Ein Leben in nur einem Augenblick

14.10.2014 - 12:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Oscar blickt in eine bessere Welt.
Wild Bunch/Capelight/Central
Oscar blickt in eine bessere Welt.
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Gaspar Noé hat mit Enter The Void (mal wieder) polarisiert. Doch trotz allem Unverständnis für seine Kunst steht für mich eins fest: In einem großen Film wartet eine noch größere Szene auf die, die sich auf diesen Wahnsinnstrip einlassen konnten.

Es ist in vielen Kulturen verankert, Zurückgekehrte berichten davon, selbst die verschiedenen Religionen predigen ihre eigene Version dieses seltsamen Phänomens: du stirbst - und genau in diesem Moment läuft dein gesamtes Leben noch einmal vor deinen Augen ab. Alles. Die schönsten Momente, der Schmerz, dein größter Erfolg, die schweren Jahre. Alles. Ein Strom aus Emotion und Farbe,  berauschend und verstörend. Das kann simpel als Nahtod-Erfahrung beschrieben werden. Es kann jedoch genauso in ein festes spirituelles Konstrukt wie das Bardo Thödröl – das tibetische Totenbuch - eingebunden sein. Letzteres hat drei Teile – der letzte, das Sidpa-Bardo, beschreibt die Rekapitulation des persönlichen Karmas und der Taten des Lebens. Und es wurde als faszinierend-hypnotischer Teil eines nicht weniger hypnotischen Meisterwerks auf die Leinwand gebracht.

Du bist Oscar. Du bist gestorben, hast des klare Licht gesehen – you entered the void - und nun erlebst du dein Leben noch einmal. Nicht von Anfang bis Ende in einem, sondern chaotisch und durcheinander. Eben so wie es war.

Da sind Momente der Schönheit - in denen du feiernd im Club standest, euphorisch vom Klang der Musik, alle Sorgen verdrängt. Oder als Kind mit deiner Familie am Strand warst. In einer heilen Welt. Noch. Oder mit deiner Schwester im Park gesessen hast. Von warmem Sonnenlicht geblendet und Pläne schmiedend. Für bessere Zeiten. Um zu Geld zu kommen und all die riesigen Hürden hinter sich zu lassen. Pläne vom Auswandern, weg aus dieser Welt in eine neue, andersartige Version davon. 

Und Momente aus dieser neuen Welt. Surreale Landschaften aus Neonlicht und Farben. Nüchtern und auf Droge, immer ein Rausch, nie der echten Realität auch nur irgendwie ähnelnd. Deiner eigenen jedoch irgendwie schon. Es ist faszinierend und abstoßend zugleich. Ein Spiegel deines Inneren - dem eines Freaks, der sich irgendwie durchs Leben schummelt.

Dann Momente, die kaum zu ertragen sind – Krach, Desorientierung, Blut. Die Schreie und das Schluchzen deiner Schwester bohren sich in dein Mark. Auch die deines früheren Ichs. Den Verlust deiner Liebsten, erlebst du immer wieder, ohne dass du damals auch nur in der Lage warst, zu verstehen, was um dich herum passiert. Oder die schlimmen Folgen abzuschätzen. Heute kennst du sie. Bereust du? Würdest du Dinge anders machen? Gänzlich andere Wege beschreiten?

Deine Erinnerung springt. Vor, zurück und wieder vor. Sie wiederholt sich, lässt aus, doppelt. Jegliche Idealisierung ist Vergangenheit, du bist nun ungefiltert der Beobachter deiner Selbst und starrst dir über die eigene Schulter – der blanken Wahrheit über dein Dasein ins Gesicht. Du erkennst, sträubst dich, aber gehst schließlich in die Knie. Ins Reine kommen – darum geht es. Abschied nehmen von Abschnitten deines Lebens die schon lange zurück liegen, dich aber geprägt und zu dem gemacht haben, was du nun bist. In völliger Ehrlichkeit fragst du dich: „Zu was haben sie mich denn gemacht?“. Und die traurige Antwort lautet: „Zu jemandem, der nun gestorben ist.“

Aber aus dem Schlimmen kann Gutes erwachsen. Du erkennst, wer du warst und beginnst, dich zu lösen. Die Wiedergeburt kann kommen – Out of the Void in ein neues Leben.

Was für eine Filmszene!


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