Community

"Electric Child" – Zwischen Realität und Virtualität

19.08.2025 - 08:00 UhrVor 1 Monat aktualisiert
0
0
"Electric Child" ist mehr als ein Film – er ist eine visuelle und emotionale Reise. Simon Jaquemet entfaltet ein futuristisches Familiendrama, in dem jede Szene, die innere Welt der Figuren spürbar macht. Eine Geschichte über Liebe, Verlust und die mutigen Entscheidungen, die wir für die Menschen treffen, die uns am wichtigsten sind.

Electric Child ist kein Film, den man einfach ansieht, er ist eine Erfahrung, die unter die Haut geht. Simon Jaquemet verbindet Science-Fiction und Familiendrama zu einem intensiven, visuell atemberaubenden Werk, das Genregrenzen sprengt. In einer internationalen Koproduktion aus der Schweiz, Deutschland, den Niederlanden und den Philippinen erzählt er von einem Vater, der nach einer schockierenden Diagnose seines neugeborenen Kindes zu einer radikalen Entscheidung gezwungen wird. Herausgekommen ist ein mutiger, entschleunigter Film, der sein Publikum einlädt, in eine durchdachte Welt einzutauchen, in der jedes Bild Gewicht und Bedeutung hat.

Schon in den ersten Szenen wird deutlich, dass Jaquemet klassische Erzählmuster meidet. Die Kamera folgt den Figuren dicht, fängt jede Regung ein und baut so intensive Nähe auf, während sich zugleich eine futuristische Welt in klaren, kühlen Bildern entfaltet. Warme, natürliche Farbtöne treffen auf sterile, technisch geprägte Räume, und das Spiel aus Licht und Schatten erzählt still die Stimmung und inneren Konflikte der Figuren. Architektur und Raumgestaltung betonen die emotionale Isolation oder Nähe der Protagonisten, während die sorgfältig gewählte Geräuschkulisse – von dezenten elektronischen Effekten bis zu leisen Naturgeräuschen – das feine Zusammenspiel von Realität und Virtualität fühlbar macht.

Im Zentrum von Electric Child stehen Sonny, ein brillanter Computerwissenschaftler, und seine Partnerin Akiko, die von einem schweren Schicksalsschlag getroffen werden. Während Akiko versucht, im Hier und Jetzt Halt zu finden, flüchtet Sonny in seine bahnbrechende Forschungsarbeit. Das streng überwachte Hightech-Projekt lotet die Grenzen zwischen Realität und Virtualität aus. Der Film stellt die universelle Frage, wie weit Menschen gehen, wenn es um das Leben eines geliebten Menschen geht. Jaquemet verzichtet bewusst auf überflüssige Erklärungen. Er setzt auf Andeutungen, subtile Gesten und Momente des Innehaltens, die sich allmählich zu einem stimmigen Gesamtbild fügen. Das präzise Zusammenspiel von Raum, Licht und Klang erzeugt eine ruhige, fast meditative Atmosphäre. Sie verbindet emotionale Tiefe mit leiser Spannung. Electric Child ist kein typischer Unterhaltungsfilm. Es ist ein Werk, das Geduld belohnt und sein Publikum behutsam aus der Komfortzone holt.

Rila Fukushima überzeugt als Akiko mit einer leisen, nuancierten Darstellung, die Schmerz, Hoffnung und innere Zerrissenheit spürbar werden lässt. Elliott Crosset Hove verkörpert Sonny, ihren Partner, mit zurückhaltender Präsenz – eine kontrollierte Distanz, die der Geschichte zusätzliche Tiefe und Glaubwürdigkeit verleiht. Gemeinsam schaffen sie Momente von großer Intensität, die nicht nur erzählt, sondern erlebt werden. Ihre Chemie wirkt organisch, gerade weil Jaquemet den Figuren Zeit gibt, die feinen zwischenmenschlichen Momente zu entfalten – ein Aspekt, der in klassischeren Erzählstrukturen oft verloren geht.

Aus kritischer Sicht ist Electric Child kein leichter Film: Der entschleunigte Rhythmus, die spärlichen Dialoge und die komplexe Bildsprache können für manche Zuschauer herausfordernd sein. Wer eine klare, linear erzählte Handlung oder actionreiche Szenen erwartet, wird sich möglicherweise schwertun, dem Geschehen zu folgen. Genau hierin liegt seine Stärke: Der Film belohnt Aufmerksamkeit, Geduld und die Bereitschaft, sich auf ein intensives visuelles und emotionales Erlebnis einzulassen. Die Entscheidung, die erzählerische Komplexität nicht zu glätten, verleiht dem Werk Mut und Eigenständigkeit – ein konsequent durchgezogenes Experiment.

Letztlich zeigt Electric Child, wie weit ein Film über die Grenzen klassischer Erzählungen hinausgehen kann. Es ist ein kunstvoll inszeniertes Werk, das Bilder, Emotionen und existenzielle Fragen miteinander verbindet und das Publikum dazu einlädt, sich aktiv mit den Charakteren, ihrer Welt und ihren Entscheidungen auseinanderzusetzen. Wer bereit ist, sich auf dieses langsame, präzise erzählte Werk einzulassen, wird mit einem Kinoerlebnis belohnt, das nicht nur unterhält, sondern lange nachhallt – ein seltenes Beispiel dafür, wie Genregrenzen aufgehoben und erzählerische Regeln mutig neu interpretiert werden können.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare

Aktuelle News