Ein ganz besonderer Vater der Braut

25.07.2011 - 08:51 Uhr
Aktion Lieblingsfilm: Vater der Braut
Buena Vista/moviepilot
Aktion Lieblingsfilm: Vater der Braut
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Wie viele andere moviepilot User erzählt auch dieser von seinem Lieblingsfilm: Vater der Braut. In einem sehr persönlichen Text beschreibt er, wie sein Lieblingsfilm ihm dabei geholfen hat, den Tod seines eigenen Vaters zu verarbeiten.

Schon lange wollte ich auf Moviepilot eine Kritik zu Vater der Braut verfassen… irgendwas über Steve Martin und daß das sein letzter, halbwegs vernünftiger Film war, bevor er sich ganz den Niederrungen der familienfreundlichen Unterhaltung widmete (um es mal freundlich auszudrücken)… irgendwas über Original und Remake, und warum man letzteres schon durch die Zeitenwende zwangsweise vom ersterem getrennt begutachten sollte, aber… ich habe es nie getan.

Und ich glaube, ich weiß inzwischen auch warum. Zwar wäre das ganze inhaltlich wahrscheinlich ein launiger kleiner Text geworden, aber es wäre auch ein verlogener Text geworden. Und insgeheim hab ich das die ganze Zeit über gewusst.

Filme sind niemals nur Filme, nur Zelluloid und Kinosessel, es sind auch die Orte und Stimmungen, Gerüche und Lebensabschnitte. Dein Lieblingsfilm ist niemals nur neunzig Minuten Frame an Frame – es ist auch der verregnete Nachmittag, die Zeit in der deine erste große Liebe wahlweise den Bach runterging oder ins Leben gerufen wurde, in der du Rechnungen oder Hausaufgaben im Hinterkopf hast oder das noch unbestimmte Kribbeln eines völligen neuen Lebensabschnittes in dir spürst.
Oder ein älteren langsam Verwelken siehst. Und Vater der Braut ist eben nicht nur der letzte, halbwegs vernünftige Film mit Steve Martin für mich.
Nicht einmal annähernd.

Vater der Braut ist Mindelheim für mich. Eine Kreisstadt im Unterallgäu, in der mein Vater seinerzeit geschäftlich zu tun hatte und in der ich ihm in meinen Sommerferien besuchte.
Vater der Braut ist ein abgewetztes rotes Sofa, auf einer Galerie, von der man auf die Holzklapp-Stühle im unteren Kinoraum schauen konnte. Dort, wo der Boden tatsächlich noch aus altem Holzparkett bestand, und die Tapeten direkt aus den Fünfzigern zu stammen schienen.

Vater der Braut ist ein Abend mit einem mittelprächtigen Film, der sich hauptsächlich auf Grund mehrer Kleinigkeiten für immer in mein Bewußtsein gefräst hat. Dass mein Vater zum Beispiel den Autoschlüssel hatte stecken lassen, und mir den Cola-Dosen-Ring-Trick zeigte. Ein Trick mit dem es möglich war, ältere Modelle der Chevrolette Range-Rover-Serie einfach mit dem Verschluß einer Cola-Dose zu öffnen. Man musste sie einfach als Schlüsselersatz einführen, und – katsching – offen war das Teil. Ich weiß noch, das ich ihm versprach, das Niemandem zu erzählen. Sorry Papps, nun ist es draußen. Und ich weiß, das ich ihn hab weinen sehen. Dort im Kinohalbdunkel, ganz gefangen im rührseligen Kitt Hollywoods, rann ihm eine Träne von der Wange. Ein Bild, so klar vor meinen Augen wie der Laptop auf dem ich gerade schreibe.

Vater der Braut ist weiterhin ein Videoabend, weil mein Vater später beschloß, das meine Mutter den Film auch unbedingt einmal sehen müsse. Und da saß der halbwüchsige und rebellische Langhaarige, zwischen seinen Eltern im Familienwohnzimmer, wieder auf einem Sofa, sah den Film zum zweiten von seitdem unzähligen Malen, sah seinen Vater immernoch gerührt und lachend – die Mutter ebenso – und fing langsam und klammheimlich an zu verstehen, dass Kitsch auch nicht mehr ist als eine heimliche Pulle Wodka auf der Schülerdisco. Ein Ventil, ein Ablass, eine Flucht und Notwendigkeit – beizeiten – und richtig gemacht, sogar eine Großleistung. Und seitdem verfolgte mich der Film – wann immer er im TV ausgestrahlt wurde, ich zappte zufällig direkt hinein. Und blieb magnetisch daran hängen.

Denn schon ein paar Jahre später war er nicht mehr nur Mindelheim und der Range Rover meines Vaters – er war die Zeit, in der ich dachte METALLICA seien die größten, in der ich mir die Augen aufgrund einer geplatzen Klassenfahrtliebelei ausgeheult und gedacht hatte, dass diese Sommer und Gefühle für immer anhielten Vater der Braut war der verschmitze Blick in den Rückspiegel, und die Liebe die ich für den naiven Jüngling empfand, der ich einmal war. Und zeitgleich war es plötzlich ein Vorausschauen, ein viel besseres Verstehen für das was meine Eltern einmal in diesem Streifen gesehen haben. Eine Ahnung von Hausratsversicherungen und Todestagen.

Und die Todestage sollten kommen – unausweichlich. Vater der Braut ist der Moment für mich, der mich nach dem unmenschlichen Abtreten meines Vaters am heftigsten erwischte. Monatelang in Schockstarre, irgendwo zwischen am rumwursteln und versuchen einfach weiterzumachen, wie ich da am Frühstück saß, Sonntags mit meiner Freundin, und plötzlich „Mr. Bongs“ über den Bildschirm flimmerte und Hot-Dog-Brötchen-Pakete zerlegte – das war eine Zeitbombe im Kopfformat.

Ein geistiges Daumenkino, das sich in Sekunden zusammenrafferte: Wie ich wieder sechzehn war und in Mindelheim saß, wie ich aufwuchs, mich mal mit meinen Eltern zerstritt, auszog und wieder zusammenraufte, wie ich Menschen verlor und gewann, wie ich im Hospiz stand, die Hand meines weggetretenen Vaters in der Hand. Wo Beerdigung und Beleid und übelste Szenen des Verreckens es nicht schafften meinen überlebensnotwendigen Panzer aus purem „Funktionieren“ zu durchbrechen, langte dem Film eine einzelne Szene. Ich weinte nicht, ich kreischte in Hysterie die angestaute Flut aus Monaten und Monaten aus mir heraus. Bis zu diesem Punkt mochte ich den Film, er hatte meine uneingeschränkte Sympathie. Seit diesem Punkt liebe ich ihn – denn er ist unausweichlich mit meinem Lebenslauf verbunden.

Vater der Braut ist oberflächlich ein Film über das Heiraten, und über Eltern die nicht loslassen wollen – aber er ist für mich auch das aufgemalte Längenmaß an der Wand, an das sich Kinder stellen, um zu sehen wie ihr Wachstum voranschreitet. Er ist mein Erwachen, meine „Sturm und Drang“-Zeit, und jetzt – da ich selbst bald heiraten werde – sogar ein Gegenwartskommentar. Er war anscheinend immer da. Besser als jeder Friedhof und jeder Grabstein es könnte, ist Vater der Braut ein Besuch und Gedenken an meinen Vater. Und meine Jugend. Sie mögen beide von der Oberfläche dieser Welt verschwunden sein – doch ich kann sie jederzeit wieder besuchen. Durch einen einfachen Griff ins Filmregal.

Ich wüsste nicht, was ein Lieblingsfilm mehr leisten könnte.


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