Wie kamen Sie zu der Idee, einen Film über Berlin zu machen? Und wie war die Zusammenarbeit?
Die Ursprungsidee kam von dem Redakteur des RBB, Rolf Bergmann, der Michael Ballhaus dazu bewegen wollte einen Film über das Berlin zu machen, welches er bei seiner Rückkehr nach Deutschland, nach vielen Jahren in Hollywood, vorgefunden hat. Michael wusste sehr schnell, dass er den Film nicht allein machen wollte. Und so rief er mich im August 2006 an. Ich war gerade in meiner Heimat, in den Bergen Patagoniens, und machte mit meiner Familie Urlaub. Ich stand tatsächlich auf einem Berg, als das Handy klingelte und Michael mich fragte: „Hättest Du Lust, gemeinsam mit mir einen Film über Berlin zu machen?“ Meine Antwort war natürlich: „Ja!“ Wie symbolträchtig: Da stehe ich in meiner Heimat und bekomme das Angebot, einen Film über meine zweite Heimat, über Berlin zu machen. Bald darauf trafen Michael und ich uns in Berlin, zusammen mit seiner verstorbenen Frau Helga, die ihm vorgeschlagen hatte, mich zu fragen.
Das Konzept für den Film war auch schnell gefunden: Wir wollten eine möglichst große Zahl von Porträts drehen, von möglichst unterschiedlichen Menschen, die sich zeitlich wie räumlich in der Stadt bewegen, leben und über ihre Stadt reflektieren. Es sollte keinen thematischen Schwerpunkt geben, um die verschiedenen Rollen der verschiedenen Menschen in der Stadt zu betonen. Diese Geschichten sollten am Ende verwoben werden, um die Gleichzeitigkeit ihres Lebens in der Stadt aufzuzeigen. Ebenso wichtig war uns natürlich, die Stadt Berlin zu einem eigenen Protagonisten zu machen.
Was ist das Besondere an der Stadt? Wo liegt der Unterschied zwischen Berlin und Buenos Aires?
Berlin ist heute eine offene Stadt geworden. Aber man kann nicht genau prognostizieren, in welche Richtung die Stadt sich entwickeln wird: In der Tat ist die Stadt arm und es wird viele Jahre dauern, bis sich diese Situation hoffentlich umkehrt. Aber Berlin ist daher auch billig und ruhig. Es wirkt ein bisschen, als hätte sie sich aus der Zerstörung des zweiten Weltkriegs noch nicht ganz erholt. Allem in Berlin wohnt etwas Unfertiges inne. Zum einen aufgrund der vielen Brachen, dem noch unbebauten Grund. Zum anderen, weil sich nur in Berlin noch so viel Raum für neue Ideen bietet. Hier finden sich noch Nischen, um neue Projekte zu machen. Hier kann man noch träumen und sich ausprobieren. Dieser Raum prägt alle Sinne. Und das ist auch der Grund, warum es gerade so viele junge Leute aus ganz Deutschland und Europa nach Berlin zieht. Ob sie am Ende bleiben werden, wird sich zeigen. Sie alle müssen zuerst den Winter in Berlin – ohne Sonne! – überwinden.
Buenos Aires ist eigentlich gar nicht meine Heimatstadt. Denn ich komme aus Bariloche, das liegt in den Bergen Patagoniens. Doch Buenos Aires ist zu MEINEM Ort in Argentinien geworden. Ein großer Teil meiner Familie und meiner Freunde wohnt dort. Wenn ich nach Buenos Aires komme, atme ich erst einmal tief ein. Nicht wegen der Luft, die viel schmutziger ist als in Berlin, sondern wegen dem Geist einer wirklichen Metropole. Die Straßen sind voll mit Menschen, an jeder Ecke gibt es Cafés. Alle Menschen bewegen sich hektisch. Und es gibt noch zahlreiche weitere typische Details einer großen stressigen Stadt… Dann sehne ich mich manchmal doch wieder nach dem oft zu ruhigen Berlin.
Berlin ist wie die Magnolie im Hof meines Wohnhauses: Im Winter trägt sie schon die Knospen, die für eine kurze Zeit im Frühling wunderschön erblühen. Im Sommer spendet sie erfrischenden Schatten. Und auch Berlin ist im Frühling und Sommer am Schönsten. In Buenos Aires ist es nur im Sommer unerträglich. Aber im Grunde kann man die zwei Städte nicht wirklich vergleichen. Ich genieße das Leben in jeder der beiden Städte auf eine eigene Art und Weise. Und irgendwie brauche ich mittlerweile beide Städte abwechselnd, um richtig glücklich zu sein.
Das Besondere des Films ist neben der Tatsache, dass Michael Ballhaus den Job gewechselt hat auch, dass zwanzig Protagonisten sehr persönlich über sich und ihre Stadt erzählen. Wie kamen Sie zu Ihren Protagonisten?
Für Michael Ballhaus war von Anfang an klar, dass er bestimmte Freunde, die für ihn seine Beziehung zu dieser Stadt ausmachen im Film porträtieren wollte. Für mich war eine Mischung aus meiner persönlichen Beziehung zu der Stadt und einer gewissen Objektivität wichtig. Also wollte ich neben meinen Freunden auch Protagonisten suchen, durch die ich andere, mir fremde, Aspekte und ein bisschen auch das Berlin des 21. Jahrhunderts zeigen konnte.
Die Idee Maybrit Illner, Alex Hacke, Danielle de Picciotto, Erçan Erguin, Gerke Freyschmidt und Angela Winkler (die zufällig auch für Michael in Frage kam) in dem Film zu porträtieren, hatte ich von Anfang an. Um die weiteren Protagonisten zu finden, habe ich zusammen mit dem Dramaturgen Herbert Schwarze eine Recherche gestartet um ein gewisses Spektrum an „Berlinern“ zu zeigen.
So kamen neue Protagonisten hinzu, wie die Architekten Wolfram Putz, Lars Krückeberg und Thomas Willemeit von GRAFT, Dimitri Hegemann (Tresor), Jeff Mills (international bekannter DJ), Beate Gütschow (Fotokünstlerin) sowie Doreen Schulz und Clara Leskovar (c_neeon Modelabel). Sie alle konnten wir ebenfalls anhand ihrer Projekte und ihrer Art in der Stadt zu leben porträtieren. Vielleicht liegt es daran, dass Michael und ich aus dem Kultur- und Kunstbereich kommen, dass unser Film auch einen Schwerpunkt in dieser Richtung aufweist. Aber letztendlich bin ich davon überzeugt, dass es uns gelungen ist die Stadt Berlin zwar auf eine ganz persönliche Art, aber in einer treffenden Form darzustellen.
Welche Orte in Berlin sind für Sie TYPISCH Berlin. Was ist eigentlich TYPISCH Berlin? Und was FEHLT Ihnen in Berlin?
Typische Orte für Berlin sind für mich die Brachen, die in Mitte und auch überall sonst in der Stadt immer noch zu finden sind und den offenen Raum darstellen. Dann natürlich der Alexanderplatz mit seiner DDR-Architektur und dem symbolischen Fernsehturm – dem Alex. Ebenso typisch ist aber auch Kreuzberg im Allgemeinen, das Schlesisches Tor und die Oberbaumbrücke im Speziellen, die auch zu einem Symbol für die Vereinigung der Stadt geworden ist.
Wenn man weiter denkt, dann definieren auch die zwei Opernhäuser und die zwei Zoos die Stadt sehr stark. Nicht zu vergessen die Museen, wie der Hamburger Bahnhof, die Neue National Galerie oder der Martin Gropius Bau, die für mich zu den markantesten Orten der Stadt gehören.
Was Berlin meiner Meinung nach noch fehlt, ist etwas mehr Einwanderung. Menschen die diese Stadt zu einer wirklich kosmopolitischen Stadt machen würden. Von mir aus, könnten hier noch eine Million Ausländer aus Ost, Süd, West und Nord kommen und auch noch mehr Deutsche aus der Provinz zuziehen. Es gibt Platz für alle! Es fehlt nur eine stärkere Wirtschaft, die alle hier beschäftigt.
Die Dreharbeiten fanden im Sommer 2008 statt – zum Teil während der EM. Erinnern Sie sich an eine besondere Anekdote während der Dreharbeiten? Gab es Pleiten, Pech und / oder
Pannen?
Die EM war für unseren Film ein Glück und auch ein Problem zu gleich. Ein Glück, weil wir einen Protagonisten wie den Kioskbesitzer Erçan und seine türkischstämmigen Freunde in sehr lockerer Atmosphäre darstellen konnten und das Thema der Türken in Deutschland auf eine sehr direkte Art zeigen konnten. Pech war es, weil die Stadt vom Fußballrausch befallen war, wir aber auch etwas anderes als “Public Viewing” zeigen wollten. Das war etwas schwierig, aber ich denke, es ist uns gelungen.
In Berlin ist eine Art Momentaufnahme der Stadt. Unsere Philosophie war es, durch diese Momentaufnahme durch die unterschiedlichen Lebensmomente und die verschiedenen Geschichten unserer Protagonisten unser Berlin zu zeigen. Leider haben wir aus dramaturgischen Gründen ein paar Protagonisten nicht im Film halten können, wie beispielsweise Dieter Kosslick, der ein sehr guter Freund von Michael ist, aufgrund seiner Reisen für die Auswahl der Berlinale-Filme, zu wenig Zeit für gewinnbringende Interviews zur Verfügung hatte. Aber echte Pleiten haben wir keine erlebt.
Quelle: Interview mit Regisseur Ciro Cappellari zum Dokumentarfilm In Berlin, mit Material von Farbfilm