Magie, Politik und Balkanfolklore des Emir Kusturica

24.11.2009 - 08:32 Uhr
Emir Kusturica
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Emir Kusturica
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Er erzählt in seinen Filmen von Sozialismus und Roma, von der Magie auf dem Balkan und baute ein Küstendorf in den Bergen. Heute wird Emir Kusturica 55 Jahre alt. Ein Rückblick.

Emir Kusturica besitzt die serbische und die französische Staatsbürgerschaft; im Mai 2005 ließ er sich in einem Kloster auf den Namen Nemanja Kusturica taufen und wurde somit Mitglied der serbisch-orthodoxen Kirche. Hieran wird deutlich : Der vielfach ausgezeichnete Regisseur ist trotz seiner 55 Jahre noch immer auf der Suche nach Identität und Zugehörigkeit. Wen wundert’s, schließlich musste Emir Kusturica mit ansehen, wie sein Heimatland Jugoslawien vom Sozialismus direkt in den Balkankonflikt schlitterte – das Land zerfiel, Tausende Menschen starben; aus dem Jugoslawen Emir Kusturica wurde ein Serbe.

Vor ein paar Jahren hat sich Emir Kusturica eine neue Heimat selbst gebaut: Für Das Leben ist ein Wunder (2004) ließ er ein Dorf errichten, welches er nach Beendigung der Dreharbeiten immer mehr erweiterte. Emir Kusturica taufte den Ort auf den Namen “Küstendorf” (sic!) – dabei liegt die hauptsächlich aus Holzhäusern bestehende Siedlung in einem Mittelgebirge im Westen Serbiens. Einerseits stellt “Küstendorf” einen international bekannten Anziehungspunkt für Touristen und Künstler dar. Auf der anderen Seite wird Emir Kusturica für sein (übermäßig?) zelebriertes Serbentum kritisiert, das er in dem kleinen Ort auslebt. Der Mann mit der Mähne begibt sich noch immer gerne in weltanschauliche Grabenkämpfe. Zeit für einen Rückblick auf sein kinematographisches Werk.

Die Filme von Emir Kusturica
Mit Papa ist auf Dienstreise (1984) machte Emir Kusturica erstmals international auf sich aufmerksam. Der Film spielt im Jugoslawien der 1950er Jahre: Ein Familienvater wird in ein Arbeitslager verbannt, seine Frau erzählt dem sechsjährigen Sohn, dass sein Vater auf Dienstreise sei. Die Auseinandersetzung mit der Schreckensherrschaft des Sozialismus in Jugoslawien wird konsequent aus der Perspektive des kleinen Malik erzählt – er ist der einzige, der der Mutter glauben kann. Papa ist auf Dienstreise wurde 1985 mit der goldenen Palme des Filmfestivals von Cannes ausgezeichnet.

Die Zeit der Zigeuner (1989) handelt von dem Telekinese-begabten Roma-Jungen Perhan und erzählt von seinen Anfängen in einem kleinen jugoslawischen Dorf bis zu seinem vermeintlichen Aufstieg zum Kriminellen in der Mailänder Unterwelt. Die Zeit der Zigeuner gilt als Meisterwerk einer magisch-realistischen Erzählweise. Emir Kusturica kümmerte sich auch um das akustische Wohl der Zuschauer: Die Filmmusik wurde von Goran Bregović komponiert, einem der wichtigsten Vertreter der Blechbläser-lastigen Balkansounds.

1993 verschlug es Emir Kusturica nach Amerika: Dort drehte er Arizona Dream und versammelte hierfür Johnny Depp, Jerry Lewis und Faye Dunaway vor der Kamera. Der Film setzt sich in poetisch-symbolischen Bildern mit dem Mythos des Amerikanischen Traums auseinander – leider auf Kosten einer stringent erzählten Geschichte. Arizona Dream konnte die Kritiker nicht ebenso begeistern, wie seine beiden Vorgänger.

Mit Der Schrei aus dem Tunnel konnte Emir Kusturica 1995 den Erfolg von Papa ist auf Dienstreise in Cannes wiederholen: Die Politik-Groteske wurde mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Die Filmhandlung setzt im Zweiten Weltkrieg ein, als sich eine Gruppe jugoslawischer Partisanen in einem unterirdischen Labyrinth vor den deutschen Besatzern verschanzt. Dort produzieren sie Waffen, die der Schwarzmarkthändler Marko an die Kämpfer in der „Oberwelt“ weitervermittelt. Um nach Kriegsende weiterzuverdienen, verschweigt Marko den Untergrundlern, dass der Krieg vorbei ist. Emir Kusturica zeigte sich mit Der Schrei aus dem Tunnel erneut als Meister der doppelsinnigen Symbolik und paarte sie mit groteskem Humor.

Ein Balkan-Don im Motorrollstuhl, ein Riese, der sich in eine Zwergin verliebt und der ganz normale Wahnsinn im Roma-Milieu: Mit Schwarze Katze, Weißer Kater (1998) besann sich Emir Kusturica auf seine alten Stärken und möbelte ein modernes Balkanmärchen mit politischer Satire und druckvollen Blechbläser-Beats auf. Bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 1998 erhielt Emir Kusturica für Schwarze Katze, Weißer Kater den Silbernen Löwen für die Beste Regie. Dank eingängiger Erzählweise gehört Schwarze Katze, Weißer Kater auch heute noch zu den bekanntesten Filmen des Franco-Serben.

In Maradona by Kusturica (2006) vermischt Emir Kusturica Politik und Sport, Heldenanbetung und Drogenexzess und hat im Fußballgott Diego Maradona einen neuen Freund fürs Leben gefunden. Sogar Fidel Castro soll sich beeindruckt vom Charisma des Sportstars gezeigt haben. Dem Dokumentarfilm Maradona by Kusturica gelang trotz des weltbekannten “Hauptdarstellers” weder bei Kritikern, noch bei den Zuschauern ein durchschlagender Erfolg.

Derzeit ist nicht bekannt, was das nächste Filmprojekt von Emir Kusturica sein wird. Hoffentlich begibt er sich weiterhin auf der Suche nach Extremen – oder ist Emir Kusturica etwa doch schon in (s)einer Heimat angekommen?

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