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Dmitrij - ein junger Mann der großen Worte, mein Freund und zwei Dosen Cola

10.10.2016 - 17:08 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Unvergessen - BigDi
Dmitrij Panov
Unvergessen - BigDi
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Was soll man sagen, wenn ein Freund mit gerade einmal 25 Jahren stirbt?

Das letzte Mal traf ich ihn genau fünf Monate bevor der letzte Vorhang für ihn fiel.
Zu dem Zeitpunkt waren wir schon ungefähr fünf Jahre befreundet, all das nahm bei moviepilot seinen Anfang. Geschmackliche Überschneidungen. Beide frühe mp Prominenz, sage ich mal ganz unbescheiden. Er allerdings berühmter als ich. Sage ich etwas bescheidener.

Als ich in den sonnigen Mittagsstunden des achten Mai vor dem Marburger Klinikum vom Motorrad stieg und beim Anblick dieser Gebäudemassen recht sicher war, lange suchen zu müssen, hatte ich schon zwei Nachrichten von ihm. Die erste beinhaltete eine Wegbeschreibung zu seinem Zimmer. Die zweite war das Angebot, dass ich sein Mittagessen haben könnte, er wolle lieber auf die kulinarischen Mitbringsel von zuhause warten.
Dann saßen wir auf seinem Zimmer. Unverbaubarer Blick auf eine weitere bunkerartige Häuserfront. Es gibt eine flapsige Bemerkung über das Spiel "Fallout", während ich mir die Scheibe Schweinebraten genehmige, zu der er mich, ganz vollkommener Gastgeber, überredet hatte.
Anschließend gibt es kaum genug Worte für die Themen, die wir anschneiden. Meine Anreise (gut und zügig), unsere etwas gegenläufigen Meinungen über Nolans Filme (er eher pro), den letzten geschauten Kinofilm (Hail, César), meine buchmäßige Neuerwerbung (Ken Adams "Bigger than life") und natürlich die Frage, ob mir sein Essen geschmeckt hat.
Es ist so unkompliziert, so charmant sarkastisch und so "bigger than life", dass ich ganz ignoriere (oder vergesse?), warum ich eigentlich hier bin.
Es ist ein letztes kleines Hurra mit einem Freund, der mir in atemberaubender Geschwindigkeit ans Herz gewachsen war, obwohl ich ihn zuletzt über vier Jahre zuvor gesehen hatte.
Ein Treffen von moviepilot-Mitgliedern, ein Haufen Kultfiguren dieser community (in aller Bescheidenheit) in Düsseldorf. Ein Irish Pub, eine Karaokeshow, in der er, klein und grazil und aufgedreht, einfach eine Rampensau, eine Version von "Ra Ra Rasputin" hinlegte, die problemlos den Teppich für ein Comeback für Boney M ausgerollt hätte.
Irgendwann ist der Abend vorbei, aber am nächsten Morgen vereinbaren wir, dass ich ihn auf meinem Heimweg auflese, damit er nicht auf die Bahn angewiesen ist und sein karges Studentenbrot nicht für verspätete Züge opfern muss.
Wir bleiben noch ein wenig bei seiner Gastgeberin, ebenfalls Mitglied, schauen einen Adam Sandler Film in der Glotze, philosophieren in der Gruppe, werden mit Garnelenspießen verköstigt.
Von diesem Nachmittag gibt es ein Foto von ihm und mir auf dem Sofa. Ich habe es noch irgendwo gespeichert. Ich trage ein T-Shirt mit einer Szene aus "Taxi Driver", das Motiv ist mittlerweile verblasst. Dieser Augenblick nicht.

Erst mit Einbruch der Dunkelheit machen wir uns auf den Weg.
Dieser Weg, diese zwei Stunden Autobahn sind der eigentliche diamantharte Kern unserer Freundschaft. Eine zaghafte Frage über seinen Gesundheitszustand (alles wieder gut) läutet ihn ein, ein bisschen über Musik, schließlich hatten wir keine 24 Stunden zuvor jeweils einen Karaokestunt hingelegt und dann kommen wir irgendwie auf die großen Klassiker der Computerspielewelt.
Uns trennen fast zehn Jahre und doch finden wir einige spektakuläre Gemeinsamkeiten. Ein Wort gibt das andere und plötzlich ist der kleine Umweg eben nicht mehr bloß ein Gefallen, den man einem netten Kerl tut, sondern eine Art Offenbarung. Ein Highlight in einem noch sehr jungen, aber an Eindrücken reichen 2012.
Eine Fahrt, von der man sich wünscht, sie möge nicht schon nach zwei Stunden Autobahn enden, sondern bei einem vollgetankten Diesel bis zum Aufleuchten des kleinen gelben Symbols andauern, mindestens.
Zum Abschied überlasse ich ihm einen Donut und eine Dose Dr Pepper Cola aus meinem kleinen Vorrat im Auto, damit der Student nicht hungrig ins Bett muss. Wir beide lachen. Kurz diskutieren wir über das Spritgeld, das er mir aufnötigen möchte. Schließlich handle ich ihn auf fünf Euro runter und er verspricht, dass er sich revanchieren werde.
Der Rest war dann glücklicherweise nicht Schweigen, sondern mal regelmäßige, mal sporadische Kommunikation auf der virtuellen Autobahn.
Ich verfolgte seine Theaterauftritte und nahm mir immer wieder vor, doch mal hinzufahren und schob es immer wieder auf.
Wenn wir schrieben, dann war das immer irgendwie nahtlos. Wir hatten immer ein Thema, stets was zu lachen, manchmal was zu lästern.
Jahre schleppten sich ineinander und mit absoluter Sicherheit hat er das Leben anderer Menschen sogar noch mehr bereichert als meines, sei es aufgrund der Nähe, der größeren gemeinsamen Vergangenheit oder aus welchen Gründen auch immer. Ich war und bin einfach froh, dass der Kontakt nie ganz abbrach und dass er sich immer treu blieb. Unabhängig von der Rückkehr des Krebs. Nicht einmal das machte ihn zum schweigsamen Eremiten.
Immer konnte er demonstrieren, wie groß das Leben ist. Dass es mehr ist als die vermeintlichen großen Dinge, die sich letztendlich nur als Kleinigkeiten entlarven. Man misst diesen Dingen, egal, wie wichtig sie erscheinen mögen, so unsagbar viel Bedeutung bei und blasen sie zu einer Größe auf, die uns die Luft nimmt. Stress im Job, mit dem Auto geblitzt zu werden, ein verregneter Sommer, Liebeskummer, ein schlechter Film im Kino, plärrende Kinder im feinen Restaurant, der tägliche Wahnsinn, in welchem wir weiter funktionieren wollen und sollen.
Dank ihm erkenne ich einmal mehr, wieviel größer man diese Dinge gemeinhin macht, wieviel Macht man ihnen über das eigene Glück gibt.
Und mit all dem im Kopf saß ich einem todkranken jungen Mann gegenüber und der ist einfach gut drauf. Gibt´s das? Freut sich auf sein Essen, darüber, dass heute die Sonne scheint und darüber, dass ich ihn besuche.
Diese Freude steckt an. Sie steckt an wie jede Freude ansteckte, der er Ausdruck verlieh.
Ein Film, ein Stück, ein Moment, ein Spiel.


Wenn er etwas in Worte fasste, erfasste mich oft so etwas wie wohlwollender Neid, und ich bin durchaus stolz auf meine Rhetorik. Wer ihn jemals gelesen hat, in welchem Rahmen auch immer, wird wissen, wovon ich rede. Auch bei moviepilot zeugen zahlreiche Meriten von diesen Fähigkeiten.

Das Wort Selbstdarsteller hat meist eine negative Konnotation. Das ist eigentlich schade. Denn, wenn jemand weiß, wer er ist und sich so präsentieren kann, dann ist das im Grunde ein Zeichen von Stärke und Persönlichkeit. Heutzutage nutzt man dieses Wort aber eher für Leute, die sich in erster Linie gern selbst reden hören.

Dmitrij war ein Selbstdarsteller im positiven Sinn. Er hatte was zu sagen, er wusste, wie man etwas sagte, damit ihm das Publikum folgte. Es machte Spaß, ihm zu lauschen. Und es machte ihm Spaß, diesen "Fame" einzukassieren, er hat und hatte ihn schließlich zweifellos verdient.
Schon damit hat er den meisten Zeitgenossen elementar etwas voraus. Im Diesseits und im angeblich besseren Jenseits.
Wie schon beim Karaoke damals ist er auch in der virtuellen Welt gewissermaßen eine Rampensau. Jemand, der zurecht im Mittelpunkt steht und der es drauf hat, sich genau dorthin zu rücken.
Es kann unmöglich Zufall sein, dass er an einem Wochenende abtritt.
Jemand wie er stirbt nicht Dienstagmittag. Das wäre einfach nicht angemessen gewesen. Ganz angemessen wäre, er wäre noch hier. Aber das ging leider nicht mehr. Und so trat er von der Bühne der Tatsachen ab und nahtlos auf die Bühne unserer Erinnerung, von wo aus er unser Leben immer noch ein bisschen bunter macht.
Und obwohl ich naiverweise glaubte oder hoffte, dass es leichter werden würde, wenn man viel Zeit hat, sich mit dem Unvermeidlichen "anzufreunden, ertappe ich mich bei dem egoistischen Gedanken, dass es vielleicht nicht so schmerzhaft wäre, wenn ich diesen Kerl nicht so verflucht gern gehabt hätte. Aber auch das geht nicht. Nach meinem Dafürhalten ist es schwer bis unmöglich, ihn nicht zu mögen. Ob man ihm nun näherstand als ich oder ihn auch weniger gut kannte.

Seine unaufdringliche Präsenz, seine charmante Selbstdarstellung, einfach alles. Ein bisschen ist er für mich eine Art Maskottchen, das mich an das Gute im Leben erinnert. Daran erinnert, dass das Leben groß ist und die vermeintlichen Probleme sehr klein im Vergleich damit. Und auch, wenn ich ihm schwerlich die Art und Weise, die Konsequenz, verzeihen kann, mit der er eben das demonstriert, weiß ich doch, dass es auch nicht seine Wahl war. Dass er gerne noch ein bisschen länger gesungen und gespielt hätte. Dass wir vielleicht noch einmal gemeinsam im Auto durch die Nacht hätten rauschen können.
Dass es noch viele Stücke gab, die er hätte bereichern können, noch viele Filme, die er hätte sehen sollen.

Aber so groß das Leben auch ist, oder sein mag, so wenig gerecht ist es. Er hat mehr viel mehr davon verdient und wir, seine Freunde, haben diesen Verlust nicht verdient. Und doch...
Jetzt ist er gestorben. Mit Swag versteht sich. Er konnte nicht ohne. Wahrscheinlich nicht mal, wenn er gewollt hätte.
Jetzt bleibt nicht viel mehr als die Hoffnung, dass das was er mir gegeben hat lange anhält. Dass es jedem so geht, dessen Dasein er bereichert hat.
Dass die Bühne in meinem Kopf ihm lange gewogen sein möge. Dass ich, obwohl das Vergessen so menschlich ist, lange davon zehre, dass jemand wie er, dieses kleine unterhaltsame Genie, mir in recht kurzer Zeit sehr viel mit auf den Weg gegeben hat.
Klar hätte ich gern noch mehr von ihm gehabt, aber das ändere ich nicht mehr, das ändert niemand mehr.
Ich fühle mich leer und doch so grenzenlos angefüllt mit Gedanken und Emotionen. Dankbarkeit, Trauer, ein bisschen Wut und tolle Erinnerungen streiten miteinander um die Vorherrschaft in meinem Kopf.
Irgendwann gewinnen die tollen Erinnerungen, selbst wenn sie dann einen bittersüßen Beigeschmack haben. Aber sie gewinnen. Sie gewinnen immer. Vorausgesetzt, es sind wirklich tolle Erinnerungen. Und davon hat er mühelos massenhaft generiert.

Als ich an diesem achten Mai wieder aufbreche; seine Verwandten sind mit seinem Essen angekommen, wir stellen einander vor, sie wissen, was ich denke und ich glaube zu wissen, was sie denken; habe ich den Schweinebraten längst verdaut, wir haben uns großartig unterhalten. Es war, als gäbe es nichts Schlechtes auf der Welt.
Ich lasse den Blick nochmals durch "sein" Zimmer wandern. Auf dem Tisch steht eine Flasche Wasser, dazu Saft und Tee.
Meinem Rucksack entnehme ich eine Dose Dr Pepper Cola. Er freut sich. "Schon ewig keine mehr getrunken". Die Verabschiedung ausgenommen sind das die letzten Worte die ich von ihm hören sollte. Alles andere lese ich nun nur noch.


Als alles vorbei ist, ist die Sache mit der Cola natürlich nicht meine erste Erinnerung. Ich lese davon, als ich nach einem Fußballspiel in die Umkleidekabine komme und auf mein Telefon schaue. Irgendwie ist das typisch. Sogar Fußball lässt er blass aussehen. Nur für den Fame.
Sein letzter, diktierter, Post ist:

" Lebt wohl, meine Freunde, war schön mit euch.
Leb wohl, Welt, du warst die tollste, in der ich hätte sein können.
Leb wohl, Leben, ich hätte kein besseres haben können. "

Die Cola fällt mir erst ein, als ich zwei Nächte darauf nicht einschlafen kann oder will und zu faul bin, mir einen Kaffee zu machen.
Er revanchiert sich für die Fahrt vier Jahre zuvor mit einem gratis Mittagessen und ich lasse ihm eine Cola zur Verdauung seiner Mahlzeit da. Ein bisschen zum Schmunzeln ist das schon und ich weiß, dass ich irgendwann auch über all das schmunzeln kann. Ich denke an eine Zeile aus einem Spencer/Hill Film "Was tut man nicht alles für seine Freunde - meistens zuwenig".

Ich bilde mir einfach ein, so unsinnig das sein mag, dass es irgendwann eine dritte Dose Dr Pepper Cola geben wird. Das ist vielleicht nicht viel. Aber jetzt gerade tut es gut.


Danke für alles, Dimi.

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