Wir schauen Daredevil - Staffel 1, Folge 1 & 2

15.04.2015 - 09:40 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Cut ManNetflix
14
6
Mit großer Spannung wurde die Netflix-Produktion von Daredevil erwartet. Nun ist das Ergebnis da und liefert genau das, was versprochen wurde: düstere Settings und einen ausgeprägten Hang zur Brutalität.

Drei Jahre sind vergangen, seitdem die Avengers sich in New York ausgetobt und nichts als Trümmerhaufen zurückgelassen haben. Während die Fans nun diese Zerstörungsorgie ausufernd bejubeln, gibt es im Marveluniversum genug Leute, die mit dieser Hinterlassenschaft ordentlich zu kämpfen haben. Genau hier spielt sich Netflix' Marvel's Daredevil ab: Im kaputten Hell's Kitchen, das zwar noch mit einem Fuß in unserer realen Welt steht ("Alright, shake it, I gotta go bribe a cop... kidding, NSA, if you're listening!"), doch sich seiner Rolle im Marvel Cinematic Universe durchaus bewusst ist.

Die großen Übel in Hell's Kitchen wurzeln in eben jenem zerstörerischem Vorfall, der hier bloß "the incident" genannt wird. Denn der damit einhergehende Wiederaufbau bringt - wie jedes Mal, wenn es um Immobilien geht - eine Reihe von geld- und machthungrigen Männern in weißen Hemden mit sich, die aus der Not Kapital schlagen wollen (“Every time someone punches one of these guys through a building, our margins go up three percent”) und dafür bereit sind, die Grenzen des Gesetzes zu überschreiten. Hier liegen natürlich nicht die einzigen Probleme des Manhattaner Stadtteils, der in jeder noch so verwinkelten Seitengasse mit Armut und Kriminalität konfrontiert ist. Verständlicherweise hat somit Daredevils Welt nichts mit der der Avengers zu tun. Hier ist es dunkel und brutal, Ruhe ist nie mehr als ein Vorbote der Gewalt. Netflix' Daredevil gibt sich schon in der ersten Folge, Into the Ring, erwachsener als seine Kollegen im Kino. Der Feind ist kein übermenschlicher Superschurke sondern Menschenhändler oder Immobilienhai oder Namenloser in einer Führungsposition eines vom Staat subventionierten Bauunternehmens.

Mittendrin befindet sich unser Held Matt Murdock (Charlie Cox). Into the Ring braucht nicht viel Zeit, um die zentralen Motive und Konflikte seines Protagonisten auszulegen. Noch bevor er das erste Mal auf Verbrecherjagd geht, erfahren wir, dass Matt Katholik ist. Vielleicht nicht unbedingt streng gläubig, aber gläubig genug, um einen Priester zur Beichte aufzusuchen. Es ist eine interessante Entscheidung, seinen Glauben zu charakterisieren, bevor wir erfahren, dass Murdock auch noch Anwalt ist. So stehen seine Gewalttaten in dem ersten Kampf gegen die Menschenhändler lediglich unter dem Vorzeichen seiner Religion, die dieses Handeln so zwiespältig aussehen lässt. Auf diese Weise wird eine klare Hierarchie in Matts Bewusstsein offen gelegt, nach der sein Problem in erster Linie darin liegt, unchristlich zu handeln und erst in zweiter darin, gegen das Gesetz zu verstoßen.

Sein Partner Foggy Nelson (Elden Henson) sieht das anders. Während Matt sein Aufgabenfeld als Anwalt darauf beschränkt, die Unschuldigen zu verteidigen, zählt Foggy zu jenen auch jeden, der noch nicht verurteilt wurde - "as the law states", betont er mit Nachdruck. Daredevil deutet hier auf einen jahrhundertealten und immer noch aktuellen, (inneren) Konflikt unter Anwälten. Die Frage nach Gerechtigkeit und eines von Figur zu Figur variierenden Verständnisses davon ist eines der Leitmotive dieser Serie. In der Pilotfolge führen diese unterschiedlichen Ideologien noch zu keinem Konflikt, denn bei ihrer ersten Klientin Karen (Deborah Ann Woll) ist sich Matt sicher, dass sie unschuldig ist. Foggy möchte seiner Natur entsprechend irgendwie einen Deal mit der Staatsanwaltschaft aushandeln, denn die Beweise sprechen eindeutig gegen Karen, immerhin wurde sie blutverschmiert, mit einem Messer in der Hand am Tatort aufgefunden. Doch Matt interessiert sich nicht für Beweise, sondern allein für seine semi-übersinnlichen Fähigkeiten als Fleisch gewordener Lügendetektor. Natürlich zu Recht, wie sich später herausstellt, denn Karen sollte der Mord bloß in die Schuhe geschoben werden, um sie aus dem Weg zu räumen und um an die Dokumente zu gelangen, die korrupte Machenschaften ihres Chefs preisgeben und von Karen entwendet wurden.

Neben den moralischen und rechtlichen Fragen, die Daredevil aufwirft, interessiert sich die Serie natürlich auch für ihren Protagonisten, sprich: Was treibt einen Mann dazu, sich maskiert auf Verbrecherjagd zu begeben, vor allem wenn besagter Mann blind ist? Die Antwort, die uns in den ersten beiden Episoden geliefert wird, ist denkbar einfach. Matt hatte ein sehr inniges Verhältnis zu seinem Vater Jack (John Patrick Hayden), der Boxer war und seinem Sohn eine unerschütterliche Stehaufattitüde antrainierte, die sich bis in sein Dasein als Erwachsener hindurchzieht. Jack wurde infolge eines gewonnenen Boxkampfs, den er hätte verlieren sollen, umgebracht und war letzten Endes der ausschlaggebende Grund für Matt, zum Daredevil zu werden. Dass in ihm ein Teufel steckt, bemerkte offenbar schon seine Großmutter, wie Matt den Priester in der eröffnenden Szene wissen lässt ("She used to say 'be careful of the Murdock boys. They got the devil in them'"). Dieser innere Teufel ist ein kaum zu leugnendes Anhängsel, wenn nicht gar ein essentieller Bestandteil von Matts Charakter. Es ist nie ganz klar, ob sein radikaler Umgang mit der Gerechtigkeit immer aus einem Pflichtbewusstsein den unbescholtenen Bürgern gegenüber entspringt, oder ob der eigentliche Kick dieser ganzen Sache nicht in der Gewalt wurzelt, die er maskiert so ungeniert ausleben darf.

Aus diesem Grund ist die kompromisslose Brutalität, die diese Serie zur Schau stellt, nicht bloß der nächste logische Schritt eines Superheldentrends der düsteren Atmosphäre, sondern die filmische Aufarbeitung eines nicht zu verachtenden Teils von Matt Murdock selbst. Er trägt den Hass auf die kriminelle Unterwelt mit sich herum und nutzt die Gewalt als einziges Ventil für seine unterdrückte Wut auf diejenigen, die seinen Vater auf dem Gewissen haben. Das bebildert Regisseur Phil Abraham in den letzten Minuten der ersten Episode mit einer schicken Montage, in der die Machenschaften der Unterwelt von Hell's Kitchen mit den intensiven Trainingseinheiten von Matt zwischengeschnitten werden. Denn so sehr Matt sich selbst auch als Wohltäter und Kämpfer gegen das Böse präsentieren möchte, maskiert ist er ein gewaltbereiter Aggressor, dem es nicht nur um Gerechtigkeit für Verbrecher geht.

Das könnte dich auch interessieren

Schaue jetzt Marvel's Daredevil

Kommentare

Aktuelle News