Gewalt erzeugt Gegengewalt - Jeremy Saulnier im Porträt

08.06.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Mit Green Room startete bereits der dritte Langfilm des aufstrebenden Filmemachers Jeremy Saulnier in den Kinos. Was macht den Erfolg seiner Werke aus? Lest in diesem Porträt, warum ihr den amerikanischen Regisseur auf dem Schirm haben solltet!

Mit Green Room veröffentlichte der US-amerikanische Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann Jeremy Saulnier kürzlich seinen dritten Langfilm. Bereits sein Erstlingswerk Murder Party konnte diverse Preise gewinnen, das nachfolgende Independent-Drama Blue Ruin überzeugte die Jury in Cannes. Green Room wird von Kritikern ebenso gut aufgenommen, auch wenn das Lob hier etwas verhaltener ausfällt als beim Vorgänger. Was macht den Erfolg der Werke Saulniers aus? Um diese Frage zu beantworten, habe ich mir seine bisherigen Filme genauer angesehen.

"Sie vergießen Blut, als wären sie Kinder"

Auf den ersten Blick sind Saulniers Werke optisch wie inhaltlich stark vom Horror-Genre beeinflusst, die New York Times  schreibt von einem kindlichen Blutvergießen. Saulniers erster Film Murder Party ist vordergründig eine Horror-Komödie um einen jungen Mann (Chris Sharp), der an Halloween in die Fänge einer Gruppe verrückter Künstler gerät. Mit der Inszenierung seines Todes wollen sie das Meisterwerk ihres Lebens schaffen. Blue Ruin ist in seiner Grundhandlung ein Rache-Thriller, der von der sich stetig intensivierenden Gefahr lebt, die über weite Strecken gesichtslos und damit umso bedrohlicher bleibt. Green Room wiederum greift die bekannte Thematik eines Belagerungs-Szenarios auf, in dem die Bedrohung diesmal von einer Gruppe Nazis (unter Führung von Patrick Stewart), statt einer Horde Zombies ausgeht. Dabei unterstreichen die cinematographische Wirkung und die versierte technische Machart stets die Grundhandlung und Erzählweise Saulniers. Er bedient sich verschiedener Genre-Konventionen, spielt mit ihnen und verbindet sie neu.

Jeremy Saulnier und Patrick Stewart am Set zu Green Room

Es folgen leichte Spoiler zu Murder Party, Blue Ruin und Green Room: Saulniers Filme über Horror und Grauen zu charakterisieren, greift dennoch zu kurz. Gewalt ist für ihn ein wichtiges Gestaltungselement. Die verstörende Wirkung seiner Filme entsteht aus dem sparsamen, aber schonungslos realistischen Einsatz von Grausamkeit. Saulnier zeigt, wie Gewalt stets weitere Gewalt nach sich zieht und unbeabsichtigte Kettenreaktionen in Gang setzt, die sich jeglicher Kontrolle entziehen. In Murder Party kehrt sich die gleichgültige Abgestumpftheit gegenüber Folter und Mord um, wenn die Protagonisten - nicht zuletzt beeinflusst durch diverse bewusstseinserweiternde Mittel - aufeinander losgehen und sich gegenseitig bedrohen. In Blue Ruin setzt ein Mord eine blutige Familienfehde in Gang, an deren Ende es keine Gewinner geben kann. Und auch Green Room zeigt, dass auf jeden Gewaltakt ein Gegenakt folgt. Die Gewalt kontrolliert den Menschen, nicht umgekehrt.

Inneres und äußeres Schicksal

Im Kern sind Saulniers Filme Dramen, die feinfühlige Porträts einzelner Schicksale zeichnen. Sie leben von der Intensität, mit der die Zuschauer am Innenleben der Figuren teilhaben. Im Mittelpunkt stehen stets einsame Menschen, isoliert von der Gesellschaft. Murder Party zeigt einen alleinstehenden Mann, der soziale Kontakte vornehmlich zu seiner Katze pflegt. Als zufällig eine Einladung zu einer Halloween-Party vor seinen Füßen landet, gibt es nichts, was er stattdessen vorhaben könnte. In Blue Ruin sehen wir die Welt durch die Augen eines Obdachlosen mit traumatischer Vergangenheit (Macon Blair), der im wahrsten Sinne des Wortes von den Abfällen der ihn missachtenden Gesellschaft lebt. Erst als er sich auf einen Rachefeldzug für den Tod seiner Eltern begibt, tritt er wieder mit anderen Personen in Kontakt. Green Room stellt eine Punkband (Anton Yelchin, Joe Cole, Alia Shawkat, Callum Turner) in den Mittelpunkt, deren musikalische Karriere ähnlich ziellos verläuft, wie die jungen Protagonisten ihr Leben leben. In einer Situation gefangen, in der es um Leben und Tod geht, gelingt es ihnen, die eigenen Situation zu reflektieren und zielstrebiger zu handeln.

Blue Ruin

Dabei erschafft Saulnier keine Helden, die im Angesicht der Gefahr auf ungeahnte Superkräfte zurückgreifen können. Ihr Überleben hat nicht selten mit Zufällen oder Glück zu tun. Es geht nicht darum, die innere Stärke zu finden, sich in die Gesellschaft eingliedern zu können. Am Ende der durch äußeren Umständen initiierten inneren Reise steht keine Epiphanie, keine tiefe philosophische Selbsterkenntnis. Ihr Leid hat für Saulniers Protagonisten keine reinigende oder aufbauende Wirkung. Es ist vielmehr Teil ihres Lebens, gehört dazu wie die eigenbrötlerische Lebensweise oder die Abgrenzung von gesellschaftlichen Konventionen. Die überwundene Gefahr führt nicht zu einer Eingliederung in die Gesellschaft. Es geht nicht darum, was ihre Mitmenschen von den Charakteren halten, sie haben sich vielmehr vor dem Publikum zu beweisen.

Keine tiefschürfenden Charakterstudien

Hierzu benötigt Saulnier keine detaillierten, tiefgreifenden Charakterporträts. Die Wirkung erzielt er durch die enge Bindung an seine Figuren, die es dem Zuschauer unmöglich machen, sich der inneren Welt der Protagonisten zu entziehen. Wären wir der Einladung zur Murder Party nicht selbst gefolgt? Würden wir nach derart traumatischen Kindheitserlebnissen, wie sie Dwight in Blue Ruin durchleben musste, nicht ebenfalls auf Rache sinnen? Wie würden wir reagieren, wenn wir wie die jungen Musiker im Green Room eingesperrt und in unserer Existenz bedroht wären?

Murder Party

Wie sein sparsamer, aber wirkungsvoller Einsatz von Gewalt, setzt Saulnier auch im Umgang mit seinen Figuren auf ruhige Intensität statt ausschweifender Erklärungen. Nach der Überwindung der äußerlichen Gefahr kommt die Handlung schnell zu einem erzählerischen Abschluss. Kein auflösendes Ende zeigt die Protagonisten als neue Mitglieder der "normalen" Gesellschaft. Am Ende ihrer Odyssee hat sich ihr äußerlicher Standpunkt nicht gewandelt und nur die Zuschauer wissen um ihre innere Veränderung.

Ode an die Individualität

Saulniers Filme hallen noch lange nach. Nicht dank einer besonders ausgefeilten oder spannenden Handlung. Nicht aufgrund einer besonders prominenten Rolle von Gewalt, Blut und Mord. In Erinnerung bleibt die Isolation der Protagonisten, die sich im Verlauf des Films in einer äußeren Gefahr zuspitzt, doch bereits zu Beginn ihr Leben bestimmt hat. Und dennoch scheinen die Personen - zumindest am Ende von Murder Party und Green Room - in sich selbst gefestigter zu sein. So, als wären sie sich ihrer Außenseiterrolle bewusster und vermögen sich mit ihr zu arrangieren. Vielleicht können Saulniers Werke bei aller pessimistisch-realistischen Brutalität im Kern als Ode an die Individualität gesehen werden. Eine Individualität, die jeder von uns in sich trägt und für die es keinerlei Superkräfte bedarf.

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