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Meine vielleicht gar nicht völlig irrationale Leidenschaft für einen vollkommen unwichtigen Charakter

01.06.2016 - 09:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Eine brennende Leidenschaft sogar...oh je, das geht gut los :D
Disney/Robin Schröder
Eine brennende Leidenschaft sogar...oh je, das geht gut los :D
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Es gibt wenig Filmreihen, die ich (abgesehen vielleicht von James Bond) so in- und auswendig kenne, wie die Fluch der Karibik Reihe. Diese Filme machen es einem sehr leicht, die Marine als die Bösen und die Piraten als die missverstandenen Guten zu sehen, und damit kann ich als alter Piratenlover auch durchaus leben. Doch obwohl ich im Zweifelsfall vermutlich immer zu Jack Sparrow halten würde, gibt es da einen Charakter, den ich genauso sehr liebe - vielleicht als einzige.
Das liegt vermutlich hauptsächlich an der Seite, auf der er steht. Wer würde sich denn auch freiwillig mit den Marineoffizieren in dieser Welt beschäftigen? Diesen narzisstischen, grausamen Mistkerlen, die Kinder hängen, so wie Lord Cutler Beckett? Oder den dumpf-stumpfsinnigen Soldaten Mullroy und Murtogg, die sich von Jack so leicht übers Ohr hauen lassen, dass es fast schon wehtut?
Doch es gibt einen Charakter in Fluch der Karibik, eine einzige Figur, die mir immer wieder vermittelt, dass diese Männer, die da vergeblich Captain Jack Sparrow und Konsorten hinterherjagen, auch nur Menschen sind, mit Träumen und einer Persönlichkeit – und Herz.

Ihr wisst vermutlich immer noch nicht, von wem ich da spreche, oder? Wie auch. Er taucht ja auch nur in drei von vier Filmen auf und hat insgesamt eine Netto-Screentime von...vielleicht einer halben Stunde? Viel mehr ist es sicherlich nicht. Aber dieser drei Filme lang namenlos gebliebene Marineoffizier ist für mich ein Inbegriff dessen, wie ein solcher Fast-Statist (mit etwa zehn Sätzen Text in einem ganzen Franchise) eigentlich gemacht sein sollte. Er ist mein liebster Hintergrundcharakter aller Zeiten. Ich gehe meinen Freunden schon regelrecht auf die Nerven damit, und werde nie müde, ihn zu bejubeln - aber warum eigentlich? Kommt mit auf die Schiffe der königlichen Marine, und ich zeige euch das geheiem Leben eines Charakters, der euch bis heute vermutlich noch nie interessiert hat.

Da! Da hinter Norrington steht er.

1) Fluch der Karibik

Theodore Groves ist der Name meines von Greg Ellis verkörperten Lieblingscharakters, und den Namen hat er auch erst seit dem vierten Fluch der Karibik Teil. Die Fancommunity hatte es sich in einem Forum irgendwann zur Aufgabe gemacht, einen Namen zu finden. Gemeinsam mit dem Darsteller einigte man sich also auf Theodore Groves.

Dessen Text war im ersten Fluch der Karibik lediglich als kleiner Lacher gedacht. Er ist anfangs ein gutes Beispiel für Charaktere, die nur dazu da sind, ein wenig Information oder Stimmung zu vermitteln. Deren einziger Job es ist, Teil der Kulisse zu sein und auf Abruf bereit zu stehen und das Publikum zum Lachen, Nachdenken oder was auch immer zu bringen.
Zu Anfang ist Groves genau das: Ein Schild mit der Aufschrift „Jetzt lachen“ in Marineuniform. Der Satz ist jedem geläufig:
„Das ist der beste Pirat, den ich je gesehen habe.“

That's got to be the best pirate I've ever seen...
Was mich damals allerdings verwundert hat, war, dass Groves nicht einfach nur ablieferte. Er war jemand, der einem sofort sympathisch war, denn was er da zeigte, war ehrliche Begeisterung und Bewunderung für den besten Piraten aller Zeiten. Dieselbe Begeisterung, die ich auch teilte. Er war nicht einfach nur Marine, er war mindestens 15% Fanboy.

2) Fluch der Karibik - Am Ende der Welt

Und dieser Auftritt blieb nicht der einzige. Dieser Charakter, der ja nicht einmal einen Namen hatte, kam wieder. Im dritten Teil, diesmal allerdings nicht mehr unter dem Befehl Norringtons, sondern als direkter Untergebener Cutler Becketts. Er war also aufgestiegen (jetzt zum Lieutenant), tat Dienst auf dem Flaggschiff des Mannes, der die ganze See in der Hand hatte. Allein diese Tatsache beweist schon erstaunlich viel Liebe zum Detail, denn Groves ist wirklich nur ein ganz, ganz kleiner Charakter, bei dem es zwecktechnisch nicht nötig wäre, seine Geschichte weiterzuschreiben. Er hätte genauso gut in der Versenkung verschwinden und ersetzt werden können. Wurde er aber nicht. Er hatte einen neuen Rang und war mitgewachsen, hatte eine ganze Karriere weitergeführt.

Nachdem Jack Sparrow Becketts Schiff in Schutt und Asche gelegt hatte und geflohen war, war es erneut Groves, der seinem Vorgesetzten aus lauter Begeisterung für die Genialität Sparrows quasi unter die Nase reibt, wie vernichtend er grade geschlagen wurde.
„Glaubt ihr, er hat das alles geplant oder...nimmt er es einfach so, wie es kommt?“
Und im Hintergrund kippt der Mast um.
Theodore Groves hat also sein Pflichtbewusstsein und seinen Dienst für die Krone nie vergessen und hat sich Becketts Herrschaft unterworfen, ist sogar dadurch aufgestiegen – aber er hat seinen Respekt vor seinen Gegnern nicht verloren. Er ist durch diese zwei Sprüche schon jetzt an einem Punkt, wo ich einräumen muss, dass der Mann irgendwie bewundernswert ist. Sich eine solche Begeisterung für Piraten herauszunehmen, in dieser Position...Er hat die Eindimensionalität des stupide Befehle ausführenden, auswechselbaren Marineoffiziers, der einfach nur auf Seiten der „Bösen“ steht, abgelegt.

Und es wird noch besser, unser Schiff nimmt Fahrt auf. Okay, der war schlecht, ich entschuldige mich direkt dafür.

Das Finale des dritten Fluch der Karibik ist eines meiner liebsten Enden eines Antagonisten aller Zeiten. Die Tatsache, dass Cutler Beckett mit seinem Schiff untergeht, aber nicht aus Kapitänsehre, sondern aus der Unfähigkeit heraus, zu akzeptieren, dass er verloren hat, ist einfach ziemlich genial, und sehr genial umgesetzt.
Denn während um ihn herum alles in die Brüche geht, beweist er außerdem noch einmal, was für ein undankbarer und selbstfixierter Anführer er ist: Er verweigert es, irgendeine Form von Befehl an seine Männer zu geben.
Ein Mann in Führungsposition trägt auch die Verantwortung für seine Untergebenen – ein Fakt, dem sich Beckett verweigert, aber mein liebster Nebencharakter NICHT. Er bekniet seinen Kapitän, ihm Befehle zu erteilen, die Erlaubnis zu geben, das Schiff aufzugeben, sie nicht in den sicheren Tod gehen zu lassen.
Er ist der Second in Command, aber er DARF nicht ohne Befehl von oben einfach schalten und walten. Offiziell ist die bestehende Information noch: Das Schiff halten, das Schiff gegen die Piraten verteidigen. Wenn Groves sich diesem Befehl widersetzt, ist er quasi vogelfrei. Eine solch eigenmächtige Handlung wider die Autoritäten könnte – im Fall, dass er überhaupt lebend aus dem Kampf rauskommt – dann vor Gericht schließlich noch sein Tod sein. Darum das Bitten und Betteln um Befehle.
Als die Erkenntnis kommt, dass Beckett offensichtlich nicht die Absicht hat, je wieder überhaupt etwas zu sagen, außer „es geht nur ums Geschäft“, übernimmt Groves aber trotzdem die Verantwortung. Im Gegensatz zu den als bestechlich und gefühlskalt dargestellten restlichen Marinemarionetten trägt Groves einen neuen Charakterzug: Mitgefühl. Er sorgt sich um seine Männer und will sie vor Schlimmerem bewahren – und gibt den Befehl, das Schiff aufzugeben, egal, was das für ihn für Konsequenzen haben kann. Oh, ich glaube, wir sind tatsächlich bei einem richtig dreidimensionalen Charakter angekommen.


Ach, Theodore...
3) Fluch der Karibik - Fremde Gezeiten

Und ab hier darf er sogar eine richtige Nebenrolle übernehmen. Theodore Groves wird in Teil vier Hector Barbossa an die Seite gestellt, nach der East India-Episode wieder im Dienste der Krone, noch einmal befördert zum Lieutenant Commander. Allerdings hat der Titel den bitteren Beigeschmack des Untergeordnetseins unter einen Freibeuter.
Er sieht Barbossa also ständig über die Schulter und wacht weiterhin über seine Männer. Als die Mannschaft im Angesicht von Whitecap Bay unruhig wird, ist er der erste, der sich darum bemüht, wieder Ruhe in den Verein zu bringen und der seinem Vorgesetzten die Situation sofort schildert, woraufhin das Ganze bald geklärt ist.

Barbossa handelt allerdings nach wie vor mit einer gewissen Piratenwillkür und Ehrlosigkeit – einmal Pirat, immer Pirat, wir reden hier schließlich von Barbossa. Und das lässt sich Groves auch nicht immer ohne Weiteres gefallen. Als Barbossa das Schiff mit dem Rest der Besatzung verloren geben will, obwohl es von den Meerjungfrauen der Schiffbruchbay auf den Meeresgrund gezogen werden soll, lehnt sich Groves auf. Er will zurück, will helfen – und steht vor der Entscheidung: Er oder die Männer. Das Problem für ihn ist, dass er einen Auftrag der Krone auszuführen hat, der für ganz England Bedeutung hat und wenn er sich fügt, kann er diesen auch erfüllen. Wenn er geht, sterben er UND die Männer. Ein fast schon Star-Trek-mäßiges Dilemma. Also willigt er zähneknirschend ein, das Schiff aufzugeben.

Ich hatte ganz vergessen, was für ein Derpface di e beiden da ziehen... ^^

Als Jack und Hector im Lager der Spanier gefangen sind, ist er es, der zu Hectors Befreiung anrückt. Er ist der Commander, also wird keiner der Untergebenen in die Höhle der Löwen geschickt. Ich hatte immer das Gefühl, dass Groves sich selbst als verzichtbarer sieht als jeden einzelnen der Männer, über die er das Kommando hat. Eine irgendwie ziemlich heldenhafte, wenn auch dämliche Einstellung. Dieser Mann hat seine Bewunderung für gewisse Gesetzesflüchtige behalten, darüber aber sein extremes Ehrgefühl nicht verloren. Der vierte und für ihn auch letzte Teil ist übrigens auch der, in dem wir ihn zum ersten Mal ohne seine Marineperücke zu Gesicht bekommen. Zur Tarnung und auch aus praktischen Gründen legt er sie beim spanischen Lager ab. Was interessant ist, bedenkt man, wie penibel aufs Protokoll bedacht die Marine sonst ist. Groves umgeht das Ganze, so klug ist er dann doch. Doch im Kern bleibt er immer noch der pflichtbewusste, gute Offizier.

Leider werden Theodore Groves seine Prinzipien und seine Moral schließlich zum Verhängnis. Als sich am Jungbrunnen schließlich alle Parteien gegenüber stehen, besinnt er sich wieder der Vaterlandspflicht und beansprucht das Land, auf dem sie stehen. Ob er wusste, dass es seine letzte Handlung war? Ich kann es nicht sagen. Es sähe ihm jedenfalls ähnlich, sich vollkommen auszuliefern und zu opfern, um seinem König einen letzten Dienst zu erweisen. Mit seinen letzten Worten besetzt er also den Jungbrunnen, völlig schutzlos und wie auf dem Präsentierteller, nur den Union Jack in Händen, im Namen seines Königs – und wird vom Anführer der Spanier skrupellos erschossen, ehe er den Satz vollenden kann.

Mich ärgert dieser Ausgang seiner Geschichte immer noch maßlos. Warum sterben die Guten immer so jung? Theodore Groves war ein unglaublich kleiner Charakter mit unglaublich großer Persönlichkeit. Ob es vor allem Greg Ellis war, der ihn schauspielerisch so umgesetzt und seinen Part so besonders interpretiert hat, oder ob die Drehbuchautoren selbst irgendwann Gefallen an ihm gefunden und ihn im Verborgenen weiter ausgearbeitet haben, weiß ich nicht genau. Bekannt ist, dass Groves ursprünglich viel früher im vierten Film hätte sterben sollen, in die Tiefe gezogen von den Meerjungfrauen. Allerdings wurde dies überarbeitet, damit Groves Barbossa weiter auf die Finger schauen konnte.

Ansonsten weiß ich nur, dass ich finde, dass Nebencharaktere genau so sein sollten. Sie sollten ein verstecktes Detail sein, das einen zum Nachforschen anregt, das interessant ist und einem irgendwie ans Herz wächst. In so vielen Filmen sind die zweckmäßig eingebauten Charaktere, ja, man könnte sie fast NPCs nennen, so austauschbar und so wenig spannend, dass ich Groves wirklich bittere Tränen hinterher weine.

Es mag sein, dass das nur meine unbeliebte Meinung ist und er den meisten anderen Zuschauern herzlich egal ist. Das wäre auch in Ordnung. Ich wollte euch lediglich zeigen, warum mich ein so augenscheinlich unwichtiger Charakter so fasziniert, denn oft genug werde ich sehr schief angeschaut, wenn ich von meinem Liebling aus Fluch der Karibik erzähle. Und damit verabschiede ich mich mit dem Befehl des Mannes, der Theodore Groves erschoss:
„Make a note of that man’s bravery.“ Merkt ihn euch, meinen mutigen Marineoffizier.

Und wen meine ellenlange Analyse-Liebeserklärung hier noch nicht abgeschreckt hat, der kann ja ein wenig bei den anderen Teilnehmern diesen Monat reinschauen ;)

Seductive Barry: https://www.moviepilot.de/…/kann-man-kanye-west-eigentlich-n… ("Kann man Kanye West eigentlich noch glauben?")

Amarawish: https://www.moviepilot.de/…/das-emotionale-gefangnis-der-fre… ("Das emotionale Gefängnis der Freizügigkeit")


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