Warum ich nach den ersten 10 Stunden mit Fallout 4 schimpfen muss

10.11.2015 - 10:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Fallout 4
Bethesda Softworks
Fallout 4
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In den ersten Stunden, die ich mit Fallout 4 verbracht habe, hat mich das Spiel ohne Punkt und Komma mit seinen Geschichten und Mechaniken beworfen. Die Kopfschmerzen, die daraus entstanden sind, klingen erst jetzt langsam ab.

Hilfe, wo soll ich nur anfangen? Soll ich erst ein bisschen über die Hauptgeschichte erzählen? Oder lieber etwas über die Nebenquest mit den Minutemen? Viel spannender ist doch aber das neue Craftingsystem. Ganz zu schweigen von den Häuserbau, aber den habe ich noch nicht wirklich verstanden, wenn ich ehrlich bin. Ich hätte mir den mal lieber genauer anschauen sollen, aber diese Corvega-Fabrik, die ich von der Raider-Bande befreit habe, hat mich viel zu viel Zeit gekostet.

In den ersten Absätzen dieses Textes fühle ich mich ebenso verloren, wie in meinen ersten Stunden mit Fallout 4.

Aller Anfang ist schwer, dieser aber besonders

Und das ist leider keiner dieser Review-Tricks, in denen ich einen negativen Aspekt beschreibe, nur um dann doch noch die Kurve zu bekommen und zu verraten, dass das eigentlich eine gute Sache ist. Mein erster, umfangreicher Ausflug in das Commonwealth war mehr als zäh und das kreide ich dem Design des Spiels an. Das größte Problem, das mir an Bethesdas aktuellem Rollenspiel-Giganten aufgefallen ist, ist nämlich die Tatsache, dass Fallout 4 vollkommen damit überfordert ist, Fallout 4 zu sein. Wie ein hypernervöser Abiturient in seinem ersten Bewerbungsgespräch, wirft mir Fallout 4, ohne dass ich danach gefragt habe, sofort alle Qualitäten an den Kopf, die das Spiel vorzuweisen hat.


Erst jetzt, also nach etwa 10 Stunden Spielzeit, beginne ich langsam zu begreifen, was das Spiel eigentlich erreichen kann und möchte. Bis dahin war es aber ein harter Weg, den ich nur deswegen beschritten habe, weil es ein Fallout-Titel ist. Würde sich die Disc von “Bonedagger II: The Arrival” in meiner PS4 drehen, hätte ich das Spiel bald wieder aufgegeben und das Handtuch geworfen. Aber Blut ist nun eben dicker als Wasser, also habe ich mich an die anderen Fallout-Ableger erinnert und den Designern von Bethesda die Daumen gedrückt, dass sie irgendwann dann doch wieder aus dem Schlingern geraten.

Ich bin hilflos, verzweifelt & trete allen in den Arsch

Den Großteil meiner bisherigen Spielzeit habe ich mit den Dingen gefüllt, die ich in meinem ersten Absatz aufgezählt habe. Wirklich genießen und erleben konnte ich sie aber nur einen Bruchteil der Zeit, denn eigentlich war ich nur damit beschäftigt, mich zu orientieren und Prioritäten zu finden. Zuerst habe ich mich ganz klassisch auf die Geschichte eingelassen, die Fallout 4 mir erzählen möchte. Anstatt wie in Fallout 3 ein Kind zu spielen, das sein verbliebenes Elternteil sucht, spiele ich nun ein verbliebenes Elternteil, das sein Kind sucht.

Die Welt ist spannend, die Geschichte aber zu Beginn anstrengend.

Diese Variation derselben Geschichte ist, wenn es nach Fallout 4 geht, hochemotional. Allein in der Welt verblieben, ist mein Kind das einzige, was meinen Verstand noch zusammenhalten kann. In der Theorie ein interessanter Ansatz, in der Bethesda-Praxis aber eine Geschichte, die derart nüchtern und unangenehm erzählt ist, dass mir mein Baby egaler kaum sein könnte. Nüchtern, weil ich nach dem fünfminütigen Beginn schon vergessen habe, wie mein Sohn eigentlich heißt und so gut wie nichts über mich und meine Familie erfahren habe. Unangenehm, weil sich an den Kinderkrankheiten, die Bethesda seit Jahren verschleppt, nichts geändert hat: unfreiwillige Gesprächspausen, Assassin’s Creed-Glitches, Botox-Mimik und eine Figurenzeichnung, die ständig ihre eigene Motivation vergisst.

Als verzweifelte Mutter, die ihr Baby sucht, nehme ich ständig banale Nebenaufgaben an, weil es eben zum Spiel gehört. Doch wie soll ich mich selbst denn ernst nehmen, wenn es in spielmechanischer Hinsicht Sinn ergibt, einen Stuhl für eine drogensüchtige Hellseher-Oma zu basteln, anstatt sofort ersten Hinweisen auf den Verbleib meines Kindes nachzugehen? Ich bin eine verängstigte Frau, die nach 200 Jahren Kälteschlaf eine zerstörte, fremde Welt vorfindet, doch zu den präsentesten Dialogoptionen gehört auch die Versicherung, dass ich den 50 Banditen, die in einer entfernten Fabrik hausen, schon in den Arsch treten werde. Ich glaube mir eigentlich nichts, was ich selbst sage.

Eins nach dem anderen

Was ist also nun wichtiger? Die 20 Dungeons, in denen ich mein Leben riskiert habe, um Klemmbretter, Kupfer und Teddybären zu sammeln, oder doch die mich zerreißende Sehnsucht nach meinem Kind? Fallout 4 schafft es zumindest am Anfang nicht, mir mitzuteilen, was wichtig ist und was nicht. Das ist zwar ein lobenswertes Vertrauen in den Spieler, gleichzeitig schadet sich das Spiel damit aber auch selbst. Das Crafting ist umfangreich, überfordert aber zunächst mit seinen Möglichkeiten, die schon zu Beginn fast voll ausgeschöpft werden können. Dasselbe gilt für die Werkbank, die ich nur durch Zufall entdeckt habe und die mir schon nach 3 Spielstunden die Verantwortung in die Hand gibt, ganze Dörfer zu bauen und mit Wasser, Essen und Strom zu versorgen, um so die Bewohner bei Laune zu halten.

Der Hund erweist sich in Fallout 4 als stummer, wie auch nerviger Begleiter.

Fallout 4 ist dermaßen damit beschäftigt, mich beeindrucken zu wollen, dass das Spiel dabei vergisst, dass ich nicht die Lust und Zeit habe, mich durch einen Wust an verwirrenden Menüs zu arbeiten. Ich fühle mich gezwungen, mir die eigentlich simplen Mechaniken mühsam zu erschließen, weil Fallout 4 nicht an aufgeräumter Übersichtlichkeit oder einer Lernkurve interessiert ist. Das verzögert den Spaß, den ich mit dem Spiel habe und schafft Abneigungen gegen bestimmte Tätigkeiten – es ist aber glücklicherweise nicht genug, um mich davonzujagen. Ich spiele noch immer und mit jedem Kniff, den ich lerne und mit jeder Erkenntnis, die ich gewinne, kann ich Fallout 4 so spielen, wie es eigentlich gespielt werden möchte.

Vielleicht war das ja die Probezeit für meinen postapokalyptischen Abiturienten, die ich erst überstehen muss. Nur ist Bethesda nicht wirklich ein unerfahrener Schulabgänger, sondern eine Entwicklergröße, die ein derartiges Konzept schon mehrfach auf die Beine gestellt hat. Und aus dieser Perspektive heraus, kann ich nicht annähernd so viel verzeihen, wie ich für einen wirklich positiven Ersteindruck verzeihen müsste. Ich hoffe, dass ich bald mein vollständiges Review nachliefern kann und angesichts der Qualitätssprünge (endlich in Diamond City; endlich bin ich den Hund los), die die Spielerfahrung derzeit macht, gehe ich davon aus, dass ich dann etwas positiver sprechen werde.

Wie schwer ist euch der Einstieg in Fallout 4 gefallen?

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