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Rhythmus und Percussion in der Filmmusik - feel your heart BEAT!

01.03.2016 - 11:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Do you feel the thunder?
Warner Bros. Pictures Germany/Sophia Rosenberger/Robin Schröder
Do you feel the thunder?
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Jeder Filmmusikmogul hat ja irgendwo immer so seine Lieblinge, was die Besetzung ihrer Musiker angeht. John Williams liebt seine Streicher, Alan Silvestri ist eher ein Mann der Bläser. Hans Zimmer – okay, der macht irgendwie alles. Doch es gibt ein Element, das für so ziemlich jeden Soundtrack, der eine Spannung aufbauen soll, unerlässlich ist: Der Rhythmus. Und klassischerweise wird die erzeugt durch Percussion - Schlaginstrumente, Effektinstrumente. Sie sind die treibende Kraft eines energiegeladenen Soundtracks.

Rhythmus liegt uns Menschen im Blut. Halt, Moment, das ist nicht ganz richtig. Rhythmus liegt sogar den meisten fühlenden Lebewesen im Blut. Er bestimmt Bewegung und Leben.
Das fängt schon beim Herzen an. Eine Herzrhythmusstörung will niemand haben, denn wenn das Herz wortwörtlich einen Schlag überspringt, kommen unsere Blutversorgung und der Kreislauf ins Wanken. Wenn der richtige Takt gestört ist, wird es ungesund.
Rhythmus ist überall. Er bewegt unser Innerstes und steuert unser Äußeres. Wer mehr als eine Extremität zur Fortbewegung hat (also nicht kriecht oder sehr ungelenk hopst), der kann sich nur fortbewegen, wenn er diese Extremitäten in regelmäßigen Schrittabständen koordiniert bekommt.
Hierfür sind Pferde ein hervorragendes Beispiel. Gehen sie Schritt, bewegen sie sich im Vier-Viertel-Takt. Ein Bein nach dem anderen, ganz entspannt. Traben sie, bewegen sich immer die diagonal gegenüberliegenden Beine im Zwei-Viertel-Takt. Der Galopp funktioniert auch als Walzer – er läuft im Dreivierteltakt ab. Alles ist Rhythmus.

Wir Menschen haben das schon früh erkannt und für uns genutzt.
Percussion als Kommunikationsmittel im Busch – eine Sprache, die uns auf ganz natürliche Art verständlich ist. Ich selbst habe jahrelang Djembe gespielt, eine afrikanische Trommel. Wenn verschiedene Rhythmen wie im Chor im Kanon gegeneinander laufen, muss man irgendwann nicht mehr nachdenken, wie man seine Hände bewegt. Es kommt von ganz allein.
Früher wie auch heute nutzte man Trommeln, um den Rhythmus der individuellen Bewegung auf alle zu übertragen und ganze Armeen oder Rudermannschaften zu koordinieren. Unser Körper und unser Gehirn verstehen instinktiv den Sinn von Rhythmik. Nicht jeder von uns kann in einem Lied direkt einen Salsarhythmus erkennen, aber jeder erkennt, dass da überhaupt einer ist. Nicht jeder ist der geborene Musiker oder Tänzer, aber jeder von uns kann zumindest ein wenig mithüpfen, schaukeln oder hat schon mal mit Kugelschreibern auf seinen Schreibtischutensilien Schlagzeug gespielt.

Keine Ruderer ohne Rhythmus.

Unsere Welt und unser Leben ist voller Rhythmus, und wenn man im Film das Leben, Gefühle oder Bewegung vermitteln will, braucht man diesen Rhythmus. Und man braucht zumindest an der ein- oder anderen Stelle Percussion. Sie ist der Motor für musikalische Meisterwerke und kann mit verschiedensten Instrumenten erzeugt und auf vielfältigste Art zu den unterschiedlichsten Zwecken eingesetzt werden:

Die Wahl von Instrumenten gibt in der Filmmusik sehr häufig das Setting wieder. Dasselbe gilt für die Wahl der Schlaginstrumente: Sie kann uns das Setting, die Landschaft, das Land, in dem eine Szene stattfindet, verraten.
An afrikanischen Trommeln erkennen wir ein Dschungel- oder Wüstensetting. Als Paradebeispiel möchte ich hier den Track „Dinner is ready“ von Hans Zimmer aus dem zweiten Fluch der Karibik nennen, in dem die Location der Menschenfresserinsel ausgezeichnet illustriert wird durch die fast komplett auf Trommeln basierende Musik.
An Bodráhns, die mit der Hand oder mit einem Klöppel gespielt werden, ist ein irisches oder schottisches Bühnenbild gut wiederzuerkennen.
Sogar einzelne Requisiten können durch bestimmte Instrumente verkörpert werden, und besonders im Falle von Waffen eignet sich Percussion wieder hervorragend. So verwenden sowohl Alan Silvestri beim Avengers-Thema, als auch Patrick Doyle bei einigen Tracks des Thor-Soundtracks und Howard Shore besonders beim Song of the Lonely Mountain (performed von Neil Finn) Schlaginstrumente, mit denen sich der Klang eines Hammers imitieren lässt.

Die erzeugen beim Zuhörer in den ersten beiden Fällen die Assoziation zu Thors Hammer Mjölnir, im zweiten die zu den Zwergenhämmern im Erebor.

Andersherum kann durch Rhythmuswahl auch eine bestimmte Situation wiedergegeben werden, wobei Tanz- und Marschrhythmen noch die simpelsten sind. Auch Kämpfe lassen sich hervorragend durch Schlaginstrumente (Pun not intended...) akzentuieren, ein Kniff, der beispielsweise bei Hans Zimmers Sherlock Holmes Soundtrack auffällt.
Auch Verfolgungsjagden hängen oft stark mit der Hintergrundmusik zusammen und werden dadurch aufregender. Bewegung ist eben, wie gesagt, an Rhythmus gekoppelt, Motor und so.
Apropos Motor (Nennt mich Meister der Überleitung): Ich zeige euch jetzt drei Musikstücke, in denen verschiedenste Form der Percussion eingesetzt wurde, um ganz besondere Momente zu erzeugen. Ich gebe euch immer die Videos mit, damit ihr auch wisst, wovon ich da rede. Kommt mit auf eine Reise, auf der ihr nur eure Ohren und euer Herz braucht.

Teil eins: Mad Max – Fury Road. Brothers in Arms.


Zunächst mal muss ich noch vorweg schieben, dass alle drei Stücke, die ich euch präsentieren und ein wenig auseinanderlegen werde, musikalische Juwelen sind. An dieser Stelle schon mal eine tiefe Verneigung vor Tom Holkenborg alias Junkie XL, John Powell, Thomas Newman und Tambuco.
Jeder Track eines Soundtracks gehört zu einer gewissen Szene. Doch „Brothers in Arms“ fasst die musikalische Umsetzung des Feuerwerks, das Mad Max ist, somit am besten als Paradebeispiel für sämtliche Szenen zusammen. Mad Max ist Adrenalin, es ist ein Pulsieren, brachiale Energie, es ist Krieg.
Das uralte Thema der Kriegstrommeln wird wieder aufgegriffen, zunächst von elektronischen, dann von realen Trommeln. Die Melodie tritt vor allem anfangs, zum Hochjagen des Adrenalins, noch völlig in den Hintergrund. Die Trommeln geben einen Puls wieder, der immer höher steigt.
Adrenalin mischt sich mit Testosteron, denn alles, was auf dieser Jagd passiert, strotzt nur so vor Männlichkeit. Beim Autofahren ist es halt nur leider schwer, sich selbst auf die Brust zu trommeln, also übernehmen das die War Drums.
Eine Demonstration von Kraft, Macht und Fieber. Es wird keinem wirklich simplen Takt gefolgt, einiges ist Off-Beat (also versetzt zum normalen Takt), es wird mit Tempo gespielt, es ist alles dabei.
Das Wenige, was an Streichern, Bläsern und Synthesizer verwendet wird und tatsächlich Töne von sich gibt, wird auch nicht in der herkömmlichen Weise verwendet, sondern greift vollständig den bestehenden Rhythmus aus. Mit Streichern lässt sich ein hervorragender Rhythmik-Teppich legen und gleichzeitig ein wenig Melodie vermitteln, und genau das macht Holkenborg hier.
In den wenigen, intensiven Momenten, in denen die Trommeln verstummen, machen die Streicher weiter, erzeugen immer weiter diesen rasenden Herzschlag, und steigern schließlich gemeinsam mit der eigentlichen Percussion (die man ja sogar zu sehen bekommt im Film, schließlich wird die mitgeschleppt) die Intensität bis zur totalen Gänsehaut, bis einem selbst das Blut durch den Körper schießt, als säße man mit in den Wagen des Packs und könne die Energie spüren, den Fuß auf dem Gaspedal, mit einem Schrei auf den Lippen: „Oh what a day! WHAT A LOVELY DAY!“

Teil zwei: Drachenzähmen leicht gemacht. Forbidden Friendship.

Einer der ergreifendsten Soundtracks aller Zeiten in seiner Gesamtheit, besitzt „Drachenzähmen leicht gemacht“ auch noch einen der schönsten Tracks aller Zeiten. „Forbidden Friendship“ bringt mich regelmäßig zum weinen.
John Powell arbeitet hier ganz besonders mit aller möglichen Percussion, die die Musikkiste so hergab. Xylophon, (ich glaube, ein Marimba ist dabei), Schlittenschellen und selbst der Bass (der ja an und für sich auch ein Rhythmusinstrument ist), laufen in ähnlichen, aber doch unterschiedlichen Rhythmen gegeneinander und legen einen sehr komfortablen, breiten Klangteppich, der auch hier den Herzschlag mitreißt – allerdings in einer sensibleren, weniger treibenden als vielmehr sanft mit sich bewegenden Art.
Wo Mad Max brachial ist und einen aufpeitscht, nimmt einen dieser raffinierte Soundtrack bei der Hand und zeigt einem behutsam seine Welt. Die verwendete Percussion passt zur Thematik des Films: Xylophone und Ähnliches klingen immer ein wenig wie magische Glockenspiele und eignen sich effekttechnisch hervorragend für Fantasy. Die Schlittenschellen passen zum skandinavisch angehauchten Setting und sind, dadurch, dass sie lediglich den Grundtakt angeben, auch eigentlich sehr unaufdringlich (im Gegensatz zu ihrer Penetranz in den meisten Weihnachtsliedern).
Auch bei Powell übernehmen die Streicher mehr Rhythmus als Melodie – denn die wird hier überwiegend vom Xylophon übernommen. Die Rhythmik hier passt zur Szene, einer schön gemachten Montage: Hicks, der Hauptcharakter, kommt dem Drachen Ohnezahn näher. Erst zaghaft, dann immer begeisterter lassen die beiden sich auf den anderen ein und bauen eine Art Vertrauensbasis auf. Die Streicher "laufen" als Schrittmacher rhythmisch mit und bringen das Ganze voran.
Auch hier intensiviert sich das Stück zuhörends, aus einem Herzschlag werden zwei, aus Neugier wird Freundschaft. Zusätzliche Trommeln werden mit aufgenommen. Ein Hackbrett stimmt mit ein.
Aus aufeinander Zugehen wird Tanzen – und das geht nun einmal nicht ohne Rhythmus. Erst im entscheidenden Moment, in dem das Herz kurz stehenbleibt, in dem Hicks wie auch wir den Atem anhalten, treten die Schlaginstrumente ganz in den Hintergrund.

Teil drei: Spectre. Los Muertos Vivos Estan.

Hier hatte Thomas Newman wirklich ein Händchen für geniale Kooperation (ein Hoch auf die Percussionistengruppe Tambuco an dieser Stelle!) und eine perfekte Umsetzung der Szenerie an sich.
Hier wird die Percussion schon allein deshalb wirklich notwendig, weil sie Teil des Szenenbilds ist. Wir befinden uns auf der Parade zum Tag der Toten in Mexiko City und Bond-Thema und die Rhythmen der Parade verschmelzen nahtlos miteinander.
Somit nutzt bzw. zeigt uns Newman nicht nur die Energie der ganzen Szenerie, sondern auch den kulturellen Hintergrund – schließlich gehören bewegende Rhythmen und Süd- bzw. Mittelamerika zusammen wie James Bond und sein Vodka Martini.
Auch, als der Fokus von der Parade selbst abrückt und sich zur Hauptperson hinbewegt, wird die Percussion als Grundrhythmus beibehalten, und wenn man aufpasst, fließt die ganze Szene mit diesem Rhythmus. Bond bewegt sich mit ihr, die Kamera bewegt sich mit ihr. Selbst, als das Bond-Thema klar erkennbar einsetzt, untergräbt es die eigene Melodie und den Takt der Trommeln nicht. Eher im Gegenteil: Die sonst so prominenten Bläser und die Gitarre des Bondmotivs werden akzentuiert als Rhythmuselemente eingesetzt statt sich über alles andere zu setzen und ihre zugehörige Melodie zu spielen.
Die ganze Szene bleibt stets in einer Art der Bewegung und ist aus einem Guss, ein Take, kein sichtbarer Schnitt.
Hierzu braucht man einen Takt, der diese Bewegung zusätzlich stützt und ebenso präsent bleibt, der Gehen und Stehen vorantreibt oder bremst. Nur zum Schluss hin kommt das Ganze ganz kurz zum Erliegen, als Bond zwischendurch weit genug von den Festivitäten entfernt ist - doch der Moment ist nur von kurzer Dauer und im Anschluss setzen neue Schlaginstrumente ein. Und zwar die, die Newman klassischerweise in seinen spannungsreicheren Sequenzen verwendet. Sobald der Fokus voll und ganz auf Bonds Mission liegt, treten "seine" Instrumente und "sein" angespannter Rhythmus in den Vordergrund. Die Szene ist bildlich und musikalisch perfekt im Einklang, und das hätte Newman sicherlich schwer geschafft ohne diese geniale Percussion.

Es gibt natürlich noch Tausende und Abertausende weitere Beispiele, in der Percussion und Rhythmus den Film oder die Szene auf entscheidende Art und Weise tragen. Aber da eure Aufmerksamkeitsspanne und meine Möglichkeiten begrenzt sind, belasse ich es bei den dreien. Ich hoffe, euch bewegt diese Musik ebenso wie mich und ihr hattet genauso viel Spaß beim Lesen und Hören wie ich beim Schreiben und nebenher mit den War Drums mit wippen.

Hier die Links aller anderen Teilnehmer, schaut und hört rein - und jeder, der auch Bock hat, ist herzlich willkommen zum Thema nächsten Monat: Animalisch.

Grimalkin: https://www.moviepilot.de/n…/joe-und-takeshi-am-strand-167527

chita91: https://www.moviepilot.de/…/soundtracks-und-filme-oder-leg-d…

ElsaWaltz: https://www.moviepilot.de/…/fantasia-disneys-ganz-besonderer…

alex023: https://www.moviepilot.de/news/soundtrack-life-167406 

Absurda.: https://www.moviepilot.de/…/was-ist-rock-n-roll-und-wie-viel… 

HannaLotta: https://www.moviepilot.de/…/and-in-this-moment-i-swear-we-ar…

(VINCENTVEGA): https://www.moviepilot.de/…/michel-legrand-eine-verkannte-le…

Amarawish: https://www.moviepilot.de/…/eine-musikalische-geschichte-167…

Friedsas: https://www.moviepilot.de/…/zwischen-gewalt-und-dem-groove-s…

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