. Eisensteins Werdegang ist mitunter die äußerst ambivalente Rezeption seiner Werke. Während sich ausländische Kritiker mit Lobhudeleien überschlugen, erfuhr der Regisseur – insbesondere für Oktober (1928) – von sowjetischer Seite heftige Kritik für seine ästhetischen und auch ideologischen “Verfehlungen”. Die Ereignisse führten soweit, dass Eisenstein selbstkritische Artikel veröffentlichen musste, in denen er Besserung gelobte. Infolgedessen verließ Eisenstein die Sowjetunion für einige Jahre und kehrte erst nach Zwischenstopps in Hollywood und Mexiko in die Heimat zurück. Der Zuschauer des 21. Jahrhunderts sollte es sich nicht nehmen lassen und erkunden, was die Stalinistische Regierung an Eisensteins Werken so verwerflich fand. Dazu empfehlen sich neben genannten Beispielen des Weiteren Alexander Newski und Iwan der Schreckliche. (Julian Moskal)