Willkommen in der Zeit der inneren Unruhe

15.08.2015 - 07:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Was, um alles in der Welt, hast du zwei Jahre lang getrieben?moviepilot/Warner Bros./X-Verleih
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Die Suche nach einem Kaffee, eine Nacht in Berlin - und ein Kommentar zu einem der besten deutschen Filme der letzten Jahre. Über das Nachdenken und das, was wir dadurch verpassen...

Im Kommentar der Woche stellen wir euch jeden Samstag einen ganz besonderen Kommentar vor, der eine oder mehrere von euch irgendwo auf moviepilot so sehr beeindruckt, begeistert, fasziniert oder verstört hat, dass ihr nicht mehr an euch halten konntet, eure Tastatur gezückt, und eine Nachricht an sciencefiction oder Kängufant geschrieben habt. Hört nie auf damit! Sagt uns Bescheid! Denn der nächste Samstag wartet schon.

Der Kommentar der Woche
Von Zeit zu Zeit kommt ein Film daher, still und fast schon unscheinbar, in dem wir nicht nur uns selbst entdecken, sondern der unserer gesamten Generation, unserer Zeit, unserer Welt den Spiegel vorhält - so wie es Absurda. mit Oh Boy ergangen ist, und zu diesem bemerkenswerten Kommentar geführt hat:

Willkommen im Heute. Eine Zeit der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. "Was hast du zwei Jahre lang gemacht?" - "Nachgedacht." Nachdenken ist irgendwie eine von zwei Auswahlmöglichkeiten heutzutage: Entweder man geht arbeiten und funktioniert wie ein Uhrwerk, oder man widersetzt sich dieser Hierarchie und lebt bewusst instabil. Ich kenne genug Leute, die zur letzteren Kategorie gehören und mit dem Leben gut klarkommen. Sie wissen, was sie wollen und das setzen die auch um. Egal, ob sie dem Staat dienen oder nicht. Glückspilze. Nicht so wie Niko. Niko ist ein klassischer Denker, er denkt nach, man kann fast schon sagen, es ist sein Hobby, aber Leben ist bekanntlich das, was passiert, wenn man gerade Pläne schmiedet, oder wie hier halt einfach nur drüber nachdenkt, was man überhaupt für Pläne hat. Niko ist auch nicht der einzige. Er ist irgendwie einer von vielen, die suchen und einfach nicht finden. Da wäre der Schauspieler, der später mit Müh und Not zugibt, er sei in der Werbebranche tätig, weil er die perfekte Rolle nicht findet, und deswegen Taxi Driver zitiert, da wäre die von Minderwertigkeitskomplexen geplagte Schauspielern, die von Übergewicht zu Untergewicht gewechselt ist, weil sie von Mobbingerfahrungen geplagt wurde, und deren affektiertes Verhalten von ihrer Unfähigkeit, die Vergangenheit zu bewältigen, zeugt, oder da wäre auch der Mann, der ohne Familie aufwächst, sich in Bars besäuft und eigentlich doch nur jemandem davon erzählen will, wie sehr er als Kind das Fahrradfahren geliebt hat. Fürwahr: Wir leben in Zeiten der inneren Unruhe. Wir haben keinerlei Vorstellung mehr von einem "lebenswerten" Leben, weil wir anfangen, unsere Sterblichkeit zu vernachlässigen. Es bedarf einer Konfrontation mit dem Tod, um uns irgendwie aufzurichten, was neues anzufangen und aufhören, uns permanent ins Hirn zu wichsen. Wir leben im Zeitalter der Verjüngung. 50 ist das neue 30. Damals haben Menschen in ihren Mittzwanzigern geheiratet, mittlerweile stehen sie dem auch in den Dreißigern skeptisch gegenüber. Unsere innere Verjüngung führt uns zu der Vorstellung, wir seien unsterblich. Aber es macht uns nicht frei. Es macht uns neurotisch. Man kann sagen: manisch-nachdenklich - und irgendwie leben wir unser Leben nicht. Irgendwie lassen wir das Leben passieren. Als Hintergrund für unsere, in ungewisse Richtung verlaufenden Gedanken.
Welch bemerkenswert dargestellte Stagnation!

Den Originalkommentar findet ihr übrigens hier.

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