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The Wire und der schmale Draht

22.06.2016 - 20:29 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Nochmal eben die Haare richten: "Deserve got nuthin' to do with it."
HBO
Nochmal eben die Haare richten: "Deserve got nuthin' to do with it."
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Vorab sollte klargestellt werden: "The Wire" verdient weit mehr als einen lächerlichen Blog-Artikel. Jede einzelne Episode dieser Serie ist wie ein in sich geschlossener Mechanismus und ebenso notwendiges Zahnrad des großen, gesellschaftlichen Ganzen. Von der finstersten Straßenecke bis zu den säuberlichen Büros des Rathauses lassen die Autoren keinen Winkel unausgeleuchtet - und nehmen dabei kein Blatt vor den Mund.

Nach den ersten Folgen hatte sich bei mir ein leichtes Schwindelgefühl eingestellt: Das Mitverfolgen von Abhöraktionen gegen eine Drogenbande ist für den Betrachter mitunter ähnlich zermürbend wie für die polizeiliche Sondereinheit auf dem Bildschirm. The Wire verzichtet auf Twists, Cliffhanger, Zuschauermanipulation, und was man eben sonst so gewohnt ist. Kaum eine Information wird im großen Stil breitgetreten, man muss zusehen, wo man bleibt - für mich eine gänzlich neue Erfahrung, zumindest im Serienbereich. Demzufolge benötigte ich eine Weile, um mit dem hochökonomischen Erzählen Schritt zu halten. Ich glaube, es waren ganze zwei Staffeln. Der eher nüchterne, quasi-dokumentarische Ansatz verbietet es wohl von vorneherein, hier den Begriff "episch" zu bemühen. Führe ich mir hingegen vor Augen, was das Format anhand seiner überwiegend heillos zerrissenen Figuren dennoch an meertiefer Menschlichkeit aufsaugt und hochhält, fällt mir einfach nichts Besseres ein.

Vielleicht ist aber auch "vernetzt" das richtige Stichwort. Nicht umsonst verkündet es bereits der Titel. Der Bürgermeister entscheidet sich gegen finanzielle Zuschüsse für die Schulen, weil er zu stolz ist, eine Etage weiter oben drum zu betteln. Dies fällt zurück auf die Schulen, auf die Lehrer und schlussendlich die Schüler als letztes Glied der Kette. Dann kommt ein karrieregeiler Journalist (und/oder auch ein übermotivierter Cop) daher, erfindet eine mega Story und lenkt so von dem Problem ab, was wiederum den Bürgermeister freut, für den die Bahn zum Gouverneur-Posten nun frei ist. Soll man lachen? Soll man weinen?

Die Katze beißt sich in den Schwanz, denn ein System, dessen Institutionen nicht miteinander harmonieren, fordert an sämtlichen Ecken seine Opfer. Häufig sind es solche wie Frank Sobotka (Chris Bauer), die eigentlich das Richtige im Sinn führen, mit fairen Mitteln aber einfach nicht das Ziel erreichen, ohne auf tragische Weise zwischen die Fronten zu geraten, um von selbigen zermalmt zu werden. Als Konsequenz daraus stecken die meisten "The Wire"-Protagonisten in ihrer Situation fest wie der Hamster im Laufrad. Am Stärksten leiden darunter freilich die Kids, welche außer dem Dealen nichts kennen, keine Perspektive erfahren, ihr Leben lang nie die Stadtgrenzen Baltimores passiert haben. Woher der gestreckte Stoff kommt, den sie verkaufen - und ebenso, was er anrichtet - ist im Ergebnis egal. Die Endstationen heißen zumeist Gefängnis oder früher Tod - traurig, aber wahr. Ein paar wenige schaffen es irgendwann, dem Teufelskreis zu entfliehen, doch sie sind absolute Ausnahmen.

Befehlshierarchien und Business existieren überall. In der Politik, der Exekutive, im Gerichtssaal, auf der Straße. Fast alles kann man kaufen, fast jeder Beteiligte ist käuflich... und somit "in the game". Was also ändert es, wenn ein Detective einen Gangster auf einen Burger einlädt? Einerseits nicht viel - andererseits alles.

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