Weinberg - Unser erster Eindruck

06.10.2015 - 10:45 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
WeinbergTNT Serie
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Mit einem Who is Who deutscher Charakterdarsteller stattet TNT Serie seine zweite Eigenproduktion aus. Weinberg heißt der Mystery-Thriller und wir haben die erste Folge gesehen.

Ein Mann erwacht zwischen nebelverhangenen Weinstöcken. Ein Tropfen Kunstblut rinnt ihm von der Stirn. Er weiß nicht, wo er ist, wer er ist und warum ihn die toten Augen einer jungen Frau anstarren. "Der Held", so die Rollenbezeichnung von Friedrich Mückes Figur in der neuen TNT Serie-Eigenproduktion Weinberg, hat sich einen denkbar unheimlichen Ort für einen kompletten Filmriss ausgesucht. Das Ahrtal begeistert die Besucher normalerweise durch eine atemberaubende Landschaft, die mit zwei, drei Gläsern Wein intus doppelt Eindruck schindet. Unter der Regie von Till Franzen und Jan Martin Scharf aber erinnern die Weinberge rund um das treffend betitelte Dorf Kaltenzell an einen düsteren Schlund, aus dem es kein Entkommen gibt.

Sechs Episoden umfasst die Mystery-Miniserie, mit der sich TNT Serie nach der Hangout-Dramödie Add a Friend an eine kostenintensivere Produktion wagt. Der Fokus ist dabei clevererweise wieder stark beschränkt. Während Ken Duken in Add a Friend noch per Laptop aus dem Krankenzimmer mit der Welt in Kontakt trat, wirft die erste Episode von Weinberg den Helden in die Provinz. Kaltenzell ist die Art Dorf, über dessen Anblick man sich nur freut, wenn man nach einer schunkelnden Weinwanderung vom Weg abgekommen ist. Hier eine wortkarge Auskunft, dort ein zähes Schnitzel mit zerkochten Champignons, dann nix wie raus aus dem Kaff.

Für den Helden gestaltet sich der Abgang allerdings nicht so einfach. Er stolpert ins örtliche Gasthaus, doch als er mit dem Wirt/Bürgermeister Zepter (Arved Birnbaum) zum vermeintlichen Tatort zurückkehrt, ist die Leiche verschwunden. Niemand will ihm glauben, und Zepter macht von Anfang an klar, dass die Polizei in Kaltenzell nichts zu suchen hat. Also sucht der Held auf eigene Faust nach Hinweisen auf die Identität der Verschwundenen und seine eigene, nichtsahnend, welche Kabale die Bewohner des Dorfes herumtreiben. Denn hinter den verschlossenen Türen herrscht Gier, Lust und eine ordentliche Dosis Heimlichtuerei.

Mit Birnbaum als einschüchterndem Alpha-Tier im Dorf sowie erstklassigen Darstellern wie Ronald Kukulies, Christina Große, Victoria Trauttmansdorff, Rainer Sellien und Jenny Schily stellen die Macher von Anfang an sicher, dass den noch identitätslosen Helden eine ordentliche Ladung Charakter umgibt. Mücke, in der Regel eine sympathische Präsenz, aber nicht unbedingt der faszinierendste Schauspieler unterm Studiofirmament, bleibt in der ersten Folge noch relativ passiv. Er stolpert wahlweise einem mysteriösen, offenbar autistischen Jungen hinterher oder lässt sich widerstandslos von Zepters Frau verführen ("Bitte, besorg's mir, ja?", lautet ihre ausgefeilte Anmache), die ihn anscheinend kennt, er sie aber nicht, aber wen interessiert's, es ist eine (züchtige) Sexszene in den ersten fünfzehn Serienminuten. Wie dem auch sei, wir lernen Kaltenzell durch die Augen des Helden kennen, und da stört dies nicht weiter. Denn das skurrile Figurengemisch könnte sich als wichtigster Schauwert des stylisch inszenierten Thrillers herausstellen.

Einerseits harrt ein schreckliches Geheimnis der Aufdeckung, andererseits brechen die Macher den bedeutungsschweren Thrill auf humoristische, weil banale Weise. So abgelegen und unbeliebt ist Kaltenzell, dass ein vietnamesischstämmiger Pfarrer mit begrenzten Deutschkenntnissen und einer Übersetzungs-App im Dauerbetrieb für den Dienst im Beichtstuhl engagiert werden musste. Die Dorfjugend freut's, verbringt sie ihre Zeit abseits von Streichen in der Kirche doch vor allem mit trotzigem Punk-Geschrammel im Keller ("Kaltenzell fucking off!!!") oder der pubertären Rebellion beim Tischgebet. Wie das alles mit dem Schicksal der Weinkönigin zusammenhängt, und warum der Held sein Gedächtnis verloren hat, müssen die verbleibenen fünf Folgen schlüssig klären. Die sowohl räumliche als auch erzählerische Begrenzung der Serie schürt jedoch die Hoffnung, dass die Macher sich nicht wie so mancher Genre-Kollege in den eigenen Plot-Spinnereien verrennen.

Obwohl die Erkundung provinzieller Exzentrizitäten im Mystery-Gewand alles andere als Serien-Neuland darstellt, erfreut Weinberg durch seinen dezidierten regionalen Einschlag. Hier wird der Deutschen Vorliebe für Provinzkrimis mit der aufpolierten Optik aktueller britischer und amerikanischer Genrevertreter gekreuzt. Heraus kommt ein ebenso amüsanter wie dezent gruseliger Thriller, der seine öffentlich-rechtlichen Kollegen in Sachen Atmosphäre und Stil abhängt. Denn Weinberg, und das mag der wichtigste Beitrag zum wie auch immer gearteten deutschen Serien-Wunder sein, lässt im Gegensatz zum Gros der hiesigen Krimilandschaft zuallererst die Bilder sprechen. Die werden im Vorspann von den toten Blicken ausgestopfter Tiere bevölkert. Nach und nach gesellen sich in der ersten Folge die starrenden Augen der Dorfbewohner hinzu und am Ende ist fraglich, welche entsetzlicher sind - die toten oder die lebenden?

Weinberg startet heute 21:10 Uhr bei TNT Serie.

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