Dieser Jan Böhmermann verdient unser Vertrauen

26.12.2015 - 09:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Jan Böhmermann
ZDFneo
Jan Böhmermann
73
27
Es gibt viele Gründe, Jan Böhmermann nicht lustig zu finden, schreibt Die Zeit im Jahr 2015. Jan Böhmermann selbst hält sich indes für einen Star, da seine Show mittlerweile mehr Zuschauer hat als Mitarbeiter. Dieses Doppelspiel mit der Ironie ist hinreißend vertrackt. Böhmermann aber weiß ziemlich genau, was er tut. Schenken wir ihm doch für einen Moment unsere Aufmerksamkeit.

Wie so viele Late Night-Gestirne des amerikanischen Fernsehens, hat Jan Böhmermann es gelernt, Moderationen mit Grimassen zu interpunktieren. Oft ist allein sein Grinsen - spitzbübisch, ausdruckslos, unschuldig - einziger Geleitschutz einer schlaffen Pointe, die sich dann doch witzig anfühlt. In seiner Show, dem Neo Magazin Royale, lacht Jan Böhmermann natürlich nicht, wenn er etwas witzig findet. Dann grinst er höchstens. Von Herzen lachen hören wir ihn nur in seiner Radio-Show Sanft & Sorgfältig, wenn Olli Schulz wieder eine besonders verrückte Anekdote zum Besten oder einen besonders schweinischen Kommentar abgibt. Dann wird Böhmermann von der Heftigkeit seines Lachens vom Mikro wegkatapultiert, und der Ausbruch unkontrollierter Heiterkeit hallt leiser werdend durch einen fernen unbekannten Raum, in dem ein einsamer Jan Böhmermann seine klugen oder urkomischen Gedanken zu Olli Schulz und einer treuen Hörerschaft über den Äther schickt. Grinsen und Lachen könnten bei Jan Böhmermann nicht weiter voneinander entfernt liegen.

Endlich ein Superstar!

Es lässt sich mittlerweile erahnen. Dies ist ein weiterer Versuch, sich Jan Böhmermann zu nähern, den - ohne Übertreibung - aktuell reflektiertesten Fernsehmacher im deutschen TV. Derzeit ist Böhmermann bemüht, einem ihm gewidmeten Hype seiner zerstörerischen Wirkung halber zu enteilen. Und es gehört zum Schlachtplan Jan Böhmermanns gegen den zerstörerischen Hype, in den Wochen nach dem Einschlag von Ich Hab Polizei  möglichst oft zu betonen, jetzt ein Prominenter zu sein. Allein der zwischenzeitlich 5 Millionen Aufrufe wegen, die sein Video bei Youtube ergatterte. Wenn er selber von sich sagt, es jetzt aber endlich geschafft zu haben in den Harald Schmidt/Thomas Gottschalk-Zirkel der Fernsehprominenz, dann stibitzt er dieses simple Fazit den vielen Schreibern sensibler Böhmermann-Artikel unter der Nase weg, die etwas abhaben wollen von den 5 Millionen Klicks. Die müssen sich dann eben mehr Gedanken machen oder es einfach sein lassen.

Wir hingegen versuchen uns hier mal an einer verkürzten Genealogie.

Heute krönt sich Jan Böhmermann mit einer Prominenten-Haube. Vor wenigen Jahren noch, seine Talkshow Roche & Böhmermann war nur wenige Sendungen alt, versicherte er dem Studio-Publikum, diese Show sei die einzige im deutschen Fernsehen, die von mehr Menschen gemacht, als geguckt wird. Beides trieft vor Ironie. Aber beide Feststellungen stimmen im Kern. Die ersten Roche & Böhmermann-Episoden wollte kaum jemand sehen und heute ist Böhmermann bekannter denn je. Allerdings berücksichtigen beide Bemerkungen die Möglichkeit des unmittelbaren Abstiegs nach einer kurzen Erfolgs-Sequenz, die bei Roche & Böhmermann schlichtweg darin bestand, überhaupt eine eigene Fernsehshow zu moderieren und zu choreografieren – nicht bei RTL, VVA oder MTV, sondern im kleinen, feinen ZDFkultur, was für den Polizistensohn aus einfachen Verhältnissen bereits ein großer Wurf gewesen sein muss.

Ein Feuilleton-Zögling

Die buttrigen Krönungen gehen weiter. Royale heißt das Neo Magazin heute. Mehr Ironie geht ja eigentlich nicht, und die, das liegt ihr inne, nimmt das Scheitern vorweg. Böhmermann kokettiert mit dem Scheitern im gegenwärtigen Moment des größten Erfolges und der größten Popularität, dem er jetzt zu entrinnen versucht. Denn in der Tat, Jan Böhmermann und seine Show sind populär, Mainstream, also das, was ihnen, wenn es nach Böhmermann gegangen wäre, nie zugestoßen wäre. Dem voran ging eine geradlinige Feuilleton-Karriere. Geniale Aufsteiger, wie Böhmermann vor ein paar Jahren noch einer war, werden von der Kulturkritik meist kritiklos gewürdigt und nach oben gepusht. Aufsteiger bergen für den Feuilletonisten den Charme einer exklusiven Entdeckung: Für ihn ist sein Fund perfekt. Roche & Böhmermann war 2012 in vielen Artikeln das Beste , was dem deutschen Fernsehen passieren konnte.

Nun wurde noch nie so viel über Jan Böhmermann geschrieben, wie in den letzen Monaten. Gar die New York Times veröffentlichte ein Porträt . Beispielhaft für die Abwehrreflexe des Feuilletons gegenüber dem Mainstream artikulierte sich darauf kürzlich der Zeit-Autor David Hugendick, als er Böhmermann in einem Denkstück  vor seltsamen Beißattacken aus der HipHop-Ecke verteidigte, seinen Text aber mit dieser spitzzüngigen, beinahe beiläufigen Bemerkung einleitete: „Es gibt viele Gründe, Jan Böhmermann nicht lustig zu finden. Und es gibt viele Gründe, auch sein neues Rap-Video Ich hab Polizei mittellustig bis überhaupt nicht lustig zu finden, stattdessen aber pennälerhaft oder einfach albern.“ Natürlich hat Böhmermann Witzigeres  gemacht. Dies jedoch war das erste Mal, dass Jan Böhmermann in einem Text aus dem Mainstream-Feuilleton kritisiert, oder besser, nicht gehuldigt wurde – und das auf dem Gipfel seiner Popularität. Das ist furchtbar reaktionär vom Autor und eitel überdies, obgleich notwendig. Denn es ist auch die Aufgabe der Kulturkritik, Superlative zu unterdrücken oder ein angemessenes Vokabular an dieser statt zu nutzen, also die Mäßigung zu wahren. Böhmermann müsste das ganz gut in den Kram passen. Er wird furchtbar ernst genommen mittlerweile, respektiert, aber auch abgefangen vor der Hybris. Dennoch: Der einst unbeirrte Kritiker-Konsens rund um das Neo Magazin Royale wird porös.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News