Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, dem eigenen Leben in der DDR gibt es im neuen Film von Marco Mittelstaedt Im nächsten Leben zu sehen. Hauptfigur ist der ehemalige DDR-Nachrichtendienst-Fotograf Wolfgang Kerber (Edgar Selge), der durch die politische Wende ins Straucheln gerät. Die Zeiten, als er zu den Privilegierten gehörte, Großereignisse besuchen und die Großen und Mächtigen treffen durfte sind vorbei. Die Ereignisse haben ihn überrollt. Nun findet er sich als Polizeireporter einer lokalen Boulevardzeitung wieder. Auch die Orte seiner Arbeit haben sich damit geändert. Statt nach Moskau oder New York zu fahren, bereist er jetzt die ostdeutsche Provinz, um dort die lebensnahen Geschichten zu finden.
Seine althergebrachten Arbeitsmethoden missfallen Kerbers Chef; als zu langsam und den modernen technischen Anforderungen nicht gewachsen sieht der ihn. Doch Kerber gibt nicht auf. Bei einem ihrer seltenen Besuche erzählt ihm seine Tochter Margitta (Anja Schneider) von einem verschwundenen Mädchen an ihrer Schule in Wolfen. Als wäre der Fall seine letzte Chance, reißt Kerber ihn an sich und wittert eine Sensation. Die verlorene Generation des Ostens will er finden und alles deutet zunächst auch darauf hin. Das Mädchen hatte zu Hause Probleme, in der Schule lief es schlecht und sie wurde von jugendlichen Gammlern abgezogen. “Perfekt”, denkt Kerber. Doch schließlich findet er die Schülerin und sein ganzes Kartenhaus bricht zusammen. Ihre Gründe, abzuhauen waren ganz andere, weit und breit keine verlorene ostdeutsche Generation. Er hatte sich selbst belogen. Doch die Redaktion erwartet nach wie vor eine Sensationsstory von ihm. Um nicht als Verlierer da zu stehen, manipuliert er seine Geschichte, bringt das Mädchen in Gefahr und lässt das Verhältnis zu seiner Tochter eskalieren.
Marco Mittelstaedt beschreitet mit dem Film bekanntes Terrain. Schon in Jena Paradies hat er das Thema Vor- und Nachwende in Deutschland thematisiert. In Im nächsten Leben spiegelt er eigene Erfahrungen, die er nach mit seinem Vater gemacht hat. Der Film zeigt feinfühlig, wie schwierig es ist, die eigene Würde zu bewahren und wie schnell dabei Maßstäbe an Ethik und Anstand über Bord geworfen werden können.
Ronja Dittrich vom Bayerischen Rundfunk lobt den Film: “Im nächsten Leben ist eine berührende, unprätentiöse Geschichte über jemanden, der gewendet hat, als der Wind bereit stand und nun mit dem neuen Tempo nicht zurechtkommt. Am Steuer: Ein wie immer großartiger Edgar Selge.”
Dagegen hebt Caroline Bock von der Rhein-Zeitung die Rolle des Vaters von Regisseur Mittelstaedt heraus: “Regisseur Mittelstaedt (”Jena Paradies (Jena Paradies)":/movies/jena-paradies) hat die Biografie seines eigenen Vaters inspiriert, der ADN-Cheffotograf war und schließlich Boulevardreporter beim einstigen Klassenfeind wurde. “Für mich war er damals der größte Wendehals und ich schämte mich bodenlos”, erzählt Mittelstaedt in den Produktionsnotizen. Heute denke er “etwas differenzierter” über seinen Vater. Sein Filmreporter Wolfgang Kerber sei “kein großer Held”, so Mittelstaedt, aber vor allem einer, der den Beruf des Reporters liebe. Und er habe diese Passion auf sehr unterschiedliche Art in der DDR und im wiedervereinten Deutschland ausgeübt."
Überzeugt von den schauspielerischen Leistungen war Katharina Zeckau von film-dienst: “Präzise Alltagsbeobachtungen, schöne, ruhige Bilder und ein ebenso zurückhaltend wie überzeugend aufspielendes Ensemble rund um den wie stets herausragenden Edgar Selge prägen diese Studie über die Narben, die die Wende hinterlassen hat. Ein im besten Sinne kleiner Film ist Im nächsten Leben geworden – weshalb er auch auf der großen Leinwand nicht fehl am Platz wirkt.”
Anderer Ansicht ist da moviesection, wo der Film unverstanden blieb: “Die Handlung ist, obwohl glaubhaft gefilmt, jedoch nicht immer fesselnd, auch wenn alle Figuren authentisch gezeichnet wurden. Die Beweggründe und die Vergangenheitsbewältigung von Kerber wurden zu wenig herausgearbeitet, als das sie berühren oder gar verstanden werden würden. Somit ist aus Im nächsten Leben ein Film geworden, der im Osten oder in den nahe gelegenen Gebieten bestimmt anders gesehen wird, als durch jemanden, der mit der DDR und den dortigen Gegebenheiten wenig zu tun hatte.”