funk - Die Öffentlich-Rechtlichen infiltrieren die Youtube-Szene

08.10.2016 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
funk: Das Internet ist vorbei
ZDF/ARD
funk: Das Internet ist vorbei
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Funk, das Junge Angebot von ARD und ZDF, ist online und provoziert bislang vor allem selbstgefällige Witzeleien. Tatsächlich aber könnte funk die Kräfteverhältnisse im Internet auf lange Sicht deutlich verschieben.

Sind eigentlich Jugendliche zugegen? Da drüben sehe ich welche, und da auch. Winkt doch mal. The Öffentlich-rechtlichen have a Junges Angebot now. Fick die Henne! Haven't you heard? It's called funk. Biegt eure Basecaps zurecht und stapelt die Longboards übereinander wie Mikadostäbchen. I'll be your guide.

Das hat wehgetan, oder? Ja, Coolness lässt sich nicht antizipieren, genauso wenig, wie sich Zeit zurückdrehen lässt: Es ist physikalisch beziehungsweise soziolinguistisch unmöglich. Coolness ist weniger eine Eigenschaft als ein Zustand, sie vergeht bzw. muss erhalten werden. Coolness ist dynamisch. Die Jugendwörter  des Jahres hat zum Beispiel entweder nie jemand gesagt oder sie werden schon nicht mehr verwendet, wenn sie zu dem gewählt werden, was sie fortan oder spätestens dann nicht mehr sind: Jugendwörter. Youtube etwa ist ja organisch in die Coolness hineingewachsen, genau wie das Internet selbst. Während ARD und ZDF ihren Funk-Klotz ins Internet bauten, rauschten die Trends gnadenlos links und rechts vorbei wie 15-Jährige auf Longboards mit schiefen Basecaps in Instagram-Filter an Parkbänken ... mit Rentnern drauf, oder so ähnlich. ARD/ZDF hätten vom Hasen zum Igel werden müssen. Um den Jungen in Sachen Medien ein Begleiter zu sein, müsste man ihnen voraus sein.

Diese Königsdisziplin der Hipness, die nur Kanye West und Sami Slimani beherrschen, nun von den Öffentlich-Rechtlichen zu einzufordern, ist unendlich vermessen und unfair ebenso. Anders gesagt, ZDF und ARD konnten sich mit ihren ausgebeulten Anzughosen nur in die Nesseln setzen, als sie vergangene Woche das neue, lange namenlose Junge Angebot in Berlin vorstellten, das als funk gelauncht wurde, was origineller klingt, als man erwarten konnte, gerade nach dem langen Denkprozess, der dem finalen Titel voranging: So ein mühsames Arbeitsdenken trägt selten frische Früchte. Dass funk unter dem Arbeitstitel Junges Angebot sehr lange eine öffentliche Konstruktionsstätte oder eher Baustelle  war und es vor allem den Eindruck erweckte, dort würde sich gar nichts tun, provozierte irgendwie pflichtgemäßes, ja obligatorisches Lästergehabe, das mittlerweile so witzig ist wie Kalauer über den BER.
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So geht es jetzt los mit der erzwungenen Coolness: es uncool zu finden, dass andere etwas uncool finden, und wenn das Wort cool nur oft genug wiederholt wird, klingt es ziemlich uncool. Also mal ein bisschen zurückrudern. Es wäre das Normalste der Welt, würde funk scheitern. Das Schöne ist, wir können alle dabei zuschauen. Wirklich alle, denn die Inhalte, die funk anbietet, sind garantiert umsonst, und in Zeiten der Monetarisierung des Internets ist dieses Versprechen viel wert. "#Funk  ist wie #YouTube . Nur halt ohne Product Placement", schrieb ein Twitter-User. Aus Youtubern indes rekrutiert sich größtenteils die funk-Truppe. Und natürlich kostet funk, 45 Millionen Euro jährlich, um genau zu sein.

Was kriegen wir dafür? Eine Art Korrektiv. Ein moderiertes, gefiltertes Internet, so scheint es. Dieser Filter öffnet sich zu allen Seiten und bleibt dabei, sorry, ziemlich jugendfrei. Moritz Neumeier  zum Beispiel genießt anstelle in hanseatischer Bauernschläue getränkter Zigaretten neu bei funk jetzt einen Pappbecher Kaffee und erklärt uns mit sauberer Lunge die Welt, sieht dabei aber nicht mehr ganz so lässig aus wie zuvor. Aus Auf eine Zigarette mit Moritz Neumeier  wurde Auf einen Kaffee ... Wirklich gesund ist ein Kaffee to go auch nicht . Aber dafür muss sich Neumeier sein Einkommen wohl nicht mehr durch mühsames Monetizing seiner klugen Beiträge zusammenkratzen.

Funk kauft sich Präsenz ein, was besser funktioniert, als sich Coolness einzukaufen. Präsenz jedoch ist im Internet noch viel wichtiger als jene vermeintliche Tugend No. 1., siehe Sami Slimani. Oder Integrität, siehe Sami Slimani. Möglich, dass funk mit seinen 45 Millionen Euro im Rücken bald all die Beauty-Palaces aus dem Internet schwemmt. Oder dass die nun übernommen werden durch vom Fernsehrat kontrollierte und finanziell sauber unterstützte Menschen wie Serafina , Kristina Weitkamp mit Fickt euch!  (Calm down, ein Aufklärungskanal) oder Mai, "bald Dr. Mai" mit ihrem Science-Vlog Schönschlau . Das Eigenformat-Portfolio  zählt ganze 39 Formate, auf den ersten Blick ist ein jedes vielversprechender als das andere und sympathisch obendrein.

Es gibt außerdem sicher Schlimmeres, als Fargo einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, wenngleich dort weitaus Jugendgefährdenderes geschieht als Rauchen. Aber was oft vergessen wird, funk richtet sich nicht nur an 14-Jährige, offiziell sind auch 29-Jährige (älter aber nicht!) eingeladen, zuzuschauen. Deshalb wurden neben Fargo auch Serien wie Twentysomething lizensiert. Für alle dazwischen finanziert funk frische Web-Serien wie Wishlist, deren zehn Folgen bestenfalls sowas wie das deutsche Nerve werden könnten.

Zugegeben, es gibt viele solcher Bestenfalls bei funk. Tatsache aber ist, dass das alte Internet-Fernsehen bislang recht konkurrenzlos freidrehte und ziemlich ungestört seinem kulturformenden Werk nachging. Funk hat sich im Internet dezentral, krakenartig ausgerichtet. Es ist, bei allem angestrengten Lässigkeits- und Influencer-Drang, ziemlich mächtig, oder könnte es zumindest irgendwann werden. Das liegt vor allem am Geld, das in vielen Ecken des Internets noch immer nicht in Sturzbächen fließt. Man könnte das ja auch mal so rum denken. Als anno dazumal 1984 die frischen Sender RTL und SAT. 1 auf den beschaulichen deutschen Fernsehmarkt drängten, war das genügsame öffentlich-rechtliche Fernsehen mit ARD und ZDF zum Umdenken gezwungen. 32 Jahre später brechen ARD und ZDF mit funk in das eingefahrene Youtube-Fernsehen ein. Es wird spannend sein, zu beobachten, was die Öffentlich-Rechtlichen als Fremdkörper in einem Etabliertenfeld bewirken. Das Privatfernsehen brachte einst die Freizügigkeit. Wird funk das Internet-Fernsehen jetzt moralisieren oder doch von seinem irrationalen Kultursturm überrumpelt? Klar ist, die Balance im Internet hat sich mit funk erheblich verschoben. Da können wir noch so viele Witze reißen.

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