Sonne und Beton von Felix Lobrecht ist ein Kino-Geheimtipp, aber hat ein Fack Ju Göhte-Problem

04.03.2023 - 09:40 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
Sonne und BetonConstantin Film
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Seine Premiere feierte Sonne und Beton bei der Berlinale. Jetzt läuft die Verfilmung des Bestsellers von Comedian Felix Lobrecht deutschlandweit im Kino – und lohnt sich trotz einer großen Schwäche.

Als Sonne und Beton in einem Einkaufszentrum mitten in Berlin-Gropiusstadt Premiere feiert, ist das Gedränge groß. Felix Lobrecht höchstselbst ist vor Ort, um die Verfilmung seines gleichnamigen Bestseller-Romans zu zelebrieren. Der Comedian war zusammen mit Regisseur David Wnendt auch am Drehbuch beteiligt.

Sonne und Beton spielt ebenfalls in Gropiusstadt, dem Teil des Berliner Bezirks Neukölln, der spätestens seit Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo sinnbildlich für fragwürdige Zukunftsaussichten steht. Im Film geht um vier Freunde, die nach einer Auseinandersetzung mit Drogendealern aus dem Viertel dringend 500 Euro auftreiben müssen. Doch niemand von ihnen hat Geld, nur jede Menge andere Probleme.

Das Ergebnis ist ein Film, der nicht nur für Fans härterer Coming-of-Age-Stories und Gangster-Geschichten interessant ist. Der aber auch ein überraschendes Problem hat.

Kindheit zwischen Drogen, Gewalt und Sido: Sonne und Beton ist eine berührende Coming-of-Age-Geschichte

Von links nach rechts: Julius, Lukas, Gino und Sanchez

Die Stars von Sonne und Beton sind vier Teenager: Lukas (Levy Rico Arcos) sucht nach dem Tod seiner Mutter verzweifelt nach Halt und findet den nur in seinem kleinkriminellen Bruder, den er verehrt. Julius (Vincent Wiemer) wiederum lebt mit seinem Bruder in einer Drogenhöhle und kompensiert seine Unsicherheit mit besonders "hartem" Verhalten. Gino (Rafael Luis Klein-Hessling) spart verzweifelt Geld, damit er und seine Mutter dem gewalttätigen und cholerischen Vater entkommen können. Und Sanchez (Aaron Maldonado Morales) ist erst vor kurzem in den Wohnblock gezogen. Was ihm seine alleinerziehende Mutter nicht finanzieren kann, klaut er.

Sonne und Beton zeigt, wie eine Jugend Anfang der 2000er in Berlin ausgesehen haben mag. Auf der einen Seite der pubertäre Wunsch, möglichst krass zu wirken. Sei es durchs Auftreten, große Sprüche oder dadurch, dass provokant der "Arschficksong" von Sido im Kinderzimmer aufgedreht wird. Das fühlt sich nicht nach herablassendem "Unterschichten"-Cosplay an, das als gesellschaftliches Brennpunkt-Thema anschließend in dutzenden Talkshows rauf und runter diskutiert wird, sondern authentisch.

Umso stärker sind deshalb auch die Momente, in denen der Film mit der harten Fassade der Kinder bricht. Wenn Lukas sich panisch in der U-Bahn vor älteren Jungs aus der Nachbarschaft versteckt und mit dem kindlichen Rucksack im Arm komplett allein wirkt. Oder wenn Gino nach einem Flirt-Versuch von Julius im Bus, der in einer Beleidigungsorgie zwischen den Jungs und den angesprochenen Mädels endet, leise "Schade" sagt. Was der jugendliche Cast hier leistet, ist wirklich beeindruckend. Man versteht die Ängste und Zwänge, mit denen diese Figuren leben.

Sonne und Beton von Felix Lobrecht ist einer der interessanten deutschen Filme des Jahres – und orientiert sich an gleich mehreren Kult-Filmen

Auch filmisch kann sich Sonne und Beton sehen lassen. Die Kamera von Jieun Yi ist mal ganz nah an den Jugendlichen dran, mal fängt sie die gesammelte Tristesse der Plattenbauten ein wie in einem 90er-Jahre-Rapvideo. Der Soundtrack mixt Deutschrap aus den frühen 2000ern mit aktuellen Tracks. Sonne und Beton sieht sich ganz eindeutig in seinen Hip Hop-Bezügen verwurzelt – und hat gleich mehrere Gastauftritte ehemaliger und aktueller Rap-Stars.

Generell fühle ich mich als Frau über 30, die auch Anfang der 2000er mit dem Erwachsenwerden kämpfte, mit den Popkultur-Anspielungen abgeholt. Auch was die filmischen Vorbilder von Sonne und Beton angeht. Eine Szene, in der die Jungs oberkörperfrei auf der Couch sitzen, kiffen und sich ungelenk über Frauen unterhalten, könnte so auch aus Kids von Larry Clark stammen.

Seht hier den Trailer zu Hass:

Hass - La Haine Trailer
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Eine weitere offensichtliche Inspirationsquelle ist Hass, Mathieu Kassovitz' Meisterwerk über drei Freunde in den trostlosen Banlieues vor Paris. Auch das ist nur folgerichtig: Ich kenne niemanden, der mit Rap in den Nullerjahren aufgewachsen ist und den Film nicht als Epizentrum cineastischer Coolness gesehen hat.

Es gibt viele dieser Anspielungen auf andere, unterm Strich bessere Filme. Aber es fühlt sich unfair an, Sonne und Beton mit Werken zu vergleichen, die so einen Einfluss auf die Gesellschaft und Popkultur hatten. Das, was Sonne und Beton gut macht, macht es nämlich WIRKLICH gut. Da muss es gar kein welterschütterndes Meisterwerk sein.

Fack Ju Göhte 2.0? Sonne und Beton wirkt stellenweise leider wie ein ganz anderer Film

Sonne und Beton ist ein guter Film – mit Ausnah

Es gibt dann aber doch eine Sache, die in Sonne und Beton überhaupt nicht funktioniert. Und das sind die Teile des Films, die in der Schule spielen, die Lukas, Gino und Co. besuchen. Hier fühlt sich nämlich gar nichts mehr echt an. Hier werden die jugendlichen Bewohner – und die überforderten Erwachsenen – zu ärgerlichen Klischees.

Schülerinnen und Schüler schreien durchgehend und werfen im Klassenraum mit Möbeln. Der Lehrer wird wegen den "bösen", vermeintlich undisziplinierten Migrant:innen natürlich zum Nazi. Als jemand aus der Politik eine Spende mehrerer teurer Computer an die Schule verkündet, wird er gnadenlos ausgelacht, weil er auf dem Weg zum Podium stolpert. Und der Schulleiter dreht schließlich komplett durch, als ebenjene Computer dann geklaut werden und Kamera-Teams auf dem Schulgelände auftauchen.

Eskalativen Alltag an der Problemschule hat Constantin Film schon mal produziert – mit der Fack ju Göhte-Reihe. Die war allerdings ganz klar auf Comedy ausgelegt, bewusst komplett drüber und auf Pointen geschrieben. Die Schulszenen in Sonne und Beton sind hingegen weder sonderlich witzig, noch passen sie zum Rest des Films. Stattdessen wirken sie wie Fremdkörper, die nur existieren, um ein zusätzliches Publikum ins Kino zu locken.

Dass diese Momente so gar nicht funktionieren, ist insbesondere deswegen überraschend, weil Mit-Drehbuchautor Felix Lobrecht hauptberuflich Menschen zum Lachen bringt. Trotzdem lohnt sich das Coming-of-Age-Drama. Denn Sonne und Beton ist ein guter Film – solange er nicht auf Krampf versucht, lustig zu sein.

Sonne und Beton läuft seit dem 02. März 2023 in deutschen Kinos.

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