Nörgelnde Neukölln-Nazis statt Kopftuchmädchen

08.11.2010 - 11:05 Uhr
Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad
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Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad
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Unter dem Titel Von Adolf bis Allah lief gestern um 23:35 Uhr in der ARD der erste von fünf Teilen der politischen Reportage “ohne politische Schutzzonen” Entweder Broder – Eine Deutschland-Safari mit Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad.

Eine tatsächlich erbärmliche Programmplatzierung, aber scheinbar die einzige, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk einem so provokanten Fernsehduo zugestehen will oder kann: Gestern um 23:35 Uhr lief der erste von fünf Teilen dieser erfrischend anderen politischen Reportage Entweder Broder – Eine Deutschland-Safari in der ARD. Der Hessische Rundfunk, unter dessen Schirmherrschaft das Konzept entstanden ist, warnt vor einer Sendung ohne politische Schutzzonen. Unter dem Titel Von Adolf bis Allah stand gestern zunächst die wahrscheinlich prominenteste und brisanteste Debatte auf dem Plan, deren Aushandlung wohl ein großer Teil der arbeitenden Bevölkerung verschlafen haben wird.

Der polnische Jude und Berufsprovokateur Hendryk M. Broder sowie der Islamkritiker und Wissenskonvertit Hamed Abdel-Samad reisten in Roadmovie-Marnier durch Deutschland, um eine etwas andere Integrationsdebatte zu führen beziehungsweise führen zu lassen. Diejenigen, denen sie auf ihrer Reise begegneten, redeten erstaunlich offen. Die erste Station war Neukölln, wo nicht etwa türkischstämmige Jugendliche, sondern quengelnde NPDler interviewt wurden, die sich über die eigene Diskriminierung im Land beklagten.

Kurt, das bunte Auto, mit dem Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad auf Deutschland-Safari gehen, ist nicht irgendein Volvo. Auf der Webseite zur Sendung wird der Kosmopolit als Produkt und Opfer von Multikulti beschrieben. Außen verziert mit Graffiti-Bildern von Christus, Bin Laden, nackten Brüsten und Davidstern, innen gepolstert mit kitschigem Plüsch und Leoparden-Fell, kulturellen und religiösen Zeichen, die im Sammelsurium jegliche Bedeutung verlieren. Das ist Satire total, die sich auch durch die Show zieht und dabei rücksichtslos entlarvt. Diese Gesellschaft, diese Generation ist vor allem eines, Popkultur, in der viel zu angestrengte und ernste Debatten geführt werden. Auf dem Dach des Volvos prangert deshalb ein Porträt des Moslemkarikaturisten Westergaard.

Rhetorisch können die beiden einander das Wasser reichen. Wenn das Enfant terrible des politischen Feuilltons Broder es mal wieder zu gut meint mit „politisch inkorrekt“, dient Hamed Abdel-Samad, ebenfalls Islamkritiker und außerdem Politikwissenschaftler, als überlegter Gegenpart für einen Meister der Polemik wie Broder. Broder habe “nicht alle Gurken im Glas”, meint Abdel-Samad, als sein Kollege als wandelnde Stele am Rande des Holocaust-Mahnmals erscheint, wo das fünfjährige Bestehen des Kunstwerks gefeiert wird.

Die Frankfurter Rundschau lobt die Reportage-Art, die in wohltuender Art auf die Urteilskraft des Zuschauers vertraut und ihn nicht bevormunden möchte. Auch die Presse ist sich von TAZ bis FAZ durch alle Lager hindurch darüber einig, dass Entweder Broder – Eine Deutschland-Safari eine innovative Art politischer Auseinandersetzung zu einer vollkommen unzumutbaren Sendezeit ist.

Alle Nachteulen sollten am nächsten Sonntag um 23:35 Uhr auf jeden Fall zur zweiten Folge des Experiments Von Allah bis Osama einschalten.

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