In Re:Creators kommt es zum Kampf zwischen Autor und Publikum

25.09.2017 - 12:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
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Die Serie Re:Creators präsentiert sich als Battle Royale zwischen Protagonisten unterschiedlichster Anime-Genres, geht dabei aber auf intelligente Weise auf kreative Prozesse und die Wechselwirkung zwischen Autoren und ihrem Publikum ein.

Re:CREATORS von Studio Troyca und Regisseur Ei Aoki folgt einer Reihe von beliebten Buch- und Serienfiguren, die plötzlich in der echten Welt auftauchen. Sie entspringen unterschiedlichsten Genres, und wie zu erwarten ist, bilden sich Feindschaften und Allianzen zwischen ihnen, bei denen die sehr gezielt gewählten Charakter-Archetypen aufeinander treffen und so für Spannung oder Harmonie sorgen. Erzählt wird die Geschichte aus Sicht eines 16-jährigen Schülers, der sich plötzlich zwischen den Figuren aus Manga, Anime und Videospielen wiederfindet. Deren Schöpfer, die sogenannten Creators, spielen ebenfalls eine Rolle, sodass Zuschauer, Figuren und Autoren in der Handlung repräsentiert werden. Oberflächlich geht es um ein Crossover zwischen Charakteren unterschiedlicher Genres, doch Re:CREATORS nutzt die Situation für eine Abhandlung über Autoren, Werk, Publikum und die Bindungen, die zwischen diesen Fraktionen entstehen.

Die Kernaussagen von Re:CREATORS, die in Deutschland bei Amazon Prime verfügbar ist, lassen sich aber anhand eines Charakters mit größerer weltweiter Bekanntheit veranschaulichen. Mit einer mehr als 50 Jahre andauernden Existenz lassen sich zum Beispiel recht wenige konkrete Aussagen zu einem Charakter wie Spider-Man treffen. Ein schüchterner Teenager. Radioaktive Spinne. Superkräfte. "Mit großer Macht..." Dies sind seine wesentlichsten Eigenschaften, und sie wurden schon in seinen ersten Comic-Auftritten etabliert.

Natürlich lässt sich noch einiges mehr zu ihm sagen. Einst hat er durch einen Handel mit dem Teufel  seine Hochzeit annulliert. Er hat einen Klon in einem ärmellosen Hoodie. Und er verantwortete den Tod von Mary-Jane mit seinen... Körperflüssigkeiten . Seine derzeitige Comic-Inkarnation machte ihn zu einem Super-Genie, das seine eigenen technischen Gerätschaften baut, und dieses Know-How schwappte auch in die Filmversionen über. Doch die meisten dieser Eigenschaften sind temporär, während selbst Leute ohne große Erfahrung mit Comics das Grundschema von 1962 mittlerweile auswendig können. Egal welcher Autor sich Peter Parkers annimmt, früher oder später treibt die Figur in Richtung der Version, die sich im allgemeinen Bewusstsein festgelegt hat.

Dieses Verständnis kann eine erstaunliche Auswirkung auf ein Franchise haben. Harley Quinn, eine Nebenfigur die für den Batman-Cartoon erdacht wurde, entwickelte sich zu einem der beliebtesten Charaktere von DC Comics. Arsene Lupin und Sherlock Holmes werden dank eines nicht autorisierten Crossovers allgemein als Kontrahenten akzeptiert, trotz der Proteste von Arthur Conan Doyle. Mortal Kombat erweiterte sein Roster wegen einer missverstandenen Fehlermeldung . Es ist genau dieses Verhältnis zwischen Autor, Werk und Publikum, auf dem Re:CREATORS aufbaut.

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Es würde mich nicht wundern, wenn die ersten Versionen des Scripts von Re:CREATORS noch mit uns bekannten Figuren gearbeitet hätten, denn für jeden Charakter hätte sich ein berühmtes Äquivalent gefunden, das die gleiche Rolle einnehmen könnte. Der ungewöhnlich junge Pilot eines Riesen-Mechs, eine furchtlose Kriegerin, ebenfalls in einem Mech, der Rivale eines Shounen-Mangas oder ein sorgloses Magical Girl fänden sich sicher in den letzten zwanzig Jahren, möglicherweise sogar unter demselben Publisher. Aber im Hinblick darauf, wie mit manchen dieser Figuren umgegangen wurde, wäre die Zustimmung der entsprechenden Rechteinhaber nur schwer zu kriegen. Als Repräsentanten von bekannten Figurentypen erfüllen die Charaktere dafür immer noch ihren Zweck, und der Crossover-Appeal hätte vom eigentlichen Kern abgelenkt.

Es wird in Re:CREATORS nie explizit erwähnt, aber zumindest angedeutet, dass die meisten serieninternen Werke wahrscheinlich nicht sehr gut sind. Oder zumindest einige negative Klischees aufweisen. Wahllos zusammengeworfene deutsche Begriffe, Geschichten, die auf überflüssigen Missverständnissen aufbauen, oder eine flache Romanze ohne richtige Chemie zwischen den Beteiligten sind in einigen der Geschichten vertreten, und doch haben sie ein weites Publikum angesprochen. Denn selbst Werke mit vielen Schwächen, ob sie nun von Entscheidungen des Autors oder der Geldgeber stammen, müssen bei einer so großen Reichweite etwas richtig gemacht haben.

Diese Reichweite ist aber nicht nur kommerziellen Werken vorbehalten, wie Altair, die Antagonistin von Re:Creators zeigt. OCs, beziehungsweise Original Characters, wie sie einer ist, haben sich zu einer Art Punch-Line entwickelt. Es sind Fan-Schöpfungen in etablierten Universen, die wegen ihrer häufig noch unerfahrenen und jungen Schöpfer einen negativen Ruf weghaben. Doch wenn der richtige Nerv getroffen wird, kann sich selbst ein OC zu einem inoffiziellen Teil des angestrebten Universums entwickeln, wie ein von Fans aufgenommener Sonic-Charakter , der aus der Fehlinterpretation eines Sprites entstand. Ohne eine richtige Hintergrundgeschichte oder einen Kanon, zu dem sie gehören, kann jeder seinen eigenen Beitrag zum Charakter leisten. Der Tod des Autors ist schon eingetreten, noch bevor der Autor das letzte Wort hatte, und manchmal besteht dieses darin, die Fan-Wünsche in sein Werk einzubauen.

Re:CREATOR

Die Perspektive des Publikums ist in Re:Creators entscheidend und dient als Hauptmechanik seiner Geschichte. Nur Charaktere mit einem hohen Bekanntheitsgrad dürfen in die echte Welt treten. Um gegen die unbegrenzt wirkende Macht eines OCs anzukommen, müssen die Charaktere als Teil eines multimedialen Crossover-Events angepasst und für Leser oder Zuschauer glaubwürdig in das gleiche Universum überführt werden. Gerade ihre Bekanntheit macht es aber schwer, die Zuschauermassen zur Akzeptanz der Geschehnisse zu bewegen. Es ist eine eher amerikanische Herangehensweise, mit einem großen Produktionskommittee das auf Übereinstimmung und eine fehlerfreie Kontinuität achtet statt den gewöhnlichen Anime- und Manga-Crossovern, die aus einer Laune und ohne Rücksicht auf ihren jeweiligen Kanon passieren.

Re:Creators nimmt das Zusammentreffen unterschiedlichster Genres als Rahmen für eine Abhandlung über die Schwierigkeiten, selbst absurdeste Geschichten konsistent und für das Publikum glaubwürdig zu konstruieren. Die Kämpfe zwischen den verschiedenen Anime-Vertretern haben dasselbe Gewicht wie die Schwierigkeiten der Autoren und Zeichner, ihre Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle beim Vergleich mit Kollegen und der zusätzliche Stress der Verantwortung für das Weiterbestehen der Welt. So wird der kreative Prozess das, wonach er sich für einen Autor schon mal anfühlen kann: eine Sache von Leben und Tod.

Re:Creators feierte am 16. September sein Serien-Finale. Der Anime ist seitdem in voller Länge auf Amazon Prime  verfügbar.

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