Wie ein kleiner Horrorfilm ein großes Publikum eroberte

08.07.2015 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Unfreiwillige Entitätenkunde: Er sei langsam, aber nicht dumm, heißt es über den unheimlichen Dämon in It Follows.
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Unfreiwillige Entitätenkunde: Er sei langsam, aber nicht dumm, heißt es über den unheimlichen Dämon in It Follows.
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Vor allem Mundpropaganda hat die in den USA zunächst eingeschränkt angelaufene Independentproduktion It Follows zu einem unerwarteten Publikumserfolg gemacht. Nun startet der wohl gruseligste Film des bisherigen Jahres auch hierzulande.

Vorstadthorror in Michigan: Vergnügungssüchtige Teenager sterben, nachdem sie unehelichen Sex hatten. Eine unbekannte und sich immer wieder verändernde Gestalt lauert ihnen auf. Verfolgt sie, bis es kein Entkommen mehr gibt. Nimmt ihnen das Leben, weil sie getan haben, was Jugendliche in der von Segregation und Suburbia-Tristesse bestimmten Metropolregion um Detroit eben so tun, wenn es nicht viel zu tun gibt. Der Horrorfilm It Follows geht dabei von einer recht übel beleumundeten Standardprämisse des Stalk'n'Slash-Kinos aus: Adoleszentes Begehren führt zur Sünde führt zum Tod. Nur wer auf Sex und Drogen verzichtet, kann maskierten Killern und unheimlichen Entitäten als jungfräulich gebliebenes final girl den Garaus machen.

Die Moral des Slasherfilms, wie er mit Halloween und Freitag der 13. zu Beginn der 1980er Jahre Hochkonjunktur hatte im US-amerikanischen Kino, sei demnach eine im Kern konservative – befindet zumindest seit jeher die etablierte Filmkritik: Teenage Angst als lustfeindliches Genrewerkzeug, das immer wieder versucht habe, den einst aus freier Liebe geborenen Kindern der elterlichen Hippiebewegung mit blutigem Zeigefinger beizukommen. Obgleich natürlich schon die schier unübersichtliche Anzahl der seinerzeit produzierten Titel nahe legt, dass dieses Vorhaben ein ums andere Mal gründlich daneben ging. Es sich also weniger um ein reaktionäres, denn vielmehr ein reaktionäre Sehnsüchte und Machtfantasien abbildendes Kino handelt.

Genrekonventionen: Lover's Lane und Sex im Auto.

It Follows bleibt der Idee des slasher movies zunächst treu: Ein Mädchen (Maika Monroe) schläft mit ihrem Date und muss anschließend ums eigene Leben fürchten. Kein Mörder aus Fleisch und Blut stellt ihr nach, sondern ein sexuell übertragbarer Dämon, der seine menschliche Form wechseln, nicht aber natürliche Hindernisse überwinden kann. Die besondere Modifikation des Films an seinem Genre besteht darin, den verzagten Helden eine eher genreunorthodoxe Aussicht auf vorübergehende Erlösung zu gestatten – sie können sich des unaufhörlich voranschreitenden Es nämlich nur durch erneuten Geschlechtsverkehr entledigen. Statt enthaltsam und also entlang der moralischen Linie des Slasherkinos zu leben, wird das Final Girl jetzt zur Promiskuität gezwungen.

Diese Möglichkeit aber hat ein sinistres Hintertürchen. Das Mädchen kann den Dämon zwar weitergeben, muss allerdings darauf gefasst sein, erneut von ihm verfolgt zu werden: Wer dem Es nicht entkommt, schickt das Es der Reihe nach zurück – sodass den Überträgern das Übertragen schlimmstenfalls herzlich wenig bringt. Sex lässt sich hier demnach sowohl als Triebfeder des Überlebens wie auch als sicheres Todesurteil begreifen, die Konventionen des Slashers aber bringt It Follows damit vergnügt durcheinander. Im ambivalenten Spannungsraum eines sexuellen Begehrens (und der hier auffälligen Abwesenheit elterlicher Beschützer) überlässt er seine jugendlichen Figuren sich selbst, damit sie verantwortlich handeln. Oder eben: damit sie lernen, erwachsen zu werden.

Gruppenrituale: Warten auf das böse Es.

Regisseur David Robert Mitchell soll diesen Film geträumt und zu einer Geschichte verarbeitet haben, über deren Symbolgehalt er sich in Interviews zum Glück ausschweigt. Tatsächlich ist It Follows endlich wieder Horrorkino, das Unkonkretes nicht scheut. Und das auf genuine Art gruselig und beunruhigend ist. Seine Angst- und Panikbilder bleiben intuitiv, statt die Schrecken lang und breit zu erklären, werden sie als Affekte nutzbar gemacht. Lautstark über die Tonspur jagende jump scares sind Mitchells Sache nicht, am "kreativen Töten" zeigt er gleich gar kein Interesse. Ihm geht es vor allem um bestimmte Gefühlszustände der Figuren, die ihr Schicksal hier manchmal regungslos aussitzen wie andere einen schlechten Horrorfilm.

Träge bewegen sie sich durch eine strikt weiße und daher schon kulturell nicht sonderlich vielfältige Vorstadtwelt, deren übernatürliche Ereignisse ihnen zwar einerseits diverse Fluchtmanöver abverlangen, sie aber andererseits auch nicht aus der Routine gemeinsamer Übernachtungen oder willkürlicher Zusammenkünfte befreien (so wenig der Film dabei Hinweise auf die Zeit gibt, in der er spielt, so sehr betont er hingegen seine geographische Verortung). Die Jugendlichen in It Follows treten ebenso gelähmt von suburbaner Langeweile auf, wie es schon die in Adoleszenzritualen gefangenen Kids aus Mitchells Vorgänger- und Debütfilm The Myth of the American Sleepover taten. Dort tranken sich High-School-Absolventen zur Besinnungslosigkeit, hier vögeln sie in Katerstimmung ums Überleben.

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