Der Schauspieler William Hurt spielt in Julie Delpy s neuem Kostümfilm
Die Gräfin einen Adligen. Im Interview erzählt er von den Dreharbeiten und was diese von großen Hollywood-Produktionen unterscheidet.
Wie kam es zu Ihrer Mitwirkung an Julie Delpys Film?
In der Regel bekomme ich die Drehbücher von meinem Agenten zugeschickt, was auch diesmal der Fall war. In unserer langen Zusammenarbeit haben wir ein Gespür dafür entwickelt, Qualität zu erkennen, die noch nicht glatt gebügelt und homogenisiert ist. Ich las das Buch und fand es sehr gut. Außerdem erfuhr ich, dass Julie Delpy auch Regie führen würde. Ich bin Wahl-Europäer, besitze ein Haus in Paris und lebe dort einen Teil des Jahres – man könnte mich als einen Amerikaner mit erweitertem Horizont bezeichnen. Wenn sich mir also die Chance bietet, außerhalb der USA Filme zu drehen, nehme ich sie gern wahr.
Kannten Sie die Bathory-Legende?
Als ich zum ersten Mal von der Bathory hörte, war ich ungefähr 17. Ich fand es damals verwunderlich, dass ihre Geschichte kaum einen Künstler inspiriert hatte. Gut, inzwischen gibt es ein paar Filme über die Bathory, aber ob sie so anspruchsvoll sind wie unserer, wage ich zu bezweifeln. Dies ist ein Film über jene Phase des Mittelalters, als die Menschen – bildlich gesprochen – aus der Dunkelheit heraustraten. Damals gab es viele Elisabeths: die Bathory, Elisabeth I. in England, eine Elisabeth in Spanien, Shakespeare schrieb „Hamlet“, die Gedanken von Martin Luther sorgten für Aufruhr. Man
könnte diese Epoche als Wiege der Moderne bezeichnen. Am Set fragte ich mich häufig, in welcher Form das Leben damals unser Leben heute noch beeinflusst. Die Ereignisse des Films sind gerade mal 400 Jahre her, im Rahmen der Evolution ist das nicht sehr lang. Trotzdem sind in der Menschheitsgeschichte im gleichen Zeitraum unglaubliche Veränderungen passiert. Klar beleuchten wir mit dem Film eine bestialische Epoche. Aber bei manchen Szenen fragte ich mich: Geht es hier wirklich nur um das Mittelalter? Oder ist der Film nicht auch eine Metapher für unsere Zeit?
Inwiefern?
Die Gräfin erzählt eine sehr erwachsene moralische Geschichte. Denn Julie Delpy schildert eine Heldin, die reift und wächst, indem sie sich ihren Problemen stellt. Die Bathory war eine außerordentlich kluge Frau, die in einem anderen, idealen Umfeld bestimmt einen deutlich friedlicheren Weg genommen hätte. Das Großartige an unserer Geschichte ist jedoch, dass die Heldin keineswegs so dargestellt wird, als wäre sie bloß ein grausamer Ausrutscher ihrer Zeit. Im Gegenteil, Julie Delpy macht deutlich, dass es die grausame Epoche ist, in der sie lebte, die sich im Herzen der Bathory manifestiert.
Stellen Sie Unterschiede fest zwischen Filmemachern, die ausschließlich Regie führen, und solchen, die selbstverfasste Drehbücher inszenieren?
Julie Delpy ist ein kluger, zugänglicher Mensch, den ich sehr bewundere. Normalerweise bin ich skeptisch, wenn sich Leute zu viele Hüte auf einmal aufsetzen. Aber nicht bei Julie, sie ist einfach großartig. Ich glaube, die Leidenschaft wird sehr viel stärker fokussiert, wenn man einen Stoff realisiert, der einem am Herzen liegt. Wenn man Projekte nur des Geldes wegen annimmt, ist der Antrieb eher schwach. Als Schauspieler hatte ich im Grunde immer Glück mit meinen Rollen. Aber Julie erzählte, dass ihr häufig nichts Vernünftiges angeboten wurde, dass sie sich deshalb ihre Projekte selbst schreiben musste. Das erscheint mir sinnvoll und konsequent. Julie Delpy ist mutig. Am Set waren überhaupt viele mutige Leute, auch die Produzenten.
Wie war die Zusammenarbeit mit Daniel Brühl?
Großartig. In diesem jungen Künstler verschmelzen unterschiedliche Wurzeln auf elegante Weise. Er spielt ganz anders als die jungen Schauspieler in den USA. Für mich bedeutet Schauspielerei, knapp ausgedrückt, konzentriertes Arbeiten, und Daniel arbeitete zweifellos ausgesprochen konzentriert.
Haben Sie zum ersten Mal in Deutschland gedreht?
Nein, Teile von Chantal Akermans Eine Couch in New York mit Juliette Binoche entstanden in Deutschland, auch einige Szenen von Wim Wender’ Bis ans andere Ende der Welt. Privat bin ich aber schon lange vorher in Deutschland gewesen. Ich weiß noch, wie ich mit 21 im Auto von München in die damalige DDR fuhr, am Checkpoint Charlie wurde ich 3 1/2 Stunden gefilzt. Als ich dann in Berlin die Mauer sah – das war einfach schrecklich.Entsetzlich, was Menschen anderen Menschen antun können!
Und wie war es, in deutschen Schlössern zu drehen?
Phantastisch! Die Deutschen gehen mit ihrem nationalen Erbe sehr pfleglich um, es liegt ihnen viel daran. Einer meiner Söhne wäre total begeistert gewesen, hier zu sein, der hätte sofort gewusst, aus welcher Epoche jene Ritterrüstung stammte, wer diese Ritterrüstung trug und bei welcher Schlacht eine dritte zum Einsatz kam. Ich bin zwar kein Kind mehr, aber es war trotzdem großartig, durch diese Räume zu gehen.
Hätten Sie damals leben wollen?
Nein, nein, ich fühle mich in meiner Zeit schon sehr wohl.
Wie würden Sie die Atmosphäre beschreiben, die am Set herrschte?
Da ist mir etwas begegnet, das nur außerhalb der Staaten existiert – weil jenseits der USA die Menschen wissen, dass es noch andere Menschen auf der Welt gibt. Die Atmosphäre war deutlich entspannter und längst nicht so von Egozentrik geprägt wie in Hollywood. Unausgesprochen wussten wir alle: Dies ist eine Gemeinschaftsarbeit, hier stecken wir zusammen drin. Die amerikanische Gesellschaft hingegen bringt Isolation hervor. Der Dreh von Die Gräfin verlief sehr echt, sehr schön, sehr ruhig – wir konnten uns geradezu anstrengungslos große Mühe geben. Alles wirkte so einfach, um es mit einem Wort auszudrücken. Für mich ist dies das größte Kompliment, das man einem Umfeld machen kann. Denn Einfachheit ist immer das Ergebnis von Kultiviertheit. Wir haben so konzentriert gearbeitet, dass wir stets im Zeitplan lagen. Das wiederum gab einem das gute Gefühl, Sinnvolles geleistet zu haben. Natürlich hatten wir diese wunderbare Atmosphäre Julie Delpy zu verdanken, die ein sehr besonnenes Ruder führte. Allüren und Ansprüche? An diesem Set waren sie Fehlanzeige. Das fand ich sehr angenehm. Ich brauche keinen riesigen Wohnwagen oder Leute, die mich Boss oder Sir nennen.
Mit Material von X Verleih
Die Gräfin startet am 25. Juni in den deutschen Kinos.