Game of Thrones und das Jammern auf hohem Niveau

17.06.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
"Bei Game of Thrones müssen wir vorsichtig sein, deshalb wäre ein neutrales Bild gut."
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"Bei Game of Thrones müssen wir vorsichtig sein, deshalb wäre ein neutrales Bild gut."
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Enttäuschung und Entsetzen bestimmten einen Großteil der Reaktionen auf die fünfte Staffel Game of Thrones. Ist uns die Serie mittlerweile so vertraut, dass wir keine angemessen distanzierte Haltung mehr zu ihren Inhalten einnehmen können?

In der Regel verfolge ich zunächst die Reaktionen auf eine jeweils neue Folge Game of Thrones und hole anschließend mit der Serie auf. Das hat sich so eingeschlichen, ist ein bisschen zur Gewohnheit geworden. Spoiler fürchte ich nicht, sie lassen sich selten umgehen und tun meinem Interesse am mittlerweile ohnehin zuverlässig-abgründigen Handlungsverlauf keinen Abbruch. Wenn ich also Game of Thrones schaue, dann für gewöhnlich mit einer doppelten Erwartungshaltung: Ob mich die Autoren wieder einmal für sich begeistern können, und ob das Format seinen Figuren tatsächlich so übel mitspielen wird, wie es die allermeisten Diskussionen unmittelbar nach Ausstrahlung vermuten lassen. Ohne die entsprechend publikumswirksame Empörung wäre es mir mit dem Format vielleicht sogar schon langweilig geworden.

Das demonstrative Meckern der Seriengucker erscheint mir dabei nicht weniger ritualisiert als jene absehbaren dramaturgischen Manöver der Serienmacher, mit denen ebendiese sich ihrer Figuren so radikal wie nur möglich entledigen. Weil sie das in einem Modus spürbar sardonischer Freude, vor allem aber ohne Aussicht auf Vergeltung, Genugtuung und bequemliche Erlösung (sprich: ohne Reinigung vom Affekt) tun, rollt der Stein des Zuschaueranstoßes regelmäßig durch die Kommentarspalten des Internet. Akribische Vorlagenverteidiger und reine Serienkonsumenten – sonst durchaus bereit, ihre unterschiedlichen Zugänge gegenseitig auszuspielen – verfallen in gemeinsames Entsetzen, wenn eine Figur in Westeros wieder mal ganz anders, vor allem aber viel böser als gedacht vor die Hunde geht.

Die Frage ist nun, wie man als Fan von Game of Thrones mit diesem Entsetzen umgeht. Nach fünf Staffeln scheint einigermaßen klar, dass die Serie keine Widerstände scheut (und dass es bei ihren Vor- und Rückwärtsbewegungen nicht ums Ziel, sondern den möglichst steinigen, Erwartungen unterlaufenden Weg zu irgendeiner neuen gewalttätigen diffusen Ordnung geht). Identifikationsangebote schlägt sie deshalb ziemlich konsequent aus, ein verdienter Sieger lässt sich in diesem Spiel um recht- oder unrechtmäßige Thronfolger längst nicht mehr eindeutig benennen. Jede Partei, jede Familie, jede noch so distinguierte Philosophie von Krieg und Überlebensstrategie ist hier eine denkbar brutale. Und eben nicht jedes Schicksal auch ein verdientes.

Mag die fiktive (andere würden sagen: aus zahlreichen Vorlagen bunt zusammen gewürfelte) Welt, in der Game of Thrones seine Figuren taktisch wie auf einem Spielbrett anordnet, auch eine von teils edelmütigen oder – wie im Fall der Sklavenbefreierin Daenerys Targaryen – möglicherweise humanistischen Motiven angetriebene Form bilden, geht es letztlich doch immer nur um Selbstermächtigung. Um royale beziehungsweise dynastische Herrschaftsansprüche, um blutig ausbalancierte Machtverhältnisse, um neuer- wie schlechterdings religiös-fundamentalistische Absichten – und oft genug auch lediglich um private Vergeltungsfantasien, die sich mit den archaischen Bedingungen des in oberen Verwaltungsrängen vollständig entmenschlichten Westeros zu arrangieren wissen.

Das böse Prinzip der Serie besteht folglich darin, eine Vielzahl von Figuren, Geschichten und Motivationen gegeneinander in Stellung zu bringen, aus denen das Publikum sich allenfalls fürs kleinere Übel entscheiden kann (vorausgesetzt natürlich, man möchte als Zuschauer überhaupt mit irgendeiner der größtenteils finsteren Gestalten aus Game of Thrones emotional paktieren). Die fünfte und jüngste Staffel hat das noch mal sehr gekonnt zugespitzt. Stannis Baratheon baute sie als einen sukzessive sympathischeren Thronerben auf, der – so zumindest die Hoffnung – im besetzten Winterfell mit jenem Bolton-Clan abrechnen würde, der für den Tod vieler lieb gewonnener Figuren verantwortlich ist.

Auf den letzten Metern entschieden sich die Autoren allerdings für eine Kursänderung. Sie ließen Stannis Baratheon über sehr persönliche (und damit unverzeihliche) Leichen gehen, um daraufhin gleich noch dessen Aussicht auf einen zufrieden stellenden Etappensieg zu zerschlagen. Sämtliche Abrechnungsfantasien des Publikums blieben unverwirklicht, die kriegsstrategischen Opfergaben ohne Sinn. Einige Zuschauer haben das als Verrat an der literarischen Figur empfunden (Sakrileg), andere fühlten sich um das letzte bisschen Empathie für die an emphatischen Figuren nicht sehr reiche Welt von Game of Thrones betrogen. Und eigentlich ist das ja seltsam: Diese Sehnsucht nach einer Kriegsparteizugehörigkeit, bei der darüber entschieden werden soll, wer nun eben etwas weniger brutal, etwas weniger widerwärtig durch die Lande zieht.

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