Sind wir nicht alle ein bisschen Stromberg?

31.01.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Mein Herz für Serie: Stromberg
Pro7
Mein Herz für Serie: Stromberg
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Heute Abend läuft die zehnte und letzte Folge der fünften Staffel von Stromberg. Auch wenn höchstwahrscheinlich noch ein Kinofilm folgen wird, ist es, wie ich finde, höchste Zeit, dass ich dem Papa mein Herz für Serie verleihe.

Ich bin für klare Hierarchien. Gott hat ja auch nicht zu Moses gesagt: Hier Moses, ich hab da mal was aufgeschrieben, was mir nicht so gut gefällt. Falls du Lust hast, schau doch da mal drüber. Nein, da hieß es: Zack, 10 Gebote! Und wer nicht pariert, kommt in die Hölle. Bums, aus, Nikolaus.

Bernd Stromberg, Leiter der Schadensregulierung M bis Z bei der Capitol Versicherung, ist bekanntermaßen der schlimmste Chef der Welt. Er ist stets ausschließlich auf seinen eigenen Vorteil aus, sehr sexistisch, etwas fremdenfeindlich, völlig taktlos und erschreckend inkompetent. Somit ist er der chefgewordene Alptraum für die Mitarbeiter seiner Abteilung, allen voran der Möchtegern-Macho Ulf (Oliver Wnuk), die vollschlanke Erika, die abgeklärte Tanja und der elende Schluck Wasser Ernie… ähh, Berthold Heisterkamp (Bjarne Mädel). Doch Stromberg, der sich selbst auch gerne als “Papa” bezeichnet, weiß, dass er seine ständigen Eskapaden und beruflichen Verfehlungen ausgleichen muss, will er seine Schäfchen nicht gänzlich gegen sich aufbringen. Das Menschliche muss halt stimmen. Oder um ihn direkt zu zitieren: “Machst du gute Laune, machen die Leute dir die Arbeit, so einfach ist das. Auf den Baumwollfeldern damals bei den Sklaven wurde ja auch immer gesungen.” So richtig will sich allerdings keiner an seinen Späßchen, Witzen und Sprüchen erfreuen. Keiner bis auf den Zuschauer, der das ganze Geschehen aus sicherer Entfernung verfolgen kann und sich aufgrund von Schadenfreude, Fremdschämen und Strombergs unvorhergesehenen Metaphern köstlich amüsiert.

“Ich bin ja quasi die perfekte Mischung aus jung, aber sehr erfahren. Gibt’s in der Form ja sonst nur auf dem Straßenstrich.”
Nicht umsonst hat Pro7 beständig an Stromberg festgehalten, obwohl die Quoten von der ersten bis zur letzten Staffel eher unterdurchschnittlich waren. Die Serie ist witzig, intelligent und pointiert, die Dialoge perfekt auf den Punkt gebracht, die Charaktere eine überspitzte Version von wahren Menschen, die wir irgendwo in irgendeiner Form alle schon einmal kennengelernt haben. Kurzum, sie ist ein Aushängeschild von Pro7, die damit nicht nur beweisen, dass sie in der Lage sind, Qualität zu produzieren anstatt nur hochwertige Serien zu importieren, sondern dass gute, originelle Comedy in Deutschland endlich wieder möglich ist. Zugegeben, die Idee, den Büroalltag als Mockumentary humoristisch darzustellen, stammt aus Großbritannien – genauer gesagt von Das Büro mit Ricky Gervais – aber dem heimischen Format gelingt es, dem Konzept einen frischen Twist zu verpassen.

“Vertan, sprach der Hahn – und stieg von der Ente.”
Das Faszinierende an Stromberg ist, dass er auf eine sonderbare Art und Weise liebenswert ist, obwohl er ein ebenso großer Kotzbrocken wie der verachtenswerte Office-Boss Ricky Gervais ist. Irgendwie erkennen wir uns in seinen Charaktereigenschaften wieder, wenn wir ehrlich mit uns selbst sind. Im Job schielen doch die meisten ständig auf eine Beförderung und legen ihr Hauptaugenmerk darauf, selbst am besten dazustehen und wann immer möglich die Lorbeeren der Arbeit der Kollegen einzuheimsen oder zumindest durch ein wenig Selbstbeweihräucherung besser dazustehen. Beim Lurchi ergibt sich lediglich die interessante Kombination aus einer Kamera, die unerbittlich alle mehr oder minder erfolgreichen Schachzüge Strombergs einfängt, und einer Hauptfigur, die vollkommen unfähig ist, sein Eigeninteresse in irgendeiner Form zu verstecken.

“Na, nehmen Sie nicht die Hühnerbrust? Naja, würde ja auch nicht zu Ihnen passen. Ich nehme ja auch nicht die Ochsenschwanzsuppe.”
Neben dem ausgefeilten Drehbuch sind es besonders die Darsteller, die es mir angetan haben. Es ist schwer, sich Christoph Maria Herbst in einer anderen Rolle als Bernd Stromberg vorzustellen. Da verwundert es nicht, wenn Herbst, wie er oft erzählt hat, Schläge auf der Straße angeboten bekam. Seine “ähmms” und “hmmms” gepaart mit seinem in die Leere gehenden Blick und dem Hinunterstreifen an seiner Krawatte ist unnachahmlich, auch wenn Michael Kessler es in Switch reloaded oft genug versucht hat. Wie sehr die Schauspieler in ihren Charakteren aufgehen, dafür steht jedoch Bjarne Mädel als Ernie. Als vehement unter Achselschweiß leidendes, ständig gemobbtes Muttersöhnchen nimmt man ihm jeden übertriebenen Charakterzug ohne Wimpernzucken ab. Dabei erwische ich mich immer aufs Neue, wie ich über den armen Kerl lache, wenn er mal wieder das Ziel ein gehässigen Jokes wird. Die tiefe Traurigkeit seiner Existenz wird deutlich, wenn er sagt: “Ich habe ja niemanden und niemanden zu haben, ist das Schlimmste, was man haben kann.”

Dass das Menschliche unter der sprücheklopfenden Fassade Strombergs entgegen aller Annahmen doch vorhanden ist, zeigte die jüngst ausgestrahlte Episode. Der Papa hat uneigennützige Gefühle entwickelt und, ohne diejenigen, die sie noch nicht gesehen haben, zu viel spoilern zu wollen, eine emotionale Seite an sich entdeckt. Hoffen wir, dass uns das Büro-Ekel auch nach dem Spielfilm lange erhalten bleibt!

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