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Früher war alles besser

07.08.2025 - 10:00 UhrVor 4 Tagen aktualisiert
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Filmische Qualitäten im Laufe der kinematografisch-technischen Entwicklung

Nicht nur die Filmtechnik nahm in den letzten 130 Jahren eine Entwicklung, auch die cineastischen Eigenschaften änderten sich in diesem Zeitraum. Ob zu ihrem Vor- oder Nachteil, damit beschäftige ich mich in diesem Blogeintrag.

Basierend auf einer Erfindung des „Kinetoskops“, einem mechanischen Schaukasten, der durch das rasche Abspielen von Bildern eine Illusion der Bewegung schuf, entwickelten die Brüder Lumiere 1894 einen der ersten Filmapparate. Die beiden Industriellen besaßen eine Produktionsstätte für Fotoplatten und waren in diesem Segment experimentierfreudig. 1895 wurde der Öffentlichkeit der Kurzclip „Arbeiter verlassen die Lumiere-Werke“ präsentiert, welcher als der erste Kinofilm der Geschichte gilt.

Die Sensation war damals nicht der Inhalt, sondern vielmehr die Tatsache, dass es überhaupt bewegte Bilder zu sehen gab. Der Clip, der gerade mal 10 Personen vorgeführt wurde, zog lediglich mäßiges öffentliches Interesse nach sich. Trotzdem drehten die beiden Brüder in den nächsten Monaten weitere Clips. Es waren Aufnahmen von gewöhnlichen Dingen, wie Menschen bei der Arbeit oder spielende Tiere. Mit weiteren Aufführungen wuchs auch das Interesse der Öffentlichkeit und bald begann sich das Phänomen der bewegten Bilder herumzusprechen.

Der Durchbruch der bewegten Bilder gelang mit der Aufnahme eines in die Station einfahrenden Zuges. Die Ankunft wurde so gefilmt, dass es aussah, als würde der Zug unmittelbar auf die Kamera (bzw. das Publikum) zufahren. Die Zuseher hatten naturgemäß keinerlei Erfahrung mit bewegten Bildern und dachten, dass gleich ein echter Zug durch die Wand krachen würde. In Panik flüchteten sie aus dem Kaffeehaus, in dem der Film ausgeführt wurde. Über diese massive Reaktion wurde in den Medien breit berichtet und immer mehr Menschen wollten die Sensation der bewegten Bilder sehen. Unter ihnen befand sich auch ein gewisser George Melies, den das neue Medium sehr faszinierte.

Diese Faszination gipfelte in der Gründung einer Filmfirma, mit der er ab 1896 eigene Filme drehte. Melies kam aus der Theaterbranche und lehnte seine Produktionen an kammerspielartige Sketches an. Er gilt somit als der Erfinder des narrativen Films - also Produktionen, die eine kleine Geschichte erzählten. Zudem hatte er in der Vergangenheit auch als Zauberkünstler und Illusionist gearbeitet und ließ seine dabei erworbenen Bühnenerfahrungen in die Filmproduktionen einfließen. Er verwendete die damals innovativen Techniken der Schnitte, Überblendungen, Doppelbelichtungen und die Stop-Motion-Technik, um eigentlich unwirkliche Inhalte und Bilder zu schaffen.

Melies´ Produktionen fanden großen Anklang und verbreiteten sich rasch in ganz Europa. Zudem zogen sie auch Nachahmer nach sich, die eigene Ideen und Techniken in ihre Filme einfließen ließen. Ab 1910 gründeten sich mehrere Filmproduktions-Firmen, die das wirtschaftliche Potential von Filmproduktionen erkannt hatten und die recht teuren Materialien zum Teil großzügig vorfinanzierten. Zudem stellten sie den Verkauf von Filmen auf ein Leihsystem um und konnten somit große Gewinne lukrieren, was zuvor wegen der Schwarzkopierer nicht möglich gewesen war. Die Filmindustrie war geboren.

Die weiteren Quantensprünge in der Kinotechnik war 1929 die Erfindung des Tonfilms durch Walt Disney, die Erfindung des „echten“ Farbfilms 1935 (davor gab es lediglich händisch nachkolorierte Filmrollen oder Zwei- bzw. Dreifarbenfilter, die jedoch nur wenig Anklang fanden) und jene der Film- CGI (Computer Generated Image) 1977. Die ersten wirklich realistischen und durchgängig eingesetzten CGI-Effekte gab es in „Terminator 2“ (1991) und „Jurassic Park“ (1993) zu sehen. Mittlerweile sind die künstlich erzeugten Bilder aus der Filmlandschaft nicht mehr wegzudenken.

Nun stellt sich die Frage, ob auch die inhaltliche Qualität mit den technischen Verbesserungen Schritt halten konnte. Eine Frage, die man auf den ersten Blick eventuell mit „nein“ beantworten würde (soll heißen, dass Filme früher tendenziell besser waren), sie sich nach reiflicher Überlegung jedoch nicht mit einem Satz beantworten lässt. Folgendes ist dabei zu bedenken:

Im Laufe der Jahrzehnte wurden bereits viele Geschichten verfilmt. Etwas bahnbrechend Neues auf die Leinwand zu bringen, ist daher schwer. Meistens handelt es sich um Abwandlungen und Neuinterpretationen bestehender Inhalte, auch wenn es sich den Machern nicht immer bewusst ist. Man könnte sich beispielsweise zu der zugegebenermaßen sehr gewagten Aussage hinreißen lassen, dass es sich bei „Avatar“ (2009) um eine Neuverfilmung der „Reise zum Mond“ (1902) handeln würde, weisen diese beiden Filme doch die gleiche inhaltliche Grundsituation auf (Raumfahrer treffen auf einem fremden Planeten auf dessen Ureinwohner). Möglicherweise hätte George Melies seinen Film in der gleichen Weise wie Cameron bebildert, hätte er dessen Möglichkeiten damals schon gehabt.

Womit wir auch schon bei den Produktionsmethoden sind. Anders als etwa ein George Lucas - um gleich bei der SciFi/Fantasy zu bleiben -, der beim Dreh von „Star Wars“ neben den Darstellern eine Hundertschaft an Maskenbildnern, Kulissenbauern, Kostümschneidern und Special Effects-Spezialisten hinter sich hatte, konnte sich Melies lediglich einem Bruchteil dieses Mitarbeiterstabs bedienen. Zudem waren den technischen Mitteln Grenzen gesetzt, eine Filmrolle fasste 1900 gerade mal maximal 4 Minuten Laufzeit. Dass man da anders drehte, war klar.

Ein weiterer Punkt ist die Finanzierung. Damals wie heute war die (qualitative) Filmproduktion eine teure Angelegenheit. Mittlerweile haben sich jedoch die Absatzmöglichkeiten grundlegend geändert. Heutzutage hat man Streaming, Video, lineares TV und das Kino, um Filme zu sehen. Streaming, Video und lineares TV gab es lange Zeit nicht. Das lineare TV trat etwa in den siebziger Jahren seinen Siegeszug in die Wohnzimmer an, davor gab es lediglich das Kino als Quelle von Filmen. Ich denke, dass die vierziger, fünfziger und sechziger Jahre eine spannende Zeit des Filmemachens war. Da stellte sich für den geneigten Cineasten nicht die Frage, ob man ins Kino geht, sondern welches Kino man besucht. Anstatt sich zu überlegen, welchen Vertriebsweg man nutzt, fragten sich die Produzenten, wie man es schafft, das Publikum in seinen Film und nicht in den der anderen Filmemacher zu bringen.

Genreeinteilungen gab es denke ich schon relativ früh und auch Liebhaber verschiedener Thematiken. Meiner Ansicht nach überlegten sich die Filmemacher also schon in den Anfängen der Filmkunst, für welches Publikum man wie aufwändig drehen müsse, damit sich der Film auch gut verkauft. Ein „Drehen wir mal, dann sehen wir schon, ob sich Publikum dafür findet“ gab es eigentlich in den letzten hundert Jahren schon nicht mehr. Heutzutage werden die Vorab-Kalkulationen mit Statistiken und Publikumsanalysen derart verfeinert, dass man ziemlich genau sagen kann, welche Inhalte an den Kinokassen reüssieren können und was man eher für Nischenpublikum dreht. Das hat zur Folge, dass Produzenten den Kreativen für die jeweiligen Genres derart enge Korsette umhängen, sodass sich diese in weiterer Folge nicht so recht entfalten können. Da schränkt sich die Industrie meiner Ansicht nach selbst ein und hat sich somit selbst ein kreatives Problem geschaffen. Einander stark ähnelnde Filme sind die Folge, die sich inhaltlich wie optisch nur wenig von den jeweils anderen unterscheiden – eben weil man keinem kreativen, sondern einem einheitlichen Erfolgskonzept folgt. Wirkliche Innovation wird in die Independent-Schiene geschoben, weil sich keiner dem Risiko eines finanziellen Bauchflecks aussetzen will.

Was heißt das nun für die cineastischen Qualitäten? Waren die Kreativen früher in ihrem unbeschränkten Einfallreichtum tatsächlich die besseren Filmmacher? Oder haben sie sich zwar mehr ausprobieren können, dabei aber tatsächlich weniger Qualität geliefert?

Ich persönlich denke, dass die Wahrheit wie so oft in der Mitte liegt. Der markanteste Punkt ist meines Erachtens der, dass es viele zweit- und drittklassige Produktionen aus der Vergangenheit gar nicht in Gegenwart geschafft haben. Nehmen wir dazu wieder den oben oft erwähnten George Melies als Beispiel: Sein Schaffen umfasste die rekordverdächtige Anzahl von rund 1500 Filmen, von denen heute noch gerade mal ein paar Dutzend vorhanden sind. Dass selbst ein kreativer Geist wie er ausschließlich Qualität geliefert hat, wage ich mal zu bezweifeln. Es werden auch eine Menge – nun ja, sagen wir mal nicht so tolle Clips dabei gewesen sein. Doch diese kennt man halt nicht, weil sie im Mahlstrom der Zeit verschwunden sind.

Ebenso wird es sich bei den Produktionen von Walt Disney, Charlie Chaplin, Buster Keaton oder Fritz Lang verhalten haben. Nicht alle deren Filme kennt man heute noch, die Jahrzehnte überlebt haben werden gerade mal die Top-Produktionen. Und jene von vielen anderen Machern ebenso, deren Namen man heutzutage nicht mehr kennt, weil sie eben dem Vergessen anheimgefallen sind und Cineasten maximal als One-Hit-Woder begegnen.

Dazu kommen geänderte Sehgewohnheiten und gesellschaftliche Umbrüche. Mir ist aufgefallen, dass die Filme heutzutage eher schneller zum Kern der Sache kommen als beispielsweise jene aus den siebziger Jahren, die durch einen eher behäbigen Handlungsaufbau auffallen. Auch die Geschlechterstereotypen haben sich geändert und natürlich auch die Umgangsformen. Manche Höflichkeitsfloskeln aus den sechziger Jahren erscheinen einem heutigen Menschen geradezu lächerlich, was in einem alten Film auch störend auffallen kann. Von den schnoddrigen Sprüchen der Achtziger mal ganz zu schweigen.

Ich habe mir die Mühe gemacht, meine persönlichen Bewertungen von Filmen mit deren Erscheinungsjahr in Relation zu setzen und da zeigt sich ein leichter, aber stetiger Abwärtstrend. Ausgehend von einer durchschnittlichen 6,05 aus den Jahren 1900-1910 (10 bewertete Filme) hob sich der Schnitt auf 6,27 aus 1911-1920 (9 bewertete Filme), um dann kontinuierlich auf einen 5,16-Schnitt für 2016-2024 (227 bewertete Filme) zu fallen. Besonders schlecht schnitten die sechziger Jahre mit einem Schnitt von 5,24 (103 bewertete Filme) und die frühen Zehnerjahre mit 4,8 (2011-2016, 357 bewertete Filme) ab.

Die Frage nach der besseren filmischen Qualität der früheren Jahre kann ich für mich somit nur bedingt bejahen. Fest steht, dass die Filme früher einfach anders waren. Es gab andere Produktionsbedingungen, andere gesellschaftliche Strukturen (die in Filmen ja abgebildet wurden) und einen anderen Publikumsgeschmack. Manche der heutigen Klassiker waren bei ihrem Erscheinen ja nur wenig erfolgreich und manche der damaligen Kassenschlager kennt man jetzt nicht mehr.

Und wer weiß schon, was sich die Menschen in fünfzig Jahren alles so ansehen werden…

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