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Die Schönheit durch Bach

01.07.2016 - 12:54 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
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Medula Films
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Wo läßt sich Schönheit entdecken? Im Grunde überall. Auch wenn in "Die Stille vor Bach" der Hauptfokus auf die Musik, die Johann Sebastian Bach schuf, liegt, so zeigt dieses vielschichtige Filmwerk Parallelen zu vielen Bereichen des Lebens und der Kunst auf. Und schafft damit selbst ein Stück purer Schönheit!

Die Stille vor Bach ist ein wundervoller, abwechslungsreicher Film. Er stammt vom Spanier Pere Portabella, entstand im Jahre 2007 und wurde erstmals bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig präsentiert. Der Film ist viel mehr als "nur" ein Musikfilm über Johann Sebastian Bach. Mehr als ein Dokumentarfilm über den berühmten Komponisten. Und sogar viel mehr als eine Liebeserklärung an Bach. Er ist ein Film über Ausgewogenheit und Schönheit.

Der Film setzt sich aus verschiedenen Sequenzen zusammen, die unterschiedliche Funktionen besitzen. Manchmal sogar mehr als eine gleichzeitig! Der Film thematisiert zunächst einmal Bachs unbestreitbaren Einfluß auf die Musik und die Gesellschaft im allgemeinen, zeigt aber auch Parallelen zu anderen Künsten auf. Dazu nutze Portabella eine handvoll kleiner "Geschichten", um dies zu veranschaulichen. Sie liefern mal vordergründlich, dann wieder auch fast nebenbei Informationen über das Leben, den Werdegang oder den späteren Einfluß Bachs. Gleichzeitig transportieren sie aber viel mehr als dies.

Ein Beispiel. Eine Sequenz auf einem Markt zeigt dem Zuschauer eine Szene mit einem Metzger und einem Diener. Der Fleischhändler spricht über die perfekte Zubereitungsart seiner Produkte. Die dort beschriebene Vorgehensweise beim Kochen läßt sich offensichtlich mit der Heransgehensweise an das Spielen von Musik vergleichen. Es geht um Variationen und Eigeninterpretationen, aber immer auch um das perfekt ausgewogene Gleichgewicht der Zutaten und die Liebe zur Tätigkeit. Doch diese Sequenz beinhaltet noch viel mehr. Die Verbindung zu Bach ist zunächst nicht ersichtlich. Erst in der anschließenden Szene wird klar, dass diese Marktgeschichte auch verwendet wurde, um zu erzählen wie Bachs Musik fast zufällig größere Verbreitung fand. Denn zunächst wurde diese fast überhaupt nicht vervielfältigt oder gar in die Welt getragen. Eine weitreichende Anerkennung oder gar ein previligiertes Leben wurde ihm zeitlebens nicht zuteil. Erst etwa 50 Jahre später zur Zeit Felix Mendelsohn Bartholdys, und damit bereits nach Bachs Tod, entdeckte ein Bediensteter Meldelsohns, dass der Fleischer seine Wahre in eine Seite der Partitur der Matthäus-Passion eingewickelt hat, die daraufhin wieder aufgeführt wurde und Bachs Musik erst so wirklich an Popularität gewinnen ließ. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Bach-Renaissance, die eine Vielzahl an Musiker sehr stark beinflusste.

Beispiele dieser "doppelt-funktionalen" Sequenzen gibt es mehrere. Andere Vergleiche im Film beziehen sich auf den menschlichen Körper (insbesonderem dem weiblichen) oder dem Pferdesport. Es geht dabei immer um Eleganz, die richtige Balance, die nötigen Ruhe und natürlich Schönheit. Spanische LKW-Fahrer, Leipziger Stadtführer im Bach-Kostüm oder realexzistierende Musiker gewähren dem Zuschauer auf verschiedenen Wegen Einblicke in die unterschiedlichen Thematiken. Außerdem diskutiert Die Stille vor Bach selbstverständlich auch die Religiösität in Bachs Schaffen. Doch es gibt auch Momente, in denen Bachs wunderschöne Kompositionen im Vordergrundstehen.

Der Film bewegt sich ständig zwischen den unterschiedlichen (fiktionalen, essayistischen und dokumentarischen) Erzählweisen hin und her - ohne ein erzählerisches Zentrum zu besitzen. Die Sequenzen sind vielmehr ein Geflecht, dass um Bach herum gewoben wurde. Doch der Film geht sogar über die Biographie Bachs hinaus und untersucht dessen Einfluß auf mehrere gesellschaftliche Bereiche bis zum heutigen Tage. Im Grunde gelang ihm sogar die Variation auf das Kino zu übertragen, da er für seinen Film zwar den Fixpunkt Bach wählt, aber sogar auf den späteren Holocaust durch die Nazis verweist, in deren Vernichtungslagern inbesondere christlich-religiöse Musik wie der Bachs missbraucht wurde. In diesem Kontext entstand übrigens das markante Bild des scheinbar aus dem Nichts stürzenden Pianos, das auf der Wasseroberfläche zerschellt (siehe nächste Abbildung).

Portabella versuchte in Die Stille vor Bach neben der Variation ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den verschiedenen Sequenzen und Themen zu erzielen, ähnlich wie es Bach in seiner Musik gelang. Abwechslungsreichtum und ein Selbstbewußtsein gegenüber dem verwendeten Tempo stehen ganz oben. Und nicht zuletzt - und das sollte an dieser Stelle niemals vergessen werden - untersucht der Film das Verhältnis zwischen Bachscher Musik sowie der cinematographischen Kunstform und schafft damit selbst pure Schönheit. Es lassen sich wunderbare Bilder entdecken, die für sich allein schon einfach schön sind. Die Stille vor Bach ist ein Genuss!

Noch ein paar Wörter zum Regisseur

Der Regisseur von Die Stille vor Bach ist genauso wie dessen Filme äußerst interessant. Der Spanier Pere Portabella produziert seit 1960 Filme, wie beispielsweise Luis Buñuels Viridiana (1961) oder Werke von Carlos Saura, Marco Ferreri oder Francesco Rosi. Seine erste eigene Regiearbeit lieferte er 1968 mit Nocturno 29 ab. Portabella versuchte stets eine andere Form von Filmkunst zu erschaffen. Es ging ihm nie um Unterhaltung oder gar um Erfolg. In seinen experimentellen Lang- und Kurzfilmen vermischte er immer wieder dokumentarische Ansätze mit fiktiven oder nachgestellten Szenen. Mal sind die Filme poetisch gehalten, dann wieder haben sie einen gesellschaftlichen Hintergrund. Der Fakt, dass er alle seine Filme mittels seiner eigenen Produktionsfirma (Films 59) herausbringen konnte, ließ Portabella stets die Freiheit, so nichtkommerziell wie gewünscht sowie so politisch und künstlerisch unabhängig wie nötig arbeiten zu können.

Portabella war auch politisch aktiv. So war er von 1977 bis 1988 Abgeordneter im katalanischen Parlament und wurde nach Francos Tod zu einem Senator in Spaniens ersten demokratischen Wahlen ernannt. Unter anderem arbeitete am Schreiben der Spanischen Verfassung mit.

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Diesen Monat geht es bei Blog Me If You Can um Schönheit: Ästhetik im Film, die wahre Schönheit, Schönheitsideale, Schönheit als Fluch,- wie wichtig ist die Optik im Film?

Alle weiteren Texte zum Thema "Schönheit" findet ihr hier:

pleasant28: "Die Ästhetik der Echtheit"

*frenzy_punk<3: "Du bist schön..."


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