Ist das deutsche Filmerbe noch zu retten?

07.12.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Marodes, deutsches Filmerbe löst sich in Wohlgefallen auf
Universum Film/Warner Home Video/moviepilot
Marodes, deutsches Filmerbe löst sich in Wohlgefallen auf
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Skladanowsky, Wiene, Murnau oder Lang, es gibt viele Gründe stolz auf das deutsche Filmerbe zu blicken. Zumindest noch, denn die Zelluloidschätze lösen sich in maroden Archiven in ihre Bestandteile auf. Danach ist es buchstäblich Essig mit der deutschen Filmgeschichte.

Was wäre aus Tim Burton geworden, hätte er als Kind nie Das Kabinett des Dr. Caligari von Robert Wiene gesehen, der seinen Stil maßgeblich prägte? Wie hätte sich das Sci-Fi-Genre entwickelt ohne Metropolis von Fritz Lang? Und was wäre aus dem Horrorgenre ohne Nosferatu, eine Symphonie des Grauens von F.W. Murnau geworden? Wir wissen es nicht. Was wir aber in Bälde erfahren könnten, ist eine Welt ohne diese Klassiker. Zumindest ohne die Originalkopien, die sich in deutschen Bundesarchiven mit chemischen Zerfall, Wassereinbrüchen und giftigen Gasen konfrontiert sehen.

Aufreger der Woche über sich auflösende Kulturgüter in maroden Archiven und Politik, die endlich zur Tat greifen müssten!

Archivare im Kampf gegen Wasser, Gase und Politik
Filmarchivierung ist ein ständiger Kampf gegen die Elemente und die chemische Beschaffenheit des gelagerten Materials. Ein Kampf, der bei optimalen Umständen bereits eine gewaltige Herausforderung darstellt. Wenn aber – wie in deutschen Archiven der Fall – neben ungeeigneten Räumlichkeiten, eindringendes Grundwasser oder giftige Gase auch die Politik die Sache erschwert, ist dem sterbenden Filmerbe kaum mehr entgegen zu wirken. Im Bundesarchiv in Berlin-Wilhelmshagen lässt der Archiv-Präsident Michael Hollmann seine Mitarbeiter aufgrund von gefährlichen Naphthalin-Dämpfen nur noch mit Schutzkleidung und Atemmaske maximal zweimal am Tag zu je einer halben Stunde ins Archiv. Dämpfe, die aber nicht etwa von den eingelagerten Filmen stammen, sondern geologischen Ursprungs sein sollen. Die Dämpfe sind jedoch “nur” für den Menschen gefährlich sein, nicht für das Filmmaterial. Trotzdem ließ Hollman 250.000 von insgesamt 620.000 Filmrollen in ein anderes Lager in Berlin-Hoppegarten schaffen. In ein für Filmrollen wenig geeigneten Aktenarchiv, das nicht über die erforderlichen klimatischen Bedingungen verfügt. (via)

Den Filmbunkern von Berlin-Hoppegarten macht jedoch ein ganz anderes Element zu schaffen. Eindringendes Grundwasser, das das Bundesarchiv mit der Frage konfrontiert, eine weitere Verlagerung von Filmrollen in noch unsachgemäßere Zwischenlager zu veranlassen. Zustände, die erst ein Ende finden, wenn der seit langem geplante, aber nie umgesetzte Bundesarchivneubau in Angriff genommen wird, der optimale Lagerbedingungen schaffen würde. Ein Projekt, dass bereits in den 90er-Jahren geplant, aber aufgrund von Kostenstreitigkeiten nie begonnen wurde. Das Geld scheint wohl für dringendere Projekte wie Stuttgart 21, der Berliner Flughafen BER oder die Elbphilharmonie gebraucht worden zu sein…

Liebe zum Film nach französischem Vorbild
Das Argument “Was kümmern uns angestaubte Originale wenn wir längst digital abgetastete Kopien im DVD- und Blu-ray Regal stehen haben” zieht leider nur bedingt. Digitale Abtastungen eignen sich, um akut gefährdete Kopien von der völligen Auslöschung zu bewahren. Auch bieten sich digitale Datenträger an, um alte Filmschätze auszuwerten und zugänglich zu machen. Aber als langfristige Lösung sind sie aufgrund der sehr begrenzten Lebensdauer und der sich ständig verändernden Technikstandards ungeeignet und überdauern nur wenige Jahrzehnte. Filmkopien dagegen können bei sachgemäßer Aufbewahrung trotz der chemischen Eigenschaften des Materials wesentlich längere Zeiträume überdauern, ohne Schäden davon zu tragen, die nicht mit einer Restaurierung zu beheben wären. Ausserdem existieren nur von einem Bruchteil der archivierten Filme digitale Kopien. Besonders Filme und Filmemacher, die nicht wie Lubitsch, Wiene, Lang und Co. das Glück hatten, ins internationalen Filmbewusstsein überzugehen, gilt es zur Hilfe zu eilen. Diese fristen ihr Dasein nach wie vor als unschätzbare Einzelkopien und schimmeln in den Archiven vor sich hin.

Wie sach- und zeitgemäßer Umgang mit dem eigenen Filmerbe aussehen kann, beweisen uns – wiedermal – unsere französischen Nachbarn. Diese investierten über einen Zeitraum von sechs Jahren 400 Millionen Euro in den Erhalt des nationalen Filmgedächtnisses. Aber nun die große Quizfrage. Wie hoch beläuft sich wohl der Jahresetat zum Erhalt des deutschen Films? Immerhin das Filmland, das noch vor den berühmten Filmpionieren, den Gebrüdern Lumière, seine ersten Gehversuche unternahm. 50 Millionen? 20? Oder zumindest 10 Millionen Euro? Es sind genau zwei Millionen Euro, die bislang jährlich aufgewendet wurden, um die deutsche Filmgeschichte vor dem unwiderruflichen Zerfall zu bewahren. Angefangen bei den ersten kleinen Filmen der Gebrüder Skladanowsky – den deutschen Erfindern des Films, die selbst vor den Gebrüder Lumiere kurze Filme auf einem Überblendprojektor zeigten, aber deren Technik derer der Lumièrs unterlegen war – bis hin zu der aktuell in einer kreativen und politischen Sackgasse steckenden Filmbranche, die ein Überangebot an Mainstreamkomödien, Sozialdramen und Kinderfilmen hervorbringt. Doch wenn wir in Deutschland etwas von verstehen, dann von Wenden. Spätestens wenn die deutschen Politiker das hiesige Kino nicht nur als wichtigen Wirtschaftsfaktor anzusehen, sondern es wieder lieben lernen, dann wird es wieder lohnenswert, den deutschen Film zu konservieren.

Es besteht Hoffnung
Eine Petition zur Rettung des deutschen Filmerbes wurde von Filmemachern, Filmhistorikern, Archivaren, Kritikern und Filmwissenschaftlern gemeinsam erarbeitet und der Koalition der CDU und SPD vorgelegt. Und wer hätte das gedacht: Große Teile der Petition wurden am 26. November im unterzeichneten Koalitionsvertrag mit aufgenommen! „Unser nationales Filmerbe muss dauerhaft gesichert und auch im digitalen Zeitalter sichtbar bleiben“ so der genaue, aus der Petition übernommene Wortlaut. Das Bundesarchiv soll zu diesem Zweck „personell und finanziell" gestärkt werden. Doch Deutschland ist wie wir wissen, bekannt als das Land der Dichter und Denker. So sollte man diesen Hoffnungsschimmer als das betrachten, was er ist. Schöne Worte aus dem Mund einer Koalition, deren Haltbarkeitsdatum kaum länger sein dürfte, als das der gescheiterten HD-DVD und sich somit schneller in ihre Bestandteile auflösen dürfte als die Filmkopien im Bundesarchiv.

Martin Hagemann, seines Zeichens Dozent der HFF-Potsdam und Filmproduzent, schrieb in einem lesenswerten Artikel über die Krise des deutschen Kinos: “Aber fatalster Ausdruck der ‘inneren Krise’ der deutschen Kinofilmbranche ist die fehlende Bereitschaft, das eigene filmische Erbe zu bewahren, welches in häufig ungeeigneten Lagern, auf sich selbst zersetzenden Trägermaterialien vor sich hin gammelt.” Wahre Worte, die verdeutlichen, dass das Archivierungsproblem in Deutschland auch nur – wie vieles – ein Symptom der kriselnden Filmbranche darstellt. Was mich an ein Zitat von Antoine de Saint-Exupery erinnert: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Wenn unsere Politiker wieder die Sehnsucht nach dem Kino verspüren, wird die deutsche Filmbranche – und damit auch ihr Erbe – wie von Zauberhand von selbst gesunden. Aber bis dahin ist es noch ein langer, langer Weg…

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