Die Münchner imponieren in Tatort - Am Ende des Flurs

04.05.2014 - 20:15 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Tatort - Am Ende des Flurs
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Tatort - Am Ende des Flurs
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Wenn Tatort-Kommissare privat in einen Fall involviert sind, wirkt das oft konstruiert, wenn nicht soapig. In Tatort – Am Ende des Flurs aber schärft Leitmayrs Beziehung zu einer Toten unsere Perspektive auf eine schwer fassbare Projektionsfläche in Menschengestalt.

Als wären lauter neue Kollegen und die gefährdete Karriere von Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) nicht genug der Aufregung, endet Tatort: Am Ende des Flurs auch noch mit einem Cliffhanger. Der wird natürlich hier nicht verraten. Dazu arbeiten Max Färberböck (Aimée & Jaguar) und Co-Autorin Catharina Schuchmann (September) ihn viel zu fies und stimmig heraus. Aber warum über die letzten Sekunden reden, wenn die 89 Minuten davor doch reichlich Grund zur Diskussion bieten? Wir haben vielleicht keinen Münchner Post-Bu-Meilenstein à la Tatort: Aus der Tiefe der Zeit oder Tatort: Der tiefe Schlaf vor uns, aber im Mindesten ein spannendes Vexierspiel mit einem exzellenten Udo Wachtveitl.

Als der Tag beginnt, ist sein Leitmayr nämlich noch richtig gut drauf. Beim Joggen fühlt er sich fit wie selten, doch als er mit Ivo Batic (Miroslav Nemec) am Tatort ankommt, fällt er in sich zusammen. Von ihrem Balkon zu Tode gestürzt ist die Schwedin Lisa Brenner (Fanny Risberg). Schreie hat niemand im Haus gehört. “Ich kann ihnen doch keinen Mord schnitzen”, meint der neue Pathologe Steinbrecher (Robert Joseph Bartl), denn jeder Hinweis auf Fremdeinwirkung fehlt. Die junge Frau hatte keine Familie, aber eine ganze Horde von zahlenden Liebhabern. Ob “Mega-Promi” oder Vorstadt-Witwer, ein Querschnitt der Münchner Gesellschaft, ging bei ihr ein und aus. Jeder glaubte, der “Auserkorene” zu sein und bezahlte für diese Illusion teuer. Dabei war die Tote für sie alle nur eine Projektionsfläche, eine moderne Maria Magdalena für den einen, ein williges Spielzeug für den anderen. Nach und nach nehmen die Kommissare die Männer ins Kreuzverhör, die, auf die Frage nach dem Charakter der Toten, mehr über sich und ihre Sehnsüchte aussagen, als ihnen lieb sein sollte. Das trifft auch auf Leitmayr zu, der seine die Ermittlungen gefährdende Affäre mit Lisa Brenner verheimlicht.

Selten wurde die Verwicklung eines Kommissars in einen Tatort-Fall so sinnvoll eingesetzt wie in Tatort – Am Ende des Flurs. Auch Leitmayrs Sicht auf die Tote darf nicht als die ultimative Perspektive deklariert werden. Sein Wunsch nach Aufklärung entspringt einer nicht weniger egoistischen Fixierung, die ihm den Blick auf das Wesentliche verwehrt. Damit bleibt die Figur Lisa Brenner immer das, was wir zu Beginn sehen: eine idealisierte Skizze auf weißer Leinwand. Trotzdem bilden Leitmayrs Schuldgefühle und blinde Rage einen emotionalen Fixpunkt im vorwiegend teilnahmslosen Ensemble der Freier. Denn nicht mehr als eine Fantasie scheint Brenner für sie gewesen zu sein, eine süchtig machende sicherlich, aber kein Mensch aus Fleisch und Blut, der der Trauer wert ist.

So unscharf Brenners Figur bleibt, so präzise entwerfen die Autoren Färberböck und Schuchmann das Kabinett der Verdächtigen. Andreas Lust als erpresserischer Bankangestellter, Wolfgang Czeczor als vereinsamtem Heilsarmist vom Dienst und Franz-Xaver Kroetz als hedonistischem Brauereibesitzer gehören die gelungensten Verhörszenen des Films. Angetrieben wird dieser aber von Leitmayr, der sich vom fitten Jogger zum Getriebenen entwickelt. Gegenwart und Erinnerung, Realität und Projektion verschwimmen in diesem durch München hastenden Krimi, in dessen erster halber Stunde mehr Plot-Stationen abgehakt werden als woanders in 90 Minuten. Formal verspielter als wir es vom Tatort gewöhnt sind, wechselt der Film immer wieder in die Subjektive, gerade auch wenn sich Leitmayr in die Ermittlungen hineinsteigert. Wenn er also einen Verdächtigen verfolgt, sein Blick und damit der der Kamera fixiert ist auf einen schwarzen Porsche, so sehr, dass Zeit und Raum an Bedeutung verlieren. In diesen Momenten bringt der Krimi das verheerende Fieber seiner Figuren am greifbarsten zum Ausdruck.

Einzig wenn es an die konkrete Auflösung geht, setzen die Autoren ihre Fährten so offensichtlich, dass die Enthüllung des Täters jeder Überraschung entbehrt. Aber solche gewöhnlichen Krimikriterien sind, wie bei vielen der besten Münchner Tatorte, nebensächlich. Man mag sich daran aufhängen, dass dieser Tatort in seiner Annäherung an das Opfer nur eine Illusion durch die nächste ersetzt und dieses Klischee dann für halbwegs wahr erklärt. Packend wie Leitmayrs Jagd nach Sühne ausfällt und frivol, wie die Dialoge das düstere Treiben erhellen, mag man sich nicht, für die übrigen Freuden blind, auf diese Nebensächlichkeiten einschießen.

Mord des Sonntags: 40 Hammerschläge später.

Zitate des Sonntags:
“Sie haben ihr Bild ohne mich gemacht.”
“Wenns drauf ankommt, mach ich immer schreckliche Fehler.”
“Dieser Mann ist ganz Bayern.”
“Dieser scheiß Fall entwickelt eine richtige Penetranz.”
“Wir haben nichts, nur Tote.”
“Hoffentlich kriegst du irgendwann Aids!” – “Aber anstecken werd’ ich dich nicht!”


Was haltet ihr von dem Cliffhanger dieses fesselnden Tatorts aus München?

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