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Wieso ich "Lost" mein Herz schenkte

25.02.2017 - 15:45 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Wie diese Überlebenden war ich zu Anfang auch "verloren"
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Wie diese Überlebenden war ich zu Anfang auch "verloren"
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Es war schon immer klar, dass Serien eine ganz andere Erfahrung sind als Filme. Sie lassen sich mehr Zeit für die Geschichte und ihre Charaktere. Doch für eine lange Zeit vermied ich sehr lange Serien, da ich befürchtete, dass sie sich ziehen würden und man auf Dauer das Interesse verliert. Doch seht, wie mir diese Serie die Augen öffnete...

Vorwort

Es ist kein Geheimnis, dass ich Serien wie Breaking Bad verehre. Doch früher war ich nie wirklich der Serien-Typ. Die einzigen Serien, die ich mir ab und zu mal ansah, waren Soaps, die tagtäglich im Fernsehen zu sehen waren. Doch diese Serien widerlegten oft genug die Aussage "Was lange währt, wird endlich gut". Dass ich irgendwann mal Breaking Bad anschauen würde, war vorhersehbar, ich bediente mich oft von allem, das in den Himmel gelobt wurde. Ich hatte gehofft, dass die 90 Euro für die Komplettbox sich auszahlen würden. Und wie sie das haben! Einer der vielen Gründe, warum ich diese Serie ins Herz schloss, war aufgrund des Tempos der Geschichte. Es ließ sich Zeit, die Charaktere zu entfalten, aber auch nicht zu langsam, da die Geschichte weitergeführt werden musste. Ich hatte nie das Gefühl, als wäre irgendeine Szene überflüssig gewesen, als hätte man irgendetwas rausschneiden können und es hätte hinterher keinen Unterschied gemacht. Ich mag es sehr, wenn eine interessante Geschichte ein ideales Erzähltempo hat! Ich setzte das mit Game of Thrones fort, eine Serie, die mich immer noch interessiert und ich immer noch ungeduldig auf die nächste Staffel warte. Ich fand auch großen Gefallen an der Serie Sherlock, doch in meinen Augen waren es eher Filme als eine gewöhnliche Serie. Und schließlich brach dann "Die Ära der Serien, die mich am Anfang packten, doch mich nach und nach immer weniger interessierten" an. Einer der Hauptbeispiele ist The Walking Dead. Ich will es nicht bestreiten: als ich die ersten beiden Staffeln gesehen habe, war ich interessiert, in welche Richtung die Serie gehen würde. Doch ab Staffel 3 fing ich an, mich durch die Staffeln zu ringen, in der Hoffnung, dass es endlich einen roten Faden geben würde, dass die Charaktere endlich mal interessant gestaltet werden, doch da war nichts! Und jetzt zerbreche ich mir immer noch den Kopf darüber, wie ich meine Zeit mit dieser Serie verschwendet habe. Sorry an alle Walking Dead-Fans, aber das war für mich gar nichts! Diese Serie war der Grund, warum ich einen großen Bogen um Survival-Serien machte, besonders die, die sehr lange dauern. Mir erging es wie Rick Grimes:

Für eine lange Zeit rührte ich keine Serien mehr an. Doch dann hatte ich die Ehre, einem Moviepiloten zu begegnen, der wirklich Ahnung von Serien hat und er empfahl mir eine ganz besondere Serie, mit der ich anfangen sollte, meine Serienkenntnisse zu verbessern: Lost. Da ich seinem Geschmack vertraute, war ich bereit für eine neue Serie, für die ich viele Stunden meiner Zeit opfern würde. Doch dann fand ich heraus, wie viel Zeit ich mit der Serie verbringen würde. Mich erwarteten 120 Folgen !!! Ich glaube, ich hatte eine ähnliche Reaktion wie Doc Brown als er erfuhr, dass 1.21 Gigawatt notwendig wären, um die Zeitmaschine wieder funktionstüchtig zu machen. Falls ihr euch über den Gebrauch dieses Easter Eggs wundert, glaubt mir, in der Serie gibt es noch viel mehr von denen zu entdecken. Kurz gesagt: ich fühlte mich als würde ich vor einem gewaltigen Berg stehen, den ich bis ganz nach oben erklimmen müsste, um mein Ziel zu erreichen. 62 Folgen von Breaking Bad erschienen mir damals noch viel. Doch ich riss mich zusammen und leicht besorgt startete ich die Serie, ich wusste nicht, was mich erwarten würde, da ich nicht die leiseste Ahnung hatte, was in der Serie passiert. Es ist unglaublich, wie ich all die Jahre lang im Internet gesurft habe ohne über eine Info von Lost zu stolpern. Das Einzige, das ich wusste, war dass das Ende angeblich sehr enttäuschend gewesen sein soll. Und so begann ich die Reise mit der ersten Folge ... und ich kann mich bis zum heutigen Tag unfassbar glücklich schätzen, dass ich ungespoilert an die Serie herangegangen bin.

(An alle, die die Serie nicht kennen: ihr müsst euch keine Sorgen wegen Spoiler machen, die Spoiler-Sektion kommt erst ist in den nächsten Seiten, hier ist nur grob das zusammengefasst, was ihr über die Serie wissen solltet!)

Meine Kritik:

Zusammen leben, allein sterben?

Kennt ihr das, wenn eine Serie eher langsam anfängt und die Zuschauer langsam in das Geschehen einführt? Lost macht genau das Gegenteil und schafft ein unvergleichbar intensives und nervenreibendes Opening, wo man sich mit ansehen muss, wie eine große Gruppe Menschen den Flugzeugabsturz verarbeiten muss und die Gefahr immer noch nicht ganz gebannt scheint. Egal, wie beeindruckt ich schon in den ersten Minuten war, packten mich auch sofort die ersten Sorgen, als das berühmte Lost-Logo auf dem Bildschirm zu sehen war. Die Serie hatte eine große Handvoll Charaktere in das Geschehen geworfen, Menschen, über die ich nichts wusste, weder ihren Namen noch ihre Herkunft. Es war mir klar, dass einige noch eingeführt werden würden, aber würden einige die Arschkarte ziehen und eher belanglos im Gegensatz zu den viel interessanteren Charakteren wirken? Wie werden die Geschichten von so vielen Charakteren im Gleichgewicht gehalten, damit jeder seinen Moment im Rampenlicht hat? In den ersten Folgen musste ich mir die wichtigsten Eigenschaften von jedem Charakter im Kopf behalten, bevor ich mir ihre Namen merkte. Sorry, an alle Game of Thrones-Fans, aber auch ich hatte große Schwierigkeiten mir so viele Namen auf einmal zu merken. Ich dachte mir: "Ok, Jack ist der Hauptcharakter! Und ... das ist der Typ, der einen Sohn hat! Ach und sie ist die Schwangere! ... Der ist der Typ, der immer nett zu allen ist! Und der ist das hübsche Großmaul! Und sie ist die meckernde Zicke! Und..." Ich will ehrlich sein: So lief das eine Zeit lang für mich, dennoch zeigte ich großes Interesse an der Geschichte, da früh genug schon klar wird, dass es keine gewöhnliche Insel ist, auf die die vielen Passagiere von Flug 815 gelandet sind. Doch ich war verblüfft, wie schnell ich mich an alle Charaktere gewöhnt habe ... und ich sie nachher alle ins Herz schloss! Mithilfe von großartigem Storytelling und gut eingesetzten Flashbacks lernte ich jeden einzelnen Charakter kennen. Wo er herkam, wer er ist, was seine Stärken oder seine Schwächen sind. Das gab dieser Survival-Serie sehr viel Abwechslung (im Vergleich zu einer ganz anderen Survival-Serie, die ich kenne *hust*) und die Rückblenden halfen nicht nur, die Vergangenheit jedes einzelnen Charakters zu zeigen, sie lassen ihre Entscheidungen, Handlungen und ihr Verhalten in der Gegenwart umso plausibler wirken. Selbst die (beabsichtigt) nervenden Charaktere haben es geschafft, mein Interesse zu wecken (auch wenn es bei manchen etwas länger dauert). Und je weiter es mit der Geschichte ging und je mehr ich von jedem Charakter erfuhr, desto mehr wurde mir klar, wie eindimensional die meisten Charaktere aus meinen (ehemaligen) liebsten Serien sind. Tatsächlich würde ich so weit gehen zu sagen, dass die Charaktere aus Lost zu den besten Charakteren gehören, die ich je einer Serie gesehen habe (ich habe noch einige Serien vor mir, vielleicht kann sich meine Meinung noch ändern). Ich hatte sie tatsächlich so lieb gewonnen, dass ich es nicht ertragen hätte, wenn irgendeiner von ihnen das Zeitliche gesegnet hätte. Als ich mit der ersten Staffel durch war, war mir gar nicht aufgefallen, dass ich 25 Folgen gesehen hatte. Und rückblickend hatte ich nie das Gefühl, als ob ich mich gelangweilt oder gedacht hätte, dass irgendeine Episode nicht notwendig gewesen war. Es gab einige Serien, wo ich bei einer Staffel, die ca. 20 Episoden dauerte, das Gefühl hatte, als hätte ich ne belanglose Füllerfolge gesehen und man locker diesen oder jenen Handlungsstrang hätte weglassen können und niemandem wäre es negativ aufgefallen. Doch bei Lost war es nicht so. Warum? Weil jede einzelne Folge die Geschichte vorantrieb und sie für jeden Charakter essenziell war. Wie die Insel kommt es bei den Charaktere zu Änderungen und es werden viele Geheimnisse über ihre Identität gelüftet. Es gab also immer einen Grund, für die nächste Folge gespannt zu sein, wofür auch die unzähligen Cliffhanger sorgten. Ich musste meine Neugierde oft genug im Zaum halten.

Welche Geheimnisse verbergen sich auf der Insel?

Aber was macht Lost wirklich für mich aus? Es ist die versteckte Botschaft der Geschichte, die dem Zuschauer bei einem sehr berührenden Augenblick am Ende von Staffel 1 klar wird (mehr dazu im "Highlights von Lost"-Artikel, den ich in ein paar Tagen veröffentliche): Jeder Menschen um uns herum hat etwas Interessantes zu verbergen. Egal woher wir kommen, welche Sprachen wir auch sprechen, wir sind alle Menschen. Und doch traut sich heutzutage fast niemand einen Fremden anzusprechen. Man sagt zu ihnen vielleicht "Entschuldigung", wenn man sie versehentlich anrempelt, dankt ihnen, wenn sie dich aufmerksam machen, dass du deinen Koffer hast stehen lassen, aber mehr nicht. An jeder Ecke, in jeder Straße, nahezu überall kann man Freunde fürs Leben oder sogar die Liebe seines Lebens finden. Doch stattdessen laufen wir an ihnen vorbei und vergessen sie sofort, es ist durchaus möglich, dass man ihnen schon mehrere Male über den Weg gelaufen ist. Eine Theorie besagt, dass es immer 6 Menschen gibt, die einem immer wieder über den Weg laufen, obwohl man kein Wort mit ihnen ausgetauscht hat. Lost lebt von seinen Charakteren und deren Beziehungen, die sich im Laufe der Zeit entwickeln. Während sich am Anfang die meisten Charaktere von den anderen Menschen auf der Insel isolieren und es von Zeit zu Zeit zu Missverständnissen und Streitereien kommt, entwickelt sich mit der Zeit eine starke Familiendynamik. Es ist zu keiner Sekunde langweilig, wenn man sich mit ansieht, wie eine Handvoll Fremde Beziehungen aufbauen und sie später aufeinander angewiesen sind, auch wenn es bei anderen wegen mangelnder Begeisterung oder Kommunikationsproblemen etwas dauert. Es ist mehr als nur einmal der Fall, dass man einige Charaktere von Anfang an falsch einschätzt hat und sie einen hinterher mit ihrer Vorgeschichte die Augen öffnen, selbst bei Personen, die man zuerst für unwichtig hielt.

Das war ich nachdem die Serie vorbei war...

Eine (aus meiner Sicht) größten Stärken von Lost ist, dass die Serie sich nicht an alte Traditionen festhält, sondern regelmäßig in jeder einzelnen Staffel für Abwechslung sorgt. Es gibt immer ein neues Problem zu beheben, einen neuen Ort zu entdecken oder ein neues Rätsel zu entschlüsseln. Das ist leider auch der Grund, warum manche Zuschauer die Serie letzten Endes doch nicht mochten. Lost anzusehen ist wie ein Survival-Trip: man muss lernen, sich an jede Bedingung anzupassen, denn sonst könnte es dazu kommen, dass man den Trip nicht übersteht. Das war mein Gedanke, als ich die letzten 2 bis 3 Monate mit dieser Serie verbracht habe (mein Fernseher war für eine Zeit lang futsch und ich musste mich tagelang mit dem Gedanken quälen, dass ich vorerst nicht weiterschauen konnte) und während die meisten jede Änderung der Serie kritisieren, lobe ich (fast) jede Neuerung. Eine Serie soll mehr tun als mich nur gut zu unterhalten, sie soll mein Interesse wecken und das erfolgt nicht, wenn man immer wieder dieselbe Brühe aufwärmt. Hätte es keine Abwechslung gegeben, hätte ich irgendwann die Lust verloren. Und das beste ist: ich hatte nicht das Gefühl, als hätte ich 120 Folgen angesehen. Ich war sogar verblüfft, dass ich mich gar nicht darum gekümmert habe, bei welcher Folge ich war. In den letzten Monaten hatte ich nur ein Gedanke: Weiterschauen! Tag für Tag war ich immer gespannt, was mich als nächstes erwarten würde. Ich fürchtete den Tag, wo die Serie enden würde. Nicht wegen des angeblich "enttäuschenden" Finales, sondern weil für mich eine Reise enden würde, ich nicht mehr Zeit mit den Leuten verbringen würde, die mir jeden Tag etwas mehr Licht in die Dunkelheit um mich herum gebracht haben und mir zahllose Stunden voll von Freude, Schmerz und Melancholie geschenkt haben. Und als es vorbei war, schien sich eine große Leere in mir ausgebreitet zu haben. Ich erinnerte mich an den Mann, der ich war. Der Mann, der vor einigen Monaten noch die Finger von langen Serien ließ. Ein Mann, der sich kein Gedanken um seine Mitmenschen um sich herum machte und nun jeden Fremden mit ganz anderen Augen betrachtet und sich selbst fragt, was sie in ihrem Leben durchgemacht haben. Ein Mann, der sich ab sofort in jedem Flugzeug fragt, was mit ihm und den Menschen um sich herum geschehen würde, wenn sie monatelang auf einer Insel gefangen und aufeinander angewiesen wären. Versteckt sich in der Menschenmasse ein Freund oder eine Freundin, mit dem oder mit der du dich in Zukunft wahrscheinlich niemals tagtäglich getroffen hättest, wäre der Absturz nicht gewesen? Als hätte das Schicksal euch zusammengebracht? Welche Wege hält das Leben für uns bereit? Welche Wege sind wir mutig genug, einzuschlagen? Diese Fragen schwirrten mir durch den Kopf seitdem ich meine Erfahrung mit Lost hatte und ich es jeden Tag vermisse, mich spät am Abend auf das Sofa zu legen (inklusive Getränk) und mehr von den Abenteuern der Überlebenden von Flug 815 zu erleben. Und jedes Mal, wenn ich mir die wunderbaren Kompositionen von Michael Giacchino anhöre, habe ich das Gefühl, als wäre ich wieder auf der Insel. Denn wenn Lost eins in einem Menschen auslöst, dann ist es pure Nostalgie! Man kann mir jetzt sagen: "Ein einfacher Kommentar hätte ausgereicht, Adrian!", doch ich hatte so viel zu berichten, dass ich nicht umhin konnte, einen Artikel zu schreiben (mehrere sogar). Für die vielen wunderschönen Stunden, die ich mit der Serie verbracht habe, schenke ich der Serie einige von mir. Jeder zweite Mensch kann zum keine Ahung wie vielten Mal sagen, wie großartig Breaking Bad und Game of Thrones sind und ich stimme ihnen völlig zu, doch Lost scheint nicht in sehr vielen das Verlangen auszulösen, einen Artikel darüber zu schreiben, weshalb mir das sehr gelegen kam. Und das ist noch nicht alles! Seitdem ich erlebt habe, dass eine Serie mich 120 Episoden lang auf Trab halten konnte, habe ich seitdem Lust auf mehr gekriegt. Bald geht es mit The Leftovers los, eine Serie von dem selben Produzenten wie Lost: Damon Lindelof. Und ich kann kaum erwarten, was mich erwartet! Ich war ein Lostie und werde sicher eines Tages wieder auf die Insel zurückkehren, um die Details aufzuschnappen, die mir entgangen sind. Denn der Vorwurf, dass die Serie keine Antworten geben würde, ist absoluter Blödsinn. Sie liegen alle auf der Hand und manche lassen sich ziemlich einfach erklären, bei anderen muss man sein Hirn aber so richtig anschalten, denn vergesst nicht: es ist eine Mysteryserie! Wenn alle Antworten dem Zuschauer sofort klar wären, wäre David Lynch nicht David Lynch und Lost wäre nicht Lost! See you in another life, brotha!

Wie kann man einen Kommentar ohne einem Lächeln beenden?

Aber da es so viel mehr zu erzählen gibt, gehe ich in den nächsten Seiten mehr in die Details ein! Also große SPOILER-Warnung an alle!

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