Virtuelle Realität - Sneak Peek in die Zukunft des Kinos

16.06.2016 - 10:40 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Willkommen in der Zukunft, Neo.
Warner Bros.
Willkommen in der Zukunft, Neo.
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Werden wir in Zukunft alle einen anderen Film sehen? Werden wir gar selbst die Helden? Zum Abschluss der Reihe Verspielte Filme wagen wir einen Blick in die virtuelle, interaktive, emphatische Zukunft des Kinos.

In seinem Roman Ready Player One prophezeit uns Ernest Cline eine dystopische Zukunft, in der die gesamte Gesellschaft in eine virtuelle Realität abdriftet, die als Computerspiel getarnt ist und die bedrückende Wirklichkeit vollständig ersetzt hat. In dieser perfekten Simulation namens OASIS (Ontologically Anthropocentric Sensory Immersive Simulation) werden alle Sinne derart beansprucht, dass die Menschen nicht mehr zwischen Spiel und Wirklichkeit unterscheiden können/wollen. Wie bezeichnend, dass nach der Übernahme des VR-Pioniers Oculus durch Facebook am Hauptquartier des Milliardenkonzerns im Silicon Valley ein riesiges Gebäude errichtet wurde, wo neben Ingenieuren, Optikern, Künstlern, Architekten und Marketing-Profis etwa 30 Personen mit der Aufgabe betraut sind, genau diese Vision umzusetzen. Jedem neuen Mitarbeiter der Oculus Story Studio getauften Abteilung wird am ersten Tag konsequenterweise eine Ausgabe von Ready Player One ausgehändigt.

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Seitdem die Gebrüder Lumière 1895 ihren ersten Film in Paris vorgestellt haben, ermöglicht uns das Kino, durch die Zeiten und in andere Welten zu flüchten. Kino ist Spektakel im besten Wortsinne: Ein Schauspiel, das mit viel Lärm und Licht Besitz von uns ergreift. Doch bringt der technologische Quantensprung, der durch VR-Brillen wie die Oculus Rift eingeleitet wird, das dystopische Ende des Kinos mit sich, oder werden Interaktivität und nichtlineares Erzählen den Zuschauern völlig neue, utopische Erfahrungen bieten?

Interaktive Geschichten und das Problem der vierten Wand

Der nächste Schritt in der Evolution des Kinos wird sein, einen interaktiven Erfahrungsraum zu schaffen, in welchem die Zuschauer das Erlebnis entscheidend mitbestimmen können. Um die Präsenz der Zuschauer innerhalb der virtuellen Realität anzuerkennen, muss der Eindruck vermittelt werden, dass sie Einfluss auf die Geschehnisse um sie herum nehmen können. VR-Brillen erlauben den Wallhack durch die vierte Wand von Theater und Film, denn mit ihnen werden wir Teil der Szenerie. Um die sonderbare Distanz aufzuheben, die Bran in Game of Thrones in seinen Visionen überkommt, müssen wir gewissermaßen selbst zum Türhüter dieser Gesetzmäßigkeiten werden. Die Aufhebung der vierten Wand kann von Filmemachern dabei aktiv unterstützt werden, indem sie die Rolle von Spielleitern übernehmen, die sich der Bewegungen und Dynamiken der Zuschauer bewusst sind.

Diese Präsenz, ob mental stimuliert oder vielleicht bald sogar physisch erfahrbar, ist auch beim großen Facebook-Konkurrenten Google Thema Nummer eins. Mit Google Daydream  soll demnächst Ersatz für das noch recht rudimentäre Google Cardboard  erscheinen, womit die Benutzer direkt in der virtuellen Realität Spiele, Filme und Apps wie Streetview oder News-Feeds abrufen können. Auch Kooperationen mit HBO, Hulu und Netflix sind bereits in Planung.

Interface von Google Daydream

Wie die Verschmelzung speziell von Spiel und Film dann aussehen könnte, zeigt die Arbeit von Jessica Brillhart. Brillhart ist eine der Vorreiterinnen auf dem Gebiet VR und seit einigen Jahren für Google tätig. Als Regisseurin von World Tour (2015) lieferte sie zudem den ersten Film ab, der die mit 16 Kameras ausgestattete 360-Grad-Apparatur Jump eingesetzt hat. Davor arbeitete sie für diverse VFX-Studios und inszenierte unter anderem Musikvideos für Künstler wie etwa The Crystal Method. Brillhart geht es um die Überwindung herkömmlicher 2D-Formate, was sie durch die Entfesselung des Zuschauers innerhalb der virtuellen Welt erreichen will.

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Diese Maschine tötet Apathiesaurier

Eine andere vielversprechende Idee, wie das neue Medium fruchtbar eingesetzt werden kann, liefert der Filmemacher Chris Milk, der in Bezug auf VR von einer Empathie-Maschine spricht. Milk strebt eine immersive Erfahrung an, die uns letztlich dabei helfen soll, menschlicher zu werden. Gemeinsam mit den Vereinten Nationen entwarf er die virtuelle Repräsentation eines Lagers für syrische Flüchtlinge in Jordanien, nicht etwa, um auf die menschenunwürdigen Verhältnisse vor Ort hinzuweisen, sondern um unmittelbar erlebbar zu machen, was es heißt, in solch einem Lager zu leben.

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Die größte Herausforderung für VR dürfte jedoch sein, Erfahrungen anzubieten, die anderen Medien technisch bedingt verschlossen bleiben müssen. Gerade die hohe Konkurrenz durch Computerspiele macht in dieser Hinsicht ein Alleinstellungsmerkmal notwendig. Bisher begnügen sich die Anwender der VR-Technologie noch allzu häufig damit, die Vertrautheiten des Alltags zu imitieren. Falls VR jedoch sein Nischendasein beenden will, müssen VR-Filme der Medienlandschaft etwas Neues hinzufügen. Diesen Weg geht der kanadische Filmemacher Félix La Jeunesse mit Jurassic World: Apatosaurus.

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Wie sein Spielfilm-Gegenüber Jurassic World erlaubt die VR-Version eine Begegnung mit einem computeranimierten Dinosaurier. Doch während im Blockbuster die Urzeitechsen den Menschen ans Leder wollen, mutet die VR-Version eher wie eine Zen-Übung an. La Jeunesse sah keinen Vorteil darin, einen aggressiven Dinosaurier auf die Zuschauer loszulassen, vor dem sie womöglich fliehen würden, da es aufgrund der fixierten Perspektive zwangsläufig zu einer Trennung zwischen der angestrebten Erfahrung und dem Medium geführt hätte. Stattdessen wurde also eine Geschichte um einen Park Ranger gespannt, der einen neugierigen, pflanzenfressenden Apatosaurus beim Mittagessen besucht.

Ein weiteres Beispiel ist der VR-Kurzfilm Notes on Blindess, der auf dem Tribeca Film Festival 2016 mit dem Storyscapes Award ausgezeichnet wurde. Als Adaption einer gleichnamigen Dokumentation aus dem Jahr 2014 benutzt der interaktive Film binaurale, dadurch dreidimensionale Tonaufnahmen, um aus dem Leben des Erzählers John Hull zu berichten, der 1983 mit der Aufzeichnung seiner Gedanken begann, als ihm eine baldige Blindheit attestiert wurde.

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Die virtuelle Erfahrung Notes on Blindness greift dabei Ausschnitte aus Hulls Tagebuch auf, die durch winzige Lichtpunkte animiert werden. Alles beginnt in Dunkelheit, bis immer mehr Töne ineinander- fließen und flüchtige Formen entstehen lassen, die sich zu Objekten oder Personen verbinden. Wind bläst durch die Blätter, man hört das Rascheln einer sich allmählich manifestierenden Zeitung und gleichzeitig bekommt man einen ungefähren Eindruck davon, was es heißt, sein Sehvermögen zu verlieren. Was auch immer die Zukunft des Kinos bereithält, sicher ist, dass Filme und Games in Experimenten wie diesen immer mehr zu einem komplett neuen Medium verschmelzen.

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