Polizeiruf - Weniger Krimi ist manchmal mehr

24.08.2014 - 20:15 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Matthias Brandt in Polizeiruf 110 - Morgengrauen
ARD/BR
Matthias Brandt in Polizeiruf 110 - Morgengrauen
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Willkommen zurück aus der Krimi-Sommerpause! Mit einem hochkarätigen Ensemble, einem nebensächlichen Fall und trotzdem starken Polizeiruf legt Regisseur und Autor Alexander Adolph zum Start der Sonntagskrimi-Saison ordentlich vor.

Bevor der Tatort nächsten Sonntag mit einiger Verspätung aus seinem sommerlichen Schlummer erwacht, macht sich Polizeiruf 110: Morgengrauen daran, die qualitative Latte für die neue Krimi-Saison in einschüchternde Höhen zu befördern. Regisseur und Autor Alexander Adolph kreierte einst die Serie Unter Verdacht, wurde mit Grimme-Preisen und sonstigen Fernsehlorbeeren ausgezeichnet, beeindruckte mit So glücklich war ich noch nie im Kino und schenkte uns mit Tatort: Der tiefe Schlaf einen der besten deutschen TV-Krimis der letzten Jahre. Ein penetranter Kollege macht auch Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) zu schaffen, allerdings ist der nicht im entferntesten so gutherzig wie der legendäre Gisbert. Bei einer Besetzung um  Sandra HüllerAndreas Lust und Axel Milberg kann der eigentliche Fall schon mal ins Hintertreffen geraten, was Polizeiruf 110: Morgengrauen nicht zum Nachteil gereicht.


Polizeiruf 110: Morgengrauen

Plot: Was passierte auf der Rolltreppe? Vier Einstellungen der Überwachungskameras, vier Sichtweisen, die Tat aber bleibt im toten Winkel aller Linsen. Martin Schar (Manuel Steitz) hat einen Gleichaltrigen umgebracht ("Er ist in meine Area gekommen.") und fürchtet in der Justizvollzugsanstalt um sein Leben. Von Meuffels geht der Sache nach, wird durch eine aufkeimende Liebelei mit der Abteilungsleiterin Wagner (Sandra Hüller) aber auch privat in den Fall involviert. Sein alter Freund Steiner (Axel Milberg) warnt ihn vor der Kollegin und Schläger-Bulle Oberpriller (Andreas Lust) erhofft sich im Grafen einen neuen besten Freund. Dann liegt Schar tot in seiner Zelle.

Lokalkolorit: Die einsamen, verlassenen Männer faszinieren Herr "von und zu" ganz besonders an den Kompositionen von Gustav Mahler. Entsprechend melancholisch trüb fällt die Bildsprache dieses Polizeirufs aus, dessen Hauptfiguren sich am Schein der Bildschirme wärmen. "München kann wirklich sehr schön sein", heißt es mal in trauter Zweisamkeit. Ebenso wie den Verliebten ein Happy End verwehrt bleibt, überwiegt im Krimi die triste Betonlandschaft, welche von Meuffels beinahe zum Verhängnis wird. Ein Laster rast über die Schnellstraße, Wagner zerrt ihn auf den Gehweg, auf der Tonspur knallt es dafür immer wieder in den unsanften Law & Order-Gedächtnis-Blenden.

Unterhaltung: Was wegen der Überwachungsaufnahmen und der fehlenden Motivation anfängt wie ein weiteres Traktat über jugendliche Gewalt, entwickelt sich in den Händen von Alexander Adolph zu einem Krimi mit, wie von Meuffels sagen würde, feinsinnigen Beobachtungen. Was bei der sonntäglichen Konkurrenz oft nur zum Herunterleiern der Exposition gebraucht wird, gerät hier zur echten Attraktion: die Zwischenräume zwischen Tatort und Verhör. Am auffälligsten natürlich in der wunderbar gespielten Annäherung von Wagner und von Meuffels, voller Gestotter, schroffer Scheu und Unsicherheiten ("Ich persönlich mag ja die Geschmacksrichtung Lila am liebsten."). Aber auch im Zusammenspiel von Brandt, Lust und Milberg. Etwa wenn der "alte Kumpel", der seit zehn Jahren in derselben Stadt wohnt, den Kommissar zum sonntäglichen Essen einlädt und dieser sich nicht ganz elegant der Zusage, der Bindung, entzieht. Oder wenn von Meuffels im Fahrstuhl wegen des verbalen Pyrrhussiegs über den tumben Sexisten in sich hinein lächelt ("Ich hab längst vergessen, wie sie überhaupt heißen."). Darüber gerät die Auflösung zwar fadenscheinig, im Endeffekt leidet der Krimi dank seines glaubwürdigen Figurenensembles und der vielen intimen Einblicke in die Seele des Kommissars darunter nicht. 

Tiefgang: Denn im Zentrum von Polizeiruf 110: Morgengrauen steht weder die Selbstmordserie in der JVA noch die Tat auf der Rolltreppe. Vielmehr ist es ein Krimi über von Meuffels, dem in seinen bisherigen Fällen Leid nicht erspart blieb. Derart an die Substanz wie in diesem Einsatz ging es ihm allerdings nicht einmal in Polizeiruf 110: Fieber. Der Einzelgänger gerät in die Zugkräfte dreier Beziehungen: der neue beste Freund, ebenfalls gescheiterter Ehemann, ihm an Intellekt und Umgangsformen unterlegen, der vertrauenswürdige Familienmensch und die gleichermaßen einsame und verschlossene Kollegin. Dabei hält nur jene, bei der es sowieso nichts zu verlieren (oder gewinnen) gibt.

Mord des Sonntags: Im toten Winkel der Kameras.

Zitat des Sonntags: "Danke für die schöne Zeit."

Der Polizeiruf aus München beweist wieder einmal, dass er zu den besten TV-Krimis im (Sch)Land gehört oder was meint ihr?


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