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Wenn aus Scheiße für fünf Minuten Gold wird

09.05.2018 - 14:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Keine Sorge, das vergeht...
New Line Cinema
Keine Sorge, das vergeht...
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Mancher Blockbuster schafft das, was Alchimisten über Jahrtausende nicht auf die Reihe bekommen haben: Aus einem stinknormalen Metall wird Gold. Zumindest für ein paar Stunden. Bis wir erkennen, dass der beste Film der Welt gar nicht mal so gut war...

Kennt ihr das? Ihr sitzt im Kino, das Licht ist gerade wieder angegangen (vorzugsweise nach dem Abspann, und nicht, um euch währenddessen rauszuschmeißen), ihr sammelt eure Sachen - und ihr glüht! Ihr seid Begeistert (mit einem großen B, so begeistert seid ihr)! Der Film hat euch umgehauen und ihr und eure Mitbegeisterten würdet euch am liebsten gleich nochmal umhauen lassen. Alles daran war großartig, Wahnsinn, Superlativ. Die Schauspieler, die Geschichte, die Musik, die Action, die Effekte, die Dialoge. Aber irgendwann, 2 bis 24 Stunden, später verblasst das Glühen und während die Reflexion nach und nach den Hype wegmeißelt, bemerkt ihr: So toll war der gar nicht...

Versteht mich nicht falsch, diese Begeisterung an sich ist toll. Sie ist einer der Gründe, warum das Kino so großartig ist, warum ein Saal voller Fremder niemals das Zuhause ersetzen kann, wo in der romantischsten Szene mal eben einer einen fahren lässt oder doch mal kurz das Programm gewechselt werden soll. Auf Sportschau, oder Schlag den unsympathischen Promi, oder was weiß ich. Das gibt es im Kino nicht. Das Kino ist der Film und du, du und der Film. Und er greift und ergreift dich, rüttelt an dir, bringt etwas in dir zum Klingen, ändert dich für ein paar Minuten, weil die wahre Welt da draußen für eben so viele Minuten verblasst. Er verhext dich.
Und da liegt das Problem.

Denn früher hatten wir Zeit, bis wir zuhause ankamen. Wir konnten alles sacken lassen, den Bann abschütteln, bevor wir unsere, bis dahin mitunter mächtig abgekühlte Verzückung in Worte gossen. Heute nicht mehr, denn heute haben wir Smartphones und Twitter. Heute will das Interweb deine Meinung JETZT SOFORT, nach der Premiere, am besten noch während der Film läuft - denn morgen interessiert sich keiner mehr dafür, dann haben nämlich schon alle anderen ihre Meinung gesagt.
Das gilt für uns Ottonormalbecircte ebenso, wie für Kritiker, denn Kritiker sind auch nur Menschen. Auch wenn ihre vorschnelle Begeisterung weitaus rufschädigender sein kann als unsere...

Das Abkühlen der Gemüter ist übrigens auch einer der Gründe, warum bei uns ein neuer Film anfangs gaaaaaanz tolle Bewertungen hat - die werden nämlich nicht nur nach und nach von anderen, vielleicht besonneneren, vielleicht einfach nur von Hypes allgemein genervten Nutzern ausgeglichen: Sie werden auch korrigiert. Denn wir dürfen unsere Meinung ändern, jederzeit. Aber ist der Schaden da schon entstanden? Nicht nur unter Kritikern, die sich mitunter jahrelange Häme anhören dürfen, sondern auch bei uns, die wir, wann immer der Film erwähnt wird, uns anhören dürfen, wie sehr wir diese Ente gefeiert haben, als wir aus dem Kino kamen? Immerhin können wir ausschließen, dass wir von fiesen Marketingmöpps ausgenutzt wurden, weil wir uns noch im Kino die metaphorischen Kleider vom Leib gerissen und gebrüllt haben: "Nimm mich, du Meisterwerk! Ich bin dein!" Denn ein gutes Startwochenende hat noch keine Gurke gerettet und das Ausbleiben von Zuschauern durch Mundpropaganda ist hinterher umso schmerzhafter (und begfriedigender für uns).

Was machen wir also mit dieser, mitunter recht kurzen Halbwertzeit, insbesondere bei Blockbustern? Was machen wir mit diesen freudetaumelnden Menschen, die den nächsten John Carter kurzzeitig für ein Meisterwerk halten und dann verkatert bemerken: "Uhm, doch nicht..."? Und, viel wichtiger, was machen wir, wenn wir aus einem von den zukünftig Hunderten Star Wars-Filmen kommen und laut die Ablösung der ersten Trilogie als das Beste überhaupt verkünden - bevor uns aufgeht, dass wir das eigentlich schon mal und schon besser gesehen haben?
Ein wenig Gelassenheit kann in beiden Fällen vielleicht nicht schaden. In eine Papiertüte atmen eventuell auch nicht. Ob wir nun hyperventilieren, weil wir grad aus dem Kino kommen - oder weil jemand anderes uns grad mit wildem Auf-und-ab-Gehüpfe auf den Sack geht, denn da lief schließlich grad der BESTE FILM ALLER ZEITEN...

Vorschläge, Betroffenenschicksale und Kontaktadressen von Selbsthilfegruppen sind in den Kommentaren selbstverständlich willkommen :)

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