Okja - In Cannes wird das Netflix-Logo zum Buhruf-Magnet

19.05.2017 - 14:35 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
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Einer denkbar schlechten Projektion und geballtem Hass auf Netflix zum Trotz legt Bong Joon-ho in Cannes mit Okja eine pessimistische Satire im Mantel eines kindlichen Abenteuers vor.

Es heißt, Buhrufe seien beim Festival Cannes ein Gütesiegel. Insofern hat der Streaming-Konzern Netflix in Cannes die traditionelle Taufe an der windigen Croisette durchlaufen. Das schweinische Öko-Abenteuer Okja wurde nicht ausgebuht, der Jubel war vielmehr kurz, aber forciert. Das Netflix-Logo bekam dafür gleich zweimal eine akustische Abreibung im Grand Théâtre Lumière. Zweimal, weil die Projektion, sofern das Wort für eine schnöde digitale Kopie taugt, zunächst gehörig schieflief. Als wären die Götter und Techniker im Filmtheater den französischen Kinobetreibern zugeneigt, wurde Tilda Swintons weißblonder Schopf abgeschnitten. So hallten halb ironisch, halb herablassend die Buhrufe durch den Saal, bevor die Geschichte um ein Superschwein und ein nicht minder außergewöhnliches Mädchen überhaupt ihren Lauf nehmen konnte. Okja fällt im Vergleich zu Snowpiercer oder Mother etwas ab, doch auch unter dem hochbudgetierten Netflix-Schirm bleibt der südkoreanische Regisseur Bong Joon-ho sich und seinen Themen mit gewohnter Konsequenz treu. Niederschmetternd und lustig, pessimistisch und innigst ans Gute der Einzelnen glaubend, ist Okja eben ein echter Bong.

Okja

Wer glaubte, dass Snowpiercer mit seiner lebensfeindlichen Zukunftsvision, den Kakerlakensnacks und kannibalischen Geständnissen die Stimmung trübte, der erhält in Okja das kunterbunte Spiegelbild in unserer Gegenwart. Es ist um ein vielfaches perfider in seiner Maskenhaftigkeit. In Snowpiercer, das sei dem schrecklichen Leben im hintersten Abteil zugestanden, gab es wenigstens Klarheit über die eigene Klasse. Als Konzern-CEO Lucy Mirando führt uns Tilda Swinton in Okja zunächst ein in ihren grandiosen Plan zur Imagepflege und Neuorientierung. 2007 wird ein Wettbewerb für eine neue Schweinezüchtung ausgerufen. Überall auf der Welt erhalten Farmer ein Ferkel-Exemplar und zehn Jahre später soll das schönste unter ihnen als Super Pig gekürt werden. Gitarrensaiten wedeln über die Tonspur bei dieser Präsi, ganz so, wie man sie aus harmlosen amerikanischen Independent-Filmen kennt. Leicht wie eine Feder, verbreiten sie Aufbruchsstimmung, sollen erheben, erwecken, ein Konservensound mit Bio-Label.

Mija (Ahn Seo-Hyeon) und ihr Großvater (Byun Hee-Bong) gehören zu den Auserwählten der Mirando Corporation. Zehn Jahre später tollt das Mädchen mit ihrem treuen Freund Okja über die Lichtungen. Okja, halb Nilpferd, halb Hund, ganz Schwein, planscht sich mit seinen Schlabberohren sofort ins Herz der Zuschauer. Mija füttert und spielt mit dem massigen Tier und wenn sie müde wird, dann wiegt sie Okjas Bauch in den Schlaf, wie es sonst nur fluffige japanische Waldgeister vermögen. In der Idylle lässt sich der Film Zeit. Es wird träge gewandert, gefressen, gebadet, alles in Okjas Tempo. Das abgeschiedene Leben in den Bergen wirkt, abgesehen von einem beinahe fatalen Ausrutscher, in sich ruhend. Entsprechend schroff zieht sich der Bruch durch die Erzählung, als Vertreter von Mirando vorbeischauen. Die zehn Jahre sind rum und Okja hat das Zeug zum Superschwein. Davon ist Dr. Johnny Wilcox (Jake Gyllenhaal) überzeugt, ein abgehalfterter Wildlife-Experte mit TV-Sendung. Gyllenhaal zuckt und kräht durch die Kulisse, ein soeben aus dem Röhrenfernseher gekrochener Doctor Strangelove in Steve Irwin-Klamotten. Zwischen den diversen Firmentypenkarikaturen in Okja fällt er als besonders deplatziert auf. Zu viele Ticks und Krächzer bringt Gyllenhaal in seiner Darbietung unter. Ob Eddie Redmayne neuerdings Schauspielunterricht gibt? Mirando jedenfalls lässt sein Firmeneigentum abtransportieren, doch Mija mag das nicht akzeptieren. Sie stürmt nach Seoul.

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Mijas donnernde Jagd in die Niederlassung und durch die sicherheitsgläsernen Schutzwälle von Mirando gibt das Tempo des restlichen Films vor. Mit dem geballten Willen eines postapokalyptischen Zugwaggons sprintet sie Okja hinterher, bestens eingefangen in einer meisterhaften Verfolgungsjagd zu Fuß und per Laster, in der das Mädchen als Actionheldin firmiert. Den fliegenden Übergängen von Mija zur gelangweilten Lasterfahrerdrohne, einer dazustoßenden Gruppe maskierter Umweltschützer ("Wir sind keine Terroristen!"), dem eingesperrten Okja und dem übrigen Highway-Treiben liegt eine dynamische Kraft inne, die ebenso viel über die Beziehung von Kind und Tier aussagt wie zu Tränen rührende Dialogszenen. Bong Joon-ho ist ein Meister in der Fusion von räumlicher und charakterlicher Orientierung. Wenn auch in Okja ein atemberaubendes Set-Piece vom Formate des Fackellaufs aus Snowpiercer fehlt.

Um die naturbelassene Beziehung von Kind und Schwein ordnet das Drehbuch von Bong Joon-ho und Jon Ronson eine Reihe von überzeichneten Witzfiguren an. Paul Dano gibt den Umweltschützer in White-Collar-Uniform. So klein will einer seiner idealistischen Kompagnons den eigenen ökologischen Fußabdruck halten, dass er vor Hunger fast zusammenbricht. In ihrer "Firmenpräsentation" bietet die ALF (Animal Liberation Front) mehrere Fotos von Skimasken tragenden Aktivisten mit putzigen Lämmchen und Hundebabys im Arm. Auf der anderen Seite steht der CEO, der sich in Tilda Swintons wachsendes Karikaturenarchiv einreiht, das schon Snowpiercer und Hail, Caesar! belieferte. Ihre dümmliche Phrasendrescherin bespaßt. Sie bietet allerdings wenig Neues im Repertoire der Schauspielerin. Gyllenhaal markiert im Personal von Mirando den schauspielerischen Tiefpunkt. Doch wie die anderen auch ist seine erbärmliche Figur eine Personifizierung der Firmenphilosophie. Die verkauft ihr ökologisches Perpetuum mobile zwecks Profitmaximierung als grünen Messias. Die grausamen Methoden seiner Schöpfung werden derweil schweinchenrosa und konsumfreundlich übermalt. So führt Mijas Jagd zwangsläufig in die Hölle fordistischer Massentierschlachtung und das in einem Film, der als Kinderabenteuer begann. Der Hunger der Konzerne steht im Fokus von Okja. Er gäbe einen simplen Schurken ab, der böse Konzern wider die Natur! Die Entmenschlichung jedoch floriert an allen Ecken und Enden des Films und sie wächst organisch heran.

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