One Piece: Ich hab' noch nie eine Folge gesehen - und mir Stampede angeschaut

06.10.2019 - 11:00 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
One Piece Stampede
Toei Company
One Piece Stampede
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Ich habe noch nie eine Minute von One Piece gesehen, aber das ist kein Grund, sich One Piece Stampede beim Festival in Sitges entgehen zu lassen. Ein Selbstversuch in Artikelform.

Am Ende war ich erschöpft. One Piece: Stampede dauert 6060 Sekunden und jede einzelne davon hat sich auf meinen Nervenzellen niedergelassen, sie einem Cross-Fit-Programm in Filmform unterzogen und mich wie einen Waschlappen an den Wegesrand des Festivals von Sitges geschmissen.

Vorher hatte ich keine einzige Minute des Anime gesehen, keine Seite des Manga gelesen oder mich in sonst einer Form auf den 14. Film der One Piece-Reihe vorbereitet. Dass ich um die Anzahl weiß, verdanke ich der Korrekturarbeit hier bei Moviepilot und den Experten-Artikeln von Amon.

Um Strohhüte geht es und um Piraten. Da fängt mein Wissen an und hört schon wieder auf. Trotzdem habe ich mir One Piece: Stampede beim Festival angeschaut. Es ist eine Art Selbstversuch. Außerdem sind Filmfestivals genau dazu da: um sich auf etwas einzulassen, was man sonst nie schauen würde. Und Erschöpfung ist hier sowieso Programm. Achtung, der folgende Artikel könnte ahnungslos niedergeschriebene Spoiler enthalten.

One Piece: Stampede - Versuch einer Inhaltsangabe

Normalerweise bereite ich mich auf die Filme vor, die in Cannes, Venedig oder Sitges laufen. Bei der Handlung bleibe ich gern im Dunkeln, bis die Projektion beginnt, doch es gehört zur Arbeit, Filme der Macher oder Stars nachzuholen. Mein Kopfsprung ins One Piece-Universum ist also eine absichtliche Ausnahme.

One Piece: Stampede hat als (fataler?) Einsteigerfilm zumindest den Vorteil, das einem jede einzelne Figur des Universums für 5 Sekunden vorgestellt wird. So fühlt sich der Film an.

One Piece Stampede

In Stampede kommt es nie zur Stampede einer Herde Kühe (Spoiler?). Dafür lädt der Walt Disney der Piratenwelt seine Kollegen zur Suche nach einem legendären Schatz auf seine Themenpark-Insel ein. Team für Team mit den ausgefallensten Namen, Schiffen und Kostümen fährt vor, als handele es sich um eine maritime Game Show oder ums Death Race 2000 der Meere.

Sie jagen einer Wassersäule nach, auf deren Spitze sich eine Insel in einer Seifenblase befindet. Den Schatz vor Anime-Augen blicke ich zum Ausgang, doch nein! Der Film hat gerade erst angefangen, der Plot auch und die große Intrige dahinter ebenfalls. Ein Typ namens Bullet - winziger Kopf, blonde Mähne, ultramaskuliner Torso - will alle plattmachen. Bullet schießt, soweit ich mich an den Action-Typhoon erinnere, allerdings nie mit Kugeln. Eine vertane Chance poetischer Namensgebung, wenn ihr mich fragt.

In der zweiten Hälfte von One Piece: Stampede kämpfen einige Piraten gegen den kristallinen Kaiju Bullets. Einige weitere neue Figuren heben wahnsinnig dramatisch ihre Hüte und die Enthüllung ihrer Identitäten brachte das Kino in Sitges zum Jubeln.

Das ist nämlich der Modus operandi des Films: Eine Ladung bekannter Charaktere schaut vorbei, der Konflikt beginnt, eine zweite Ladung wird ausgeschüttet, der Konflikt endet. Die wenigsten sind der Sache dienlich. Am Ende muss Ruffy (bzw. Luffy in den Untertiteln) die Angelegenheit richten.

One Piece und Ruffy - Ein Hilfeschrei im roten Hemd

Wo ich gerade bei Ruffy bin: Der Held mit dem vergleichsweise einfallslosen roten Hemd wirft Fragen auf. Er führt die Strohhüte an, so viel ist selbst mir klar. Er hat eine eigenwillige Besatzung - zum Team gehören ein gestaltwandelndes Rentier (?) und ein Skelett mit 70er-Jahre-Dauerwelle.

Aber warum hat Ruffy Stimme und Gesicht eines Teenagers, aber den sehnigen Waschbrettbauch eines 37-jährigen MMA-Kämpfers mit Meth-Leidenschaft?

One Piece Stampede

Seine kugelrund weißen Augen brannten sich zudem durch meine Iris, ebenso wie sein psychopathisch starres Grinsen. Ein Gesichtsausdruck, der einige andere Figuren in One Piece: Stampede wie ein Virus befällt.

Ruffy scheint mir von den Anforderungen als Führungskraft auf einem illegalen Raubschiff psychisch überfordert. Seine phallisch herumschwingende Faust hat ihren Nutzen im Kampf gegen den Bullet-losen Bullet, aber man könnte sie ebenso als Hilferuf lesen. Ruffy, der sein Team geradewegs in eine tödliche Falle befohlen hat, braucht dringend eine Nummer 2 zur Entlastung, einen Führungskräfte-Workshop und einen regelmäßigen Massage-Termin in seiner Kajüte.

Stampede packt Infinity War und Endgame in einen Film

Gibt es Kajüten auf den Schiffen in One Piece? Ein bisschen enttäuscht war ich schon, dass sich der Film auf hartem Boden abspielt, der wiederum aussieht wie die Überreste von Russland aus Justice League.

Ich will die Vergleiche zu Hollywood-Produktionen ja nicht überstrapazieren, aber einer muss noch sein: Der Best-of-Charakter von One Piece: Stampede packt Infinity War und Endgame im Prinzip in 101 Minuten. An dieser Stelle sei ein Lob ausgesprochen. Es gibt keine langweilige Minute in Stampede und die Kostüme sind um ein Tausendfaches einfallsreicher als bei den Marvel-Kinofilmen.

Bevor ich Stampede sah, dachte ich, das wäre der Bösewicht

Gern hätte ich mehr davon gesehen, wie die Kostüme innerhalb der Welt zustande kommen. Gibt es Schneider? Werden sie selbst gemacht oder billig von unterbezahlten Inselbewohnern hergestellt?

Die weißen und schwarzen Uniformen, die Clownskostüme, die viel zu kurz gekommene Amazonen-Bikini-Crew, die Schwerkraft überwindenden Ausschnitte der weiblichen Figuren ... Die vielen, vielen Hüte! Besucher britischer Pferderennen würden nach One Piece an der Himmelspforte klopfen. Wegen den Hüten oder weil ihr Herz nicht mehr mitmacht.

Ich brauch eine Pause

Das unerlässliche Erzähltempo von One Piece: Stampede hat mich im Kinosaal herabgewirtschaftet, auch weil die vielen Figuren keine Funktion im Film übernehmen. Man klammert sich an den neusten Dude mit dramatischem Hallo und detailreich moduliertem Kinnbärtchen und schon verschwindet er.

So viel Fan-Service habe ich noch nie in einem professionell gedrehten Kinofilm gesehen. Andererseits kenne ich keinen der 13 anderen One Piece-Filme. Da geht vielleicht noch was.

Für mich allerdings nicht. Als ich ins Sonnenlicht trat, hatte ich Muskelkater. Meine Arme hingen wie Findlinge von den Schultern. Als hätte ich gerade einem riesigen blonden Bodybuilder mit einer verfremdeten SS-Uniform 3.721 Schläge im Millisekunden-Takt in die Magengrube versetzt und das mit einer letzten, alles entscheidenden Frage auf den Lippen: Warum trägst du verdammt nochmal Kopfhörer?

Kennt ihr One Piece? Schaut ihr One Piece? Warum tragen so viele Kopfhörer? Lieben sie Piraten-Podcasts? Sind die Fische so geschwätzig? Ich will Antworten!

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