Glamourcity - Angst vor Lars von Trier

19.05.2011 - 16:37 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
LVT
Johann Buchholz
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Moviepilot Redakteur Johann Buchholz erlebt, wie gefährlich Lars von Trier wirklich ist. Die Entscheidung, ihn vom Festival auszuschließen, ist durchaus berechtigt.

Als er vor zwei Jahren seinen letzten Film in Cannes präsentierte, war die Croisette voller Premierenkarten-Suchender, die Zettel mit dem Titel seines Filmes über ihren Köpfen hielten.

Das müssen Sie sich mal bildlich vorstellen: Eine Prachtstraße unter Palmen und überall laufen junge Frauen in schulterlosen Ballkleidern und elegante Herren im Smoking herum und halten Papiere hoch auf denen ANTICHRIST steht.

Da hat sich sicher einer gefreut da unten im Erdkern.

Hat Terrence Malick gerade Gott gespielt und die Erschaffung der Erde, des Lebens und der Intelligenz in seinem Film gezeigt, so wird Lars von Trier das alles heute wieder zerstören.

Als Jodie Foster Lars von Trier (LvT, wie er in Cannes nur genannt wird) aus einer Limousine steigen sieht, beendet sie abrupt die Fotosession auf dem roten Teppich und flieht die Treppe hoch zum Festivalpalais.
Wahrscheinlich wäre das zuviel: Gerade gestern mit Mel Gibson Zitat: “Die Juden sind schuld an sämtlichen Kriegen der Welt” bei der Beaver-Premiere über den roten Teppich gegangen und heute mit Lars von Trier Zitat: “Ich bin ein Nazi” auf dem selben Teppich fotografiert zu werden.

So schnell habe ich noch nie jemanden da raufeilen sehen.

Von Trier präsentiert heute den Film Melancholia, begleitet wird er von seinen Darstellern: Charlotte Gainsbourg, John Hurt, Charlotte Rampling, Alexander und Stellan Skarsgard, Udo Kier und vor allem seiner Hauptdarstellerin, Kirsten Dunst.

Oben wartet der Leiter der Filmfestspiele, Thierry Frémaux. Wie ein Schuljunge, der etwas ausgefressen hat, kommt von Trier zu ihm hoch, hebt die Hand vor seinen Mund und macht eine Geste der Entschuldigung.

Soll wohl heißen: “Hätte ich doch bloß die Klappe gehalten bei der Pressekonferenz.”

Alles verziehen, so scheint es, denn Thierry Frémaux nimmt den Dänen in die Arme.

Dass er dann 12 Stunden später vom Festival zur Persona non grata erklärt werden würde, hätte Lars sich in diesem Moment wahrscheinlich auch nicht vorstellen können.

Ist das noch ein guter Tag für ihn?

Im Saal bekommt er dann von den Zuschauern außer Applaus auch noch Buh- und “Faschist”-Rufe.

Aber bitte kein Mitleid jetzt. Es träfe den Falschen.

Während da vorne nämlich von Trier mit Charlotte Gainsbourg und Kirsten Dunst tuschelt, sitze ich ganz hinten in der letzten Reihe des riesigen Saales und habe Angst.

Ich habe Angst, dass der dänische Regisseur mich heute wieder so fertig macht wie mit “Antichrist”.

Für mich hat „Antichrist“ mit dem Wald gemacht, was „Der weiße Hai“ mit dem Meer anstellte:
Meer und Wald sind in meinem Kopf zu Quellen der Gefahr geworden. Blutrünstige Haie und geile Bäume, meine Träume sind voll von ihnen.

Im Film geht es um die letzten Tage bevor die Erde von einem blauen Planeten namens Melancholia vernichtet wird. Kirsten Dunst spielt die melancholische Braut, von der alle wollen, dass sie an ihrem Hochzeitstag gefälligst glücklich zu sein hat. Aber keine Chance, da kann man sich auf LvT verlassen!

Der Planet Melancholia kommt immer näher, Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg und ein kleiner Junge warten auf den Tod. Und mich erfüllt jetzt auch eine tiefe Traurigkeit.

Und genau deshalb habe ich Recht damit, mich vor von Trier zu fürchten.

Bei Antichrist verfilmte er seine Angstzustände und schon hatte ich Angst im Kino. Jetzt verfilmt er seine Melancholie und ich werde ganz unglücklich…

Diese Kraft, seine inneren Dämonen an seine Zuschauer weiterzugeben, diese Fähigkeit, unsere Gefühle zu manipulieren, was ist das bitte für eine Kraft, wenn nicht eine teuflische?

Und deswegen bin ich mit der Entscheidung der Festivalleitung voll und ganz einverstanden. Der Mann ist zu gefährlich und gehört vom Festival entfernt.

Allerdings nicht für seine Aussagen in einer Pressekonferenz in der er sich mit seinen Provokationen furchtbar vergallopiert hat. Ihn dafür vom Festival auszuschliessen ist übertrieben.

LvT wurde eben nicht für Journalistenfragen gebaut, er wurde gemacht, um uns mit seinen Filmen fertig zu machen…

Zurück zu Melancholia:
Jetzt kollidiert der blaue Planet mit unserer Welt.
Ok, Erde zerstört, Kirsten Dunst tot, Publikum feiert von Trier, er verlässt den Raum, der Saal leert sich.
Ende, aus.

Aber der Saal leert sich gar nicht ganz. Sicher hundert Zuschauer bleiben zurück, bleiben wie ich in ihrer Traurigkeit sitzen, bis der Ordnungsdienst uns alle rausschmeißt.

Das ist der von Trier Fluch. Sage keiner, ich hätte nicht gewarnt vor diesem Hexer.

Mit meinem Freund Gaston gehe ich in das “Petit Baron”, eine dunkle, enge Piano Bar. Wir trinken Whiskey-Perrier. Hilft alles nichts, hat keinen Sinn, alle sind tot, der Planet ist zerstört.

“Komm wir gehen auf die Empore in die dunkle Ecke, da ist es ruhiger”, schlägt Gaston vor.

Ok, keine Lust mehr, glückliche Tänzer zu sehen.

Wir gehen in den ersten Stock zu der dunklen Sesselecke. Aber da hockt schon jemand. Und wer da sitzt, morgens um drei, und seine Ruhe haben möchte, das ist Kirsten Dunst, im schwarzen Kleid mit ihrem Begleiter.

Ich verspreche es Ihnen, es stimmt!

Warum sitzt sie da und feiert nicht mit dem Rest der Crew?
Hat LvT, dieser Verbrecher, auch sie depressiv gemacht?

Gaston ist das ganz egal. Er ist überglücklich:
“Hurra, sie lebt, sie lebt. Die Erde hat überlebt…”

Wie schön! Weg mit dem Whiskey. Champagner!

Wenn das Lars wüsste…

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