TV-Skandal: Was bei Promis unter Palmen falsch gelaufen ist

16.04.2021 - 10:25 UhrVor 3 Jahren aktualisiert
Promis unter Palmen mit Katie Bähm
Sat.1
Promis unter Palmen mit Katie Bähm
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Es war bei der Sat.1-Show Promis unter Palmen eine Katastrophe mit Ansage: Der Sender hat keine Ahnung, wie er mit homophoben Menschen umgehen soll. Das ist ein riesiges Problem.

Update: Sat.1 hat inzwischen auf die Kritik an der Show reagiert  und die Folge aus der Mediathek bei Joyn entfernt. Begründung: Die Einordnung der homophoben Äußerungen durch den Sender sei nicht ausreichend gewesen. Es folgt der ursprüngliche Artikel mit den Hintergründen.

Marcus Prinz von Anhalt muss Promis unter Palmen nach der 1. Folge der 2. Staffel verlassen. Es ist eine Wettbewerbsniederlage, einer muss halt gehen. Ohne die knapp eineinhalb Stunden der Show gesehen zu haben, hätte man denken können, die Kandidat*innen verabschieden hier mit dicken Tränen in den Augen eine Seele von Mensch, einen einfühlsamen, gerechten Samariter.

Und nicht etwa einen Mann, der nur kurz zuvor die Teilnehmerin und Dragqueen Katy Bähm vor aller Augen mit homophoben Kommentaren unterster Schublade beleidigt hat. Der herzzerreißend inszenierte Abgang zeigt, wie sehr Sat.1 die Show gestern entglitten ist.

Promis unter Palmen: Eine Katastrophe, die Sat.1 nicht zulassen durfte

Zur Erinnerung, Promis unter Palmen, das ist die Trash-Reality-Show, die nach einem Skandal schon letztes Jahr existenzielle Fragen an das Genre stellte. Unter Anführung von Bastian Yotta mobbte eine Gruppe die Teilnehmerin Claudia Obert vor laufenden Kameras bis zum Zusammenbruch. Können wir uns sowas guten Gewissens anschauen?

Gut, hieß es damals, sowas (Mobbing) passiert in der Realität und Reality-TV bildet das eben ab. Es hagelte dennoch Kritik , die der Show vor allem mangelnde Einordnung vorwarf. Eine Rahmung also, die dem Publikum verständlich machte, dass Mobbing kein menschenwürdiges Verhalten ist. Sat.1 gelobte Besserung.

Promis unter Palmen

Mit diesem Vorwissen wirkt allein die Einladung von Marcus von Anhalt wie eine erneute Kapitulation vor der Gier nach spektakulären Einblicken in die dunkelsten Nischen der menschlichen Seele. Der Mann ist wegen Menschenhandels und Zuhälterei vorbestraft , er unterstützt die AfD. Sat.1 provoziert Eskalation um jeden Preis und ohne Rücksicht.

Homophobie in Trash-Show: Sat.1 machte bei Promis unter Palmen schon wieder alles falsch

Es könnte eigentlich ganz einfach sein: Lade keine menschenfeindlichen, homophoben Kriminellen in deine TV-Show ein, die zur besten Sendezeit läuft. Jetzt hat sich Sat.1 aber nun mal den Affen an den Esstisch geholt. Und er wirft mit Fäkalien um sich.

Ohne ins Detail zu gehen: Es geht hier um absolut erbärmliche Aussagen aus dem untersten homophoben Regal, von denen ich nicht geglaubt hätte, sie nochmal in einer quotenstarken Primetime-Show zu hören.

Wie hätte eine gute Trash-Show damit umgehen können? Ein paar Vorschläge.

  • Möglichkeit 1: Sat.1 erkennt die Grenzüberschreitung sofort, zieht eine klare Linie, entfernt von Anhalt umgehend und dreht den Rest der Show ohne ihn. Pressemitteilung an die Medien, das war's. Es wäre ein klares Statement gewesen.
  • Möglichkeit 2: Eine glasklare Positionierung und Einordnung durch den Sender während der Show. Und damit meine ich eine spürbare Unterbrechung des Sendeflusses, die zeigt, dass hier nicht nur eine weitere Entgleisung eines betrunkenen Kandidaten stattgefunden hat, die Homophobie mit dem Streit um das schönste Bett im Haus gleichsetzt.
  • Möglichkeit 3: Schaden begrenzen, den Vorfall rausschneiden, von Anhalt im Laufe der Staffel nur noch wenig Bildschirmzeit geben, am liebsten gar keine und die Sache bis zum Rauswurf aussitzen. Katy Bähm hat sich selber dagegen ausgesprochen .

Nichts davon ist passiert. Sat.1 ging stattdessen davon aus, dass das Tribunal der Teilnehmenden vor Ort seinen Job ausreichend erledigt habe und eine weitere Rahmung nicht nötig sei. Was für eine Fehleinschätzung!

Wie der Trash-Abend bei Sat.1 zur Katastrophe in Zeitlupe wurde

Es stimmt, Teilnehmer Willi Herren protestierte lautstark, viele andere reagierten geschockt und trösteten Katy Bähm. Das nahm Marcus von Anhalt aber lediglich als Diskussionsangebot an, seine "Meinung" - !Homophobie ist keine Meinung! - weiter auszuformulieren. Zudem kamen auf die Alliierten der am Boden zerstörten Katy Bähm genauso viele Teilnehmende, die von Anhalt schützten oder unterstützten.

Das ging so bis zur Rauswahl am Ende der Show weiter. Die Kandidat*innen bestimmen selber, wer rausfliegt. Sie müssen ihre Wahl begründen. Aber niemand, der für von Anhalt stimmte, begründete das eindeutig mit seinen homosexuellenfeindlichen Einstellungen. Stattdessen hörte man, was für ein "herzensguter Mensch" der Mann mit dem gekauften Adelstitel doch sei, wenn er nicht gerade ein paar über den Durst getrunken hat.

Die anderen Teilnehmenden bekamen schließlich nicht mit, wie von Anhalt tagsüber einfach denselben Dreck nochmal erzählte.

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Er suchte am Tag nach dem Ausraster das Gespräch mit Katy Bähm. Er schickte die anderen Teilnehmenden weg. Im halbwegs ausgenüchterten Zustand versuchte sich von Anhalt an einer Entschuldigung.

Als Katy Bähm nachhakte, blieb er bei seinen Aussagen. Ich war noch nicht in so einer Situation, Katy Bähm wahrscheinlich aber schon sehr oft und ich kann mir vorstellen, dass diese Unterhaltung bei klaren Sinnen für sie noch unerträglicher war als die Eskalation am Abend zuvor.

Es gab hier keine Ausreden mehr. Der Homophobe ist nun mal nicht nur nachts homophob, ein Menschenfeind ist nicht nur im betrunkenen Zustand ein Menschenfeind.

Sat.1 und Promis unter Palmen würdigen Homophobie als diskutable Position

Ein vorgeplanter Tweet von Sat.1 sollte die Brände bei Twitter löschen und klarstellen, dass Sat.1 Homophobie nicht gutheißt. Als ob es darum gehen würde. Ist das wirklich unsere Kommunikationsebene im Jahr 2021? Liegt die Latte so niedrig?

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Nein, das Problem am Umgang mit dem Fall Marcus von Anhalt ist ein anderes. Sat.1 hat mit seiner gesamten Gestaltung und Ausrichtung des Abends Homophobie als diskutable Position gewürdigt.

Denn es ging ja noch weiter. In der anschließenden Late-Show zu Promis unter Palmen wagten die Moderator*innen Jochen Bendel und Melissa Khalaj live eine Rückschau. Sie wussten zu dem Zeitpunkt natürlich, wie das Netz auf die Folge reagiert hat. Man müsse so etwas zeigen, sagte Bendel, der selber homosexuell ist.

Homophobie fände in der Gesellschaft statt und man müsse widersprechen. Nein, sorry, wir diskutieren auch nicht mit Vertreter*innen der Die-Erde-ist-eine-Scheibe-Theorie. Reproduktion von irrationalen Vorbehalten führt zu neuer Akzeptanz. Auftritte wie die von Marcus von Anhalt bei einem großen Sender wie Sat.1 in einer quotenstarke Show sind ein Rückschritt. Das muss Sat.1 bewusst sein.

Von Anhalt hätte gar nicht Teil der Show sein dürfen, Menschen dieser Art haben keine Sendezeit verdient. Die erwartbare Eskalation konnte der Sender weder in die richtigen Bahnen lenken noch zu einem moralischen "Lerneffekt" verwerten. Wenn Sat.1 wie bei Promis unter Palmen gezielt die Eskalationsschraube hochdreht, muss der Sender Methoden zur Einhegung des Wahnsinns vorbereiten.

Die beste Entscheidung traf Sat.1 deshalb viel zu spät: Marcus von Anhalt sollte live vor Jochen Bendel Stellung nehmen. Ja, ich weiß, seufz, ganz blöde Idee. Das merkte auch Jochen Bendel und womöglich war das mit Sat.1 gar nicht abgesprochen. Bendel kappte ohne Vorwarnung nach wenigen Sekunden die Verbindung. Von Anhalt ist jetzt endlich auch offiziell unerwünscht.

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