Tatort - Aus der Tiefe der Zeit in München

27.10.2013 - 20:15 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Tatort - Aus der Tiefe der Zeit
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Tatort - Aus der Tiefe der Zeit
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Große Erwartungen sammeln sich an, wenn Dominik Graf einen Sonntagskrimi inszeniert. Sein erster Tatort seit dem Klassiker Frau Bu lacht dürfte für viel Stirnrunzeln und vereinzelte Begeisterungsstürme sorgen.

In seinem neuen Tatort widersetzt sich Dominik Graf den gängigen Mechanismen des Sonntagabendkrimis und vor allem dessen höchstem Prinzip: der selbst im Wachkoma garantierten Verständlichkeit. Das soll nicht heißen, dass Tatort: Aus der Tiefe der Zeit dem Zuschauer Auflösungen verwehrt, vielmehr haben wir es hier mit einem Film zu tun, wie er selten in der öffentlich-rechtlichen Krimilandschaft zu finden ist, einen, der tatsächlich zum mehrmaligen Anschauen rät, ja sogar auffordert, einen, der sich dem Einwegcharme der Sonntagabendunterhaltung entzieht. Denn erst bei der von der profanen Mörderhatz losgelösten zweiten oder dritten Sichtung des neuen Münchner Tatorts offenbart sich das feine Gefüge zeitlicher Überschneidungen, Voraus- und Nachdeutungen, mit denen der Krimi der wohligen Linearität der Konkurrenz eine Absage erteilt. Graf-Enthusiasten, die schon Polizeiruf 110: Cassandras Warnung verschlangen, werden ihre Freude haben. An frühere Werke wie Polizeiruf 110: Der scharlachrote Engel, denen das Gleichgewicht zwischen narrativer und formaler Eskalation besser gelang, kommt er indes nicht heran; will er allerdings auch nicht.

Lokalkolorit: Leitmayr (Udo Wachtveitl) irrt mit dem Auto durchs Münchner Westend, überall Baustellen, überall Lärm, überall Parkverbot. Darüber gelegt: das Gerede um eine geschlossene Schule, die einem Edelwohnkomplex weichen muss. Gentrifizierung ist oberflächlich gesehen der Aufhänger des Krimis, doch eigentlich ist die Zersetzung dieses Münchens der Gauner, Spekulanten und Cowgirls schon viel länger im Gange. Dabei windet sich die Stadt dank der zackigen Zooms und Schwenks, dem Dauergetöse durch Mensch und Maschine wie im Schmerz ob der andauernden Verwandlung.

Plot: Durch einen Wasserschaden aus seiner Wohnung vertrieben, landet Leitmayr im Münchner Westend und damit mitten im Streit zwischen Immobilienspekulanten und Einwohnern um Baulärm und steigende Mieten. Als ein Bagger eine Leiche freischaufelt, führt die Spur zur exzentrischen Familie Holzer, die tief drin steckt in der “Aufwertung” des Einwandererviertels und so manch düsteres Geheimnis verbirgt. Mutter Holzer (Erni Mangold) verdingte sich mal als Calamity Jane und schießt zum Spaß auf ihren Nachwuchs, Sohn Peter (Martin Feifel) teilt sich Freundin Liz (Meret Becker) brüderlich mit der adoptierten Verwandtschaft und neigt zu Ausrastern in aller Öffentlichkeit. Als eine weitere Leiche gefunden wird, müssen sich Leitmayr und Batic (Miroslav Nemec) durch einen ganzen Haufen von Intrigen graben, der das Gerangel um Quadratmeterpreise weit übersteigt.

Unterhaltung: Der Untergang des Hauses Holzer ist ein sperriges Vergnügen, das eher mit eingeworfenen Skurrilitäten amüsiert (und davon gibt es einige), als konventionelle Thrills des Krimigenres zu liefern. Selbst die zu erwartende Spannung im Finale wird durch Zeitsprünge aufgebrochen, die uns vor vollendete Tatsachen stellen. So begeistert Tatort – Aus der Tiefe der Zeit als Untersuchungsobjekt, das seine Selbstreferenzialität bereits im ebenso soapigen wie großartigen Vorspann vor sich her trägt, ohne je die Sogkraft eines Scharlachroten Engels zu erreichen. Die seelischen Abgründe werden nicht verborgen, doch es bleibt das distanzierende Gefühl, selbst über der Stadt zu schweben, ihre Bewohner nie wirklich zu fassen zu kriegen.

Tiefgang: Angereichert mit einem zünftigen Figurenkabinett, skizzieren Regisseur Dominik Graf und Drehbuchautor Bernd Schwamm ein München, in dem Zukunft und Vergangenheit sich zu einem unaufhaltsamen Mahlstrom vereinen. Die Holzers mögen nichtsahnend in Sonne und Geld baden, doch längst rumort es unter ihren Füßen. Anders als gängige Krimis dieser Art ruht sich Tatort – Aus der Tiefe der Zeit nicht auf seiner gesellschaftspolitischen Aktualität aus. Die Gentrifizierung dient eher als Startblock, von dem aus der Krimi Stadt, Menschen und Geschichte erkundet, um ihre Wechselwirkungen nicht nur zu proklamieren, sondern, teils nostalgisch angehaucht, spürbar zu machen. Das halsbrecherische Tempo, die eigenwilligen Stilmittel und die erzählerische Dekonstruktion des Genres stehen in Diensten dieses Porträts urbanen Wandels, haben den Vorwurf enervierender Reizüberflutung allerdings verdient. Genau wie die Stadt selbst.

Mord des Sonntags: Er war der traurigste von uns allen.

Zitat des Sonntags: “Ich glaube ja schon an die Wiedergeburt, aber die bringt auch nix.”

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