Die Welt im Wandel, ein Junge auf der Suche

29.08.2015 - 09:00 Uhr
Spiel mir das Lied vom Tod
Paramount Pictures
Spiel mir das Lied vom Tod
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Aktion Lieblingsfilm 2015

Spiel mir das Lied vom Tod" ist nicht nur ein anerkannt überragender Western-Klassiker, er ist auch ein prägender Film meiner Jugendzeit.

Vielleicht mit 15 Jahren habe ich „Once Upon a Time in the West“ das erste Mal im Kino gesehen. Danach, und ich weiß es noch wie heute, war ich aufgewühlt wie sonst nie zuvor. Davor waren meine ersten Kino-Erlebnisse die Winnetou-Filme. Aber was war das jetzt? Keine eindeutig auszumachenden Guten und Bösen, keine Schwarz-Weiß-Malerei, nicht die immer gleiche Story. Ich war geflasht, wie man heute sagen würde. Wahrlich, der Blitz hatte mich getroffen, so dass ich als schmalbrüstiger 15-Jähriger mit breiten Bronson-Schultern aus dem Kino kam und jeden Laternenpfahl umknicken wollte. Immer und immer wieder ging ich ins Kino und wusste doch nicht, warum dieser Film so tief in mir etwas berührte. Heute habe ich es herausbekommen.

Natürlich war mir auch damals schon bewusst, dass die geschickte Story-Line von Leone, dass die grandiosen Schauspielerleistungen von Fonda über Robards, Cardinale bis zu Bronson, dass der unvergessliche Score von Morricone tief aufwühlten. Aber unterschwellig, unbewusst wurde noch eine andere Message vermittelt:

Die Welt im Wandel: Nichts hier im Film ist, wie es war, alles ändert sich: Die Eisenbahn revolutioniert den amerikanischen Kontinent kolossal zwischen Atlantik und Pazifik. Aufrechte Sheriffs spielen eine Nebenrolle, skrupellose Eisenbahnbarone übernehmen die Herrschaft des Westens. Geld und Gier, wie Morton es praktiziert, sind die neuen Waffen. Franks Gewalt und Tod gehören zum auslaufenden Modell. Cheyennes Hin-und-her-gerissen-Sein changiert zwischen Banditen-Attitüde und fataler Gutherzigkeit („Ich kann doch nicht auf einen Krüppel schießen.“). Der unnahbare Wandel Harmonicas zwischen gestern, heute und morgen macht ihn zum namen- und zeitlosen Rächer. Und dann natürlich Jill, eine Frau zwischen Heiliger und Hure, bei der man als Junge gar nicht weiß, welchen einzuschlagenden Weg man sich bei ihr wünscht. Nirgendwo ist Vertrauen, Gewissheit, Verlässlichkeit und trotzdem sind all diese Ambivalenzen grandios.

Ein Junge auf der Suche: Spiegelte der Film nicht genau meine Verfassung wider? Ist die Gemütslage pubertierender Jugendlicher zu jeder Zeit nicht die gleiche? Alles ist im Fluss. Die Vergangenheit, die Kindheit ist vorüber, die Zukunft, das Erwachsen-Sein noch längst nicht erreicht. Überall hängt man zwischen den Seilen. Ich erinnere mich gut an die Fünf in Englisch und die Sechs in Latein. Wird das Schuljahr geschafft? Das erste Bier, der erste Schnaps, die erste Zigarette, alles wurde ausprobiert und nichts schmeckte richtig. Das erste Kribbeln im Bauch, der erste Kuss, der erste Busen, ich war so unbeholfen und alles war verlockend schön. Im Nachhinein waren diese Jahre eine wunderbare Zeit, wirkten seinerzeit aber voller Zwang und Unsicherheit. Ich war auf der Suche und kannte weder Weg noch Ziel.

„Spiel mir das Lied vom Tod“ hat genau diesen Nerv getroffen. Ich konsumierte den Film noch und nöcher und merkte gar nicht, dass er mein Seelenleben tröstete. Abrupt endete dann diese Periode als ich ernsthaft um eine erste Freundin warb und ihr signalisierte, dass ich auf sie warten würde. Das Mädel kannte den Film auch und antwortete: „Irgendeiner wartet immer!“ Ich bin dann doch für lange Zeit ihr „Sweetwater“ geworden. Die Eisenbahn hatte den Pazifik erreicht, Harmonica hatte seine Rache bekommen und Jill kochte jetzt endgültig guten Kaffee. Ich war in einem sicheren Hafen gelandet.


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Dieser Community-Blog ist im Rahmen der Aktion Lieblingsfilm 2015 entstanden. Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Medienpartnern und Sponsoren für diese Preise:


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